Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen (2009)/17

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Zur Geschichte der Hygienisierungs- und Desodorisierungsprozesse in Laibach (Ljubljana) vor dem Ersten Weltkrieg
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[ 229 ]«Es entwickelt sich ein penetranter, bestialischer Geruch»

Zur Geschichte der Hygienisierungs- und Desodorisierungsprozesse in Laibach (Ljubljana) vor dem Ersten Weltkrieg*


Andrej Studen


Résumé


«Il se développe une odeur pénétrante, bestial». L'histoire de l'assainissement et du procès de désodorisation à Ljubljana avant la Première Guerre mondiale


La clé pour comprendre la culture contemporaine de l' habitat, ainsi que les usages et les pratiques qui entourent notre vie quotidienne, se situe dans la connaissance de l histoire des pratiques et de styles de vie des époques antérieures. Certains espaces de la vie privée tels que le salon où on installe l' appareil TV ou la salle de bain avec les diverses installations hygiéniques et le WC, nous paraissent, aujourd’hui, comme indispensables. De même il nous semble difficile à concevoir que les standards hygiéniques auxquels nous réputons ne pas pouvoir renoncer ne soient parus, dans certaines villes de Slovénie, qu ' entre la fin du XIXe et le début du XXe siècle. La conquête de l ' hygiène et du confort fait partie du long processus de civilisation, lentement intégré dans la culture de l'habitat.[1]


Die Bewohner von Laibach (Ljubljana), der jetzigen Hauptstadt Sloweniens, sind sich dessen heutzutage kaum bewusst, dass etwas mehr als 100 Jahre vergangen sind seit der Einführung eines zeitgemässen Kanalisationsnetzes und eines mo- dernen Wasserwerks, welches auch die Versorgung der Stadtbevölkerung mit Trinkwasser ermöglichte. Kaum jemand bedenkt heute, dass Kanalisation und Wasserversorgung zu den grössten technischen und sozialen Errungenschaften des 19. Jahrhunderts zählten.[2] Wenig bewusst ist einem die Tatsache, wie viel getan werden musste, damit die Strassen und Plätze der Stadt nicht noch heute [ 230 ]stinken wie die Pest. Bei heutigen alltäglichen hygienischen Praxen denkt man weder an die Strategien der Hygienisierung und Desodorisierung noch an die zunehmende Sorge um Hygiene und Gesundheit, die zahlreiche Sanierungs- massnahmen auslöste. Man bedenkt auch nicht, dass der Hygienisierungsprozess Einfluss nahm auf eine neue, modernere Gestaltung des heutigen Lebensraumes. Der Ausbau eines unterirdischen «Kapillarsystems» mit einer zunehmenden Anzahl von Wasserrohren und Kanälen sowie die Einrichtung von Wasser- und Kanalisationsanschlüssen in den Häusern verwandelte sowohl ober- als auch unterirdische Strukturen der Stadt. Neben der Wasserversorgung war auch die Beseitigung von Müll und Abwasser, deren Menge mit wachsender Bevölke- rungszahl immer grösser wurde, ein zentrales Problem der Stadtbehörden. Die Sauberkeit gab den Städten ihr charakteristisches Gepräge, bestimmte ihre Technologien, löste aber stellenweise auch hartnäckige Widerstände gegen das unterirdische «Kapillarsystem» aus. Die Sauberkeit integrierte also die Imagination der Städte, deren Technologie, aber auch deren Widerstand, da die Wohnsiedlungen mit Rohren durchzogen wurden. In den modernen europä- ischen Städten trug die Sauberkeit zur Desodorisierung, zur Beseitigung von unangenehmen Dünsten und zur Vermeidung von übel riechendem Gestank, zu einer Reodorisierung bei.[3]

Diese Massnahmen im Bereich der Stadthygiene hängen eigentlich mit der «Erfindung der urbanen Frage» zusammen. Neue Strategien im Bereich des Gesundheitswesens und der Hygiene forderten nämlich im Zusammenhang mit der städtebaulichen Erschliessung fortan langfristigere Lösungen und hatten nicht mehr nur «einen episodischen Charakter, der ihnen während der grossen Epidemien eigen war».[4]

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts kann man also auch von moderneren Massnahmen und Eingriffen der Gesellschaft in verschiedene Bereiche der Stadthygiene (Trinkwasserversorgung, Entsorgung von Abwässern) sprechen. Die Strassenreinigung, aber auch die Müllabfuhr, übernahm nunmehr die Stadtgemeinde - Aufgaben, die früher den Hausbesitzern oblagen. Mit der «Hygienisierungspolitik» begannen die städtischen Behörden, die Hygieni- sierung durchzuführen. Es wurden verschiedene Neuerungen eingeführt, die Aufsicht über die Bürger verschärft, die Zuwiderhandelnden bestraft. Den- noch trugen die Epidemien am meisten zu Hygienisierung der europäischen Städte bei, vor allem die Cholera, die das grösste Grauen und die meisten Ängste erzeugte. Ausserdem war die Hygienisierung der Städte auch einer jener Bereiche, wo die Neuerungen, die der Urbanisierungsprozess mit sich [ 231 ]brachte, besonders deutlich und greifbar in Erscheinung traten, wenn man die Urbanisierung als Bestandteil oder sogar als eine der wichtigsten Triebkräfte der zeitgenössischen Zivilisationsgeschichte auffasst. Es handelt sich um einen jahrzehntelangen Prozess, in dem sich die Verhaltens- und Handlungsnormen und die Mentalitätsstandards herausbildeten, die das Leben der Stadt- und Industriegesellschaften des 20. Jahrhunderts prägten.[5] Die Einführung von Neuerungen in der modernen städtischen Hygiene, die vor allem von den damaligen Naturwissenschaftlern empfohlen wurden, hing natürlich von der finanziellen Leistungsfähigkeit der Stadtgemeinde ab, von der Bereitschaft der Stadträte, die Stadt auch im Bereich der Hygiene zu modernisieren, und nicht zuletzt von persönlichen Initiativen und von Vorbildern in anderen euro- päischen Städten.[6]


Im Reich des Unrats und Gestanks


Von den hygienischen Verhältnissen im Laibach des 19. Jahrhunderts kann sich der heutige Beobachter nur schwer eine Vorstellung machen. In der Hauptstadt des Landes Krain, deren Einwohnerzahl seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg langsam, jedoch stetig anstieg, herrschten Unrat und Gestank.[7] Die hygienischen Verhältnisse unterschieden sich bis in die 1890er- Jahre kaum von denen im Mittelalter. Zu einer wesentlichen Verbesserung der gesundheitlichen und hygienischen Verhältnisse auf den Laibacher Strassen und Plätzen sowie in Häusern und Wohnungen und folglich zu einer allmählichen Verminderung des Gestanks in der Stadt kam es erst nach dem katastrophalen Erdbeben, von dem Laibach am 14. April 1895, zu Ostern, heimgesucht wurde. Das starke Erdbeben stellt auch einen wesentlichen Meilenstein in der Moder- nisierung der Stadt dar. In der Zeit nach dem Erdbeben machte Laibach grosse Fortschritte, es begann die Erneuerung der Stadt.[8]

Einige Tage nach dem Erdbeben besuchte Dr. Heinrich Kanner, Korrespon- dent von Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, Laibach und beschrieb in einem Feuilleton unter dem Titel Eine «gestützte» Stadt die «traurige Sehens- würdigkeit» Österreichs. Obwohl die Stadt, wie er schrieb, wahrscheinlich «Grossstadteinwohnern und Weltreisenden nicht gefallen würde», mache sie auf die bäuerliche Bevölkerung, die sie besuche, grossen Eindruck. Kanner bezeichnete die «Provinzialstadt» als «eine kleine Stadt, ein grosses Dorf, beides in einem». Sie prange durch schmucke, jedoch enge Strassen, niedrige Studen: «Es entwickelt sich ein penetranter, bestialischer Geruch» [ 232 ]und einfache Häuser mit breiten Höfen, die mit roten Dachziegeln bedeckt seien. Der Stadtrand habe einen periferen, mancherorts noch bäuerlichen Charakter.[9]

Laibach erlebte bereits ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einige städtebauliche Eingriffe, unter anderem den Abriss der Stadtmauer und die Zuschüttung der Gräben in den letzten zwei Jahrzehnten, die die traditionel- len Begrenzungen entfernt und die Ausweitung der Stadt in die Vorstädte ermöglicht hatten.[10] Durch die Beseitigung dieses bedeutendsten Hindernisses für die Entwicklung der Stadt erreichte Laibach einige dauerhafte Verbesse- rungen, die nicht nur zu einem schöneren und offeneren, sondern auch etwas saubereren Aspekt der Stadt beitrugen. Zur Zeit des bekannten Kongresses der Heiligen Allianz im Jahr 1821 wurde etwa der Kongressplatz mit dem Kongresspark eingerichtet, nach diesem Ereignis setzte auch ein schnelleres Zusammenwachsen der Stadtteile ein. Schneller ging auch die Sanierung von Strassenkanälen vor sich, Strassen wurden gepflastert, das Laibacher Moor entwässert und das Flussbett des Laibachflusses vertieft. Im langen bürger- lichen Jahrhundert profitierte die Stadt von der Südbahn, die diese im Jahr 1849 erreichte, und von der Einführung der Gasbeleuchtung in den 1860er- Jahren. Sowohl die Eisenbahn als auch die Gasbeleuchtung symbolisierten den Fortschritt, sie waren Neuerungen, die den Rhythmus und die Lebensweise der Laibacher Bürger beeinflussten.[11]

Trotz zahlreichen städtebaulichen Massnahmen waren Strassen und Plätze, den erhaltenen Gesundheits- und Polizeiberichten zufolge, noch immer stark verschmutzt, und vernachlässigt, und sie stanken wie Senkgruben. Berichte über die geradezu katastrophalen hygienischen Verhältnisse und den unerträg-lichen Gestank tauchen vor allem angesichts des Ausbruchs verschiedener Krankheiten auf. Laibach wurde nämlich mehrmals von Choleraepidemien heimgesucht,[12] einer grausamen Krankheit, die als der «grosse Sanitätsrefor-mer» des 19. Jahrhunderts bezeichnet werden kann.[13] Die Angst vor Miasmen veranlasste die Behörden, Überlegungen zur Sanierung von unerträglichen hygienischen Verhältnissen anzustellen. Die Angst vor der Cholera hatte nämlich einschneidende Folgen für das öffentliche Gesundheitswesen vieler europäischer Staaten. Nach der zweiten grossen Choleraepidemie in den Jahren 1854 und 1855, so stellte der Laibacher Stadtphysiker Dr. Wilhelm Kovatsch in seiner Beschreibung der skandalösen Gesundheitsverhältnisse in Laibach aus dem Jahr 1875 fest, sei in Europa eine neue Epoche im Kampf gegen die Epidemien angebrochen. Spätestens nach der dritten grossen Choleraepidemie [ 233 ]in den Jahren 1865-1866 sahen auch die hartnäckigsten Zweifler schliesslich ein, dass die Stadthygiene einer tief greifenden Reform bedürfte. In seiner Schrift führte Dr. Kovatsch die sanitären Verhältnisse in der Stadt als eine der Hauptursachen für die erhöhte Sterblichkeitsrate an. Er wies auf zahlreiche Schwachstellen in der Laibacher Stadtreinigung hin: schlecht eingerichtete Senkgruben und Mängel in der Kanalisation, keine einwandfreien Brunnen und öffentlichen Bäder beziehungsweise ungesunde, feuchte, dunkle, muffige und zu wenig beheizte Wohnungen. Als Stadtphysiker nahm er die übliche Überprüfung des Geschirrs in Kaffeehäusern vor sowie die Kontrolle über Obst, Fisch und andere Viktualien auf dem Markt, mit besonderem Eifer widmete er sich jedoch der Senkgrubenfrage. Eine beinahe 20-jährige Berufspraxis als Arzt festigte bei ihm die Überzeugung, dass gerade die Senkgruben «ein Hauptmoment zur Festsetzung und Ausbreitung epidemischer Krankheiten sind». Dr. Kovatsch besichtigte die Senkgruben von circa 600 Häusern und erwirkte beim Magistrat die Aufforderung an die Besitzer von besonders unreinen und vernachlässigten Senkgruben, dieselben räumen und decken zu lassen. Seinen Bemühungen war jedoch kein grosser Erfolg beschieden.[14]

Fäkalien «fielen [immer noch] in offene Senkgruben, sodass es weit herum stank, waren die Senkgruben doch in ihrer Mehrzahl wirklich schlecht eingerichtet, der dünnflüssige Unrat aus diesen konnte sich über den Boden ausbreiten».[15] Noch unerträglicher als die Senkgruben war die Beseitigung ihres Inhalts. Die Fäkalien wurden nämlich in offenen Fässern von Bauern aus der näheren Umgebung abgeführt (das von Graz übernommene «Fasslsystem» von Sailer). Diese Abholung erfolgte unsystematisch und «wildwuchernd», die Bauern holten sich den Mist aus den Senkgruben, «wenn sie dafür Lust und Zeit hatten, daher gehörten unmässig überfüllte Senkgruben zu den gewöhnlichsten Übelständen» der Landeshauptstadt Laibach.[16] Nach der Meinung des Stadtphysikers Kovatsch «lässt sich nach diesem Abfuhrsystem die Abfuhr des Senkgrubeninhalts der ganzen Stadt so regulieren, dass je nach 10 Tagen der sämmtliche Kloakeninhalt regelmässig aus der Stadt entfernt erscheint». Zugleich riet er von der Einfüh- rung der «modernen englischen Schwemmsysteme» ab, obwohl diese «in den meisten englischen Städten mit Nutzen und heilbringend in sanitärer Beziehung eingeführt wurden». Sie wirkten sich zwar entscheidend auf die Gesundheit der dortigen Bevölkerung aus, man müsse jedoch bedenken, dass «dieselben ein sehr kostspieliges, eigens für dieselben eingerichtetes Canalisationssystem und ein über alle Häuser ausgedehntes Wasserleitungssystem voraussetzen, was in unserer Stadt der Kostspieligkeit wegen undurchführbar ist und noch [ 234 ]nebstdem den Nachteil haben, dass alle Abfallstoffe für die Landwirthschaft verloren gehen».[17]

Erst Ende der 1870er-Jahre begannen die Stadtväter nach langem und leicht- sinnigem Zögern endlich die Sanierung der skandalösen Gesundheitsverhält- nisse ins Auge zu fassen. Ihr Interesse galt vor allem den Senkgruben und Klosetts, ihrer Räumung und der Fäkalienbeseitigung. Die Fäkalien sollten in gut verschlossenen Fässern, jedenfalls nicht auf Leiterwagen, und zwar zu einer genau bestimmten Zeit (im Winter nicht vor 9 Uhr und im Sommer nicht vor 10 Uhr nachts) abgeführt werden. Auf Strassen und Plätzen der inneren Stadt mussten die Klosetts vor ihrer Räumung mit einer Mischung aus Eisen- vitriol und Karbolsäure desinfiziert werden, die Hausbesitzer wurden um einer strengeren Kontrolle willen angewiesen, den Räumungstag dem Inspektor der städtischen Polizeiwache anzumelden. Für Übertretungen war eine Strafe von 1-100 Gulden oder 6 Stunden bis 14 Tage Haft vorgesehen.[18]

Die Desinfizierung von Senkgruben war bis 1890 üblich, bis der Stadtmagistrat von dieser Methode abriet, denn es würde dadurch nicht die Desinfektion der Senkgrube erreicht, sondern nur ein unerträglicher Gestank verursacht. Er riet den Hausbesitzern, die Senkgruben in gutem Zustand zu erhalten, damit die Flüssigkeiten nicht durchsickern könnten, und sie so verschlossen zu halten, wie das Gesetz es vorschriebe.[19]

Doch nicht alle Stadthäuser verfügten über eine Senkgrube. Bei einigen wurden die Fäkalien direkt in den Strassenkanal und durch diesen in den Laibachfluss geleitet. Die Strassenkanäle waren so schmal und so wenig abfallend, dass der Unrat nur langsam abfloss, bei Regenwetter ergoss er sich über Strassen und Plätze und es verbreitete sich ein unerträglicher Gestank. Ausser den Stras- senkanälen «schmückten» die Stadt auch zahlreiche stinkende, schmutzige, enge und verschlossene «Communegässchen» zwischen zwei Häusern oder zwischen zwei Häuserreihen, in welche die Abortabflüsse aller angrenzenden Häuser mündeten.[20]

Über den geradezu schauderhaften Zustand der Laibacher Aborte berichtete bereits 1834 der Laibacher Stadtarzt Dr. Lippich in seiner Topographie der k. k. Provinzialhauptstadt Laibach: Die Aborte befänden sich in Höfen, in offenen Eingängen oder auf Durchgängen. Der Zugang wäre nicht genug abgesichert, darum liefe dort eine erstaunliche Menge an Ratten herum.[21] In einem anderen Bericht heisst es, die Aborte seien aus Holz gezimmert und faulten zusammen mit ihrem Inhalt. Es gebe auch solche ekelhaften Aborte, die nicht nur von Unrat überfüllt seien, man könne dorthin auch nur über Kothaufen und ganze Jauche[ 235 ]lachen gelangen.[22] Die Räumung von vernachlässigten Aborten mit Holzrohren und des Öfteren sogar mit freien Schächten («Plumpsklosett») werde liederlich und oberflächlich durchgeführt, die Luft erfülle ein unerträglicher Gestank. Viele Stadtbewohner zeigten diesbezüglich völlige Gleichgültigkeit und achteten wenig darauf, dass sie stinkende und infizierte Luft atmeten. Es gab aber auch solche, die an den unerträglichen Verhältnissen Anstoss nahmen. Davon zeugen die noch erhaltenen Beschwerden der Laibacher Bürger beim Stadtmagistrat sowie die Protokolle der zahlreichen Verstösse gegen die Hygienevorschriften, die die Stadtwachtmeister vermerkten. Einige Haus-bewohner hatten die üble Gewohnheit, allerlei Unrat und Haushaltsmüll, etwa Kehricht, Federn, Lumpen und anderes mehr in den Abort zu werfen. Scharfer, bestialischer Gestank verbreitete sich vor allem in warmen Monaten, nicht nur aus Senkgruben und primitiven Aborten, sondern auch von Misthaufen, die in den (Innen-)Höfen zusammengetragen wurden, aus Hühnerställen und offenen, mit Spülwasser gefüllten Fässern. Die Stadtbewohner klagten darüber, dass sie wegen des unerträglichen Geruchs ihre Fenster nicht öffnen und die Wohnungen nicht lüften könnten. Scheusslicher Gestank wehte auch um die schmutzigen Höfe der Pollana-Vorstadt, wo vor allem Kleinvieh und Schweine geschlachtet wurden.[23]

Besonders vernachlässigt waren die Aborte, die von mehreren (manchmal auch über 30) Wohnparteien benutzt wurden. Der Mangel an einer ausreichenden Anzahl von Aborten war vor allem für den alten Stadtkern charakteristisch. Auch viele Gast- und Kaffeehäuser hatten schmutzige und ekelhafte Aborte. So unterzeichnete beispielsweise ein anonymer Besucher, der sich über den unerträglichen Gestank und Schmutz in den Aborten des Kaffeehauses «Austria» in seiner Postkarte an den Stadtmagistrat beschwerte, mit «Cafehausbesucher, der Ordnung und Reinlichkeit liebt».[24]

In manchen Winkeln der Laibacher Strassen und Plätze floss besonders bei sonnigem Wetter nicht nur Jauche, sondern es «verbreitete sich ein unerträglicher Uringestank».[25] Vor allem zahlreiche Saufbrüder verrichteten ihre Notdurft öffentlich und erregten dadurch Ärger bei den Passanten. Fürchterlicher Uringestank schlug ihnen besonders in unmittelbarer Nähe von Gasthäusern entgegen. Zu dem üblen Gestank trug auch die schlechte Angewohnheit der Laibacher Bürger bei, den Inhalt von Nachttöpfen und Schmutzwasser aus Kübeln auf die Strassen zu schütten und dadurch die Passanten zu gefährden. Marija Urbas, Wurstmacherin und Hausbesitzerin am Alten Platz, erstattete am 13. Oktober 1909 beim städtischen Polizeiwachtmeister beispielsweise die folgende Anzeige: [ 236 ]Sie sei bei heiterem Wetter wie üblich spazieren gegangen. Als sie sich gegen 8 Uhr auf eine Bank gesetzt habe, um sich auszuruhen, sei sie mit Schmutzwasser übergossen worden, sodass sie ganz nass gewesen sei.[26]

In der Zeit vor dem Erdbeben, also vor 1895, setzte sich die Stadtgemeinde nur ab und zu und nicht ernsthaft mit der öffentlichen Hygiene auseinander. Alle dringend zu lösenden Probleme im Zusammenhang mit unerträglichen hygienischen Verhältnissen in der Stadt kamen anlässlich der verschiedenen Epidemien, die die Stadt bedrohten, zutage. Die Stadtväter behandelten sie nur zögernd und wirkungslos.[27] Als die Stadt 1886 wieder von einer Choleraepidemie heimgesucht wurde, warf der krainische Landespräsident Baron Andreas Winkler dem Laibacher Stadtrat vor, dass dieser sich mit gesundheitlichen Fragen nur akademisch befasse, dass die Wasserversorgungsfrage im Laufe der Jahre ins Stocken geraten sei, dass er die Einführung des pneumatischen Entleerungssystems bei Senkgruben sträflich hinausgezögert und den Bau eines «epidemischen Krankenhauses» vernachlässigt habe. Er hob hervor, dass sich Laibach im Hinblick auf seine sanitären Übelstände mit dem traurigen Primat auszeichne, schon lange Zeit ein echter und nicht auszurottender Nährboden für die Cholera und deren Hauptverbreitungsgebiet für die nähere und vielleicht auch weitere Umgebung zu sein.[28]

Die Stadtgemeinde tat nach 1890 einen ersten Schritt zu einer fortschrittlicheren und moderneren Kanalisation, als man begann, nach einem allgemeinen Kanalisationsplan des Prager Ingenieurs Hrasky am linken und rechten Ufer des Laibachflusses Strassenkanäle aus Beton zu bauen, deren Eiform die Durchlässigkeit vergrösserte. Da die Stadtgemeinde nicht über ausreichende Geldmittel verfügte, um eine allgemeine Erneuerung der Kanalisation der Stadt zu bewerkstelligen, musste die Kanalisation vorerst auch mit alten Kanälen kombiniert werden, die bereits in den 1880er-Jahren gebaut worden waren und die dann wegen des zu schmalen Durchmessers und der zu flachen Lage beim allgemeinen Kanalisationsplan im Jahr 1898 nicht verwendet werden konnten. Parallel zum Aufschwung der Bautätigkeit in der Ära nach dem Erdbeben, die die Entstehung neuer Häuser und Strassen zur Folge hatte, wurde auch der Bau von Kanälen beschleunigt. Der allgemeine Kanalisationsplan von Jan Hrasky sah für Laibach das Ableiten von Regenwasser, Abwasser und Grundwasser sowie der Fäkalien durch ein einziges Spülsystem vor, das nach Einführung des Wasserleitungsnetzes und der englischen «Wasserklosetts» sicherlich das geeignetste war. Alle Abwässer, so meinte er, könnten in den Laibachfluss unterhalb der Stadt geleitet werden, denn Kläranlagen würden die Luft verpesten, was [ 237 ]ihm noch gefährlicher schien als die relativ geringe und schnell zu beseitigende Verschmutzung des Flusses.[29]

Auch Ivan Hribar, der langjährige Bürgermeister (1896-1910), der sich grosse Verdienste um die Modernisierung der Stadt erwarb, meinte, ein gutes Kanalisationssystem sei eine wesentliche Vorbedingung für die Gesundheitsvorsorge. Er war sich auch der Vorteile bewusst, die ein modernes unterirdisches Kanalisationsnetz für die Bürger mit sich bringen würde, entledigt es sie doch der Sorge, teure und dichte Betonsenkgruben zu bauen, die die strenge Bauordnung von 1895 vorschrieb, ebenso der kostspieligen pneumatischen Räumung der Senkgruben, die, so Hribar, nicht mehr den hygienischen Anforderungen der Zeit entsprechen würden. Durch das moderne unterirdische Kanalisationssystem wurde die Infizierung des Grundwassers durch Fäkalien und Abwässer verhindert und deren geruchlose Entsorgung ermöglicht. Dieses moderne System wurde also erst 1898 in Laibach eingeführt und in diesem Zusammenhang auch neue technologische Methoden wie Betonkanäle, das «Mischungssystem» und die pneumatische Räumung von Senkgruben. Dieses Entsorgungsnetz wurde dann langsam und allmählich ausgeweitet, sodass im Jahr 1910 bereits 605 Häuser (34,2 Prozent) daran angeschlossen waren, gut die Hälfte der Häuser (907 oder 51,3 Prozent) verwendete nach wie vor Senkgruben, 17 Häuser entsorgten die Fäkalien und Abfälle nach dem alten «Fasslsystem», für 240 Häuser liegen keine Angaben über die Entsorgungsart vor.[30]


Vom «Wasser mit Schmutzstoffen» bis zum gesundheitlich einwandfreien Wasser


Bis zur Verlegung von Wasserleitungen wurden die Laibacher Bürger mit Trinkwasser aus öffentlichen und privaten Brunnen sowie Quellen im städ- tischen Umland versorgt. Wasser für den sonstigen Bedarf wurde aus dem Laibachfluss geschöpft. Das Trinkwasser war allerdings oft nicht einwandfrei und folglich gesundheitsschädlich. Ausserdem konnten die aus den Quellen geschöpften Wassermengen den Bedarf bei wachsender Einwohnerzahl nicht mehr decken. Über die mangelnde Wasserversorgung beschwerten sich zahl- reiche Bürger.[31]

Die Stadtgemeinde begann darum bereits in den 1860er-Jahren über den Bau eines zentralen städtischen Wasserleitungsnetzes nachzudenken. Dennoch gelang es dem Bürgermeister Michael Ambrosch wegen der prekären Finanzlage nicht, [ 238 ]diesen Plan in die Tat umzusetzen. Am 20. Mai 1870 wurde die sogenannte Brunnenbeschaukommission gegründet, die noch im Jahr 1876 eine Verbesse- rung der Verhältnisse in der Errichtung eines öffentlichen Brunnens auf dem Marienplatz sah, in den das Wasser vom Tivoli-Hügel geleitet werden sollte. Der Plan wurde jedoch nicht realisiert. In den Verhandlungen des Stadtrates über eine modernere Trinkwasserversorgung wurden erst im Jahr 1881 die Ideen von der Einrichtung neuer öffentlicher Brunnen aufgegeben und der Bau eines zentralen städtischen Wasserleitungsnetzes in Erwägung gezogen.[32]

An der Sitzung des Stadtrates vom 21. Dezember 1882 wurde ein Wasser- ausschuss gebildet, der mit dem Bau eines Wasserleitungsnetzes beauftragt wurde und alle Aspekte dieses Projekts in Erwägung ziehen sollte. Die Idee einer zentralisierten Versorgung der Landeshauptstadt Laibach mit einwand- freiem Trinkwasser und Wasser für sonstigen Haushaltsbedarf wurde fortan nicht mehr aufgegeben. Am 23. Mai 1883 wurde der (damalige) Stadtrat Ivan Hribar zum Vorsitzenden des Wasserausschusses gewählt. Über die akute Wasserversorgungsfrage entbrannten natürlich heftige Diskussionen. Ivan Hribar erinnerte sich später, dass der Stadtgemeinderat um die Frage des Wasserleitungsnetzes, das wesentlich zur Verbesserung der städtischen Hygiene beitragen und den Ausbruch und die Verbreitung von gefährlichen Epidemien verhindern sollte, in den 1880er-Jahren «wie die Katze um den heissen Brei herumstrich».[33] Es überraschten ihn auch die geradezu vorsint- flutlichen Ansichten einiger Experten. Die meisten Laibacher Bürger, darunter sogar Ärzte, waren in den 1880er-Jahren nämlich entschieden gegen Hribars Vorhaben bezüglich des neuen Wasserversorgungsnetzes. Die Ärzte Dr. Karel Bleiweis und Dr. Wilhelm Kovatsch beispielsweise setzten sich noch immer für das alte System der Brunnen ein, umstritten war aber auch der Schöpf- platz des Wassers.[34] Ivan Hribar verteidigte dagegen auf den Sitzungen des Wasserausschusses seinen Standpunkt, dass Laibach über keine ausreichende Trinkwasserquantität verfüge, dass das Wasser infolge des Durchsickerns von Senkgrubenjauche in das poröse Erdreich verseucht sei, dass es zahlreiche Fäulnisbakterien enthalte und daher übel riechend und schädlich sei. Auch der k. k. Professor Dr. Baltazar Knapic, der in den 1880er-Jahren zahlreiche chemische Untersuchungen der Beschaffenheit der Laibacher Brunnen durch- führte, stellte fest, dass das Wasser in vielen Brunnen keineswegs zum Trinken geeignet sei, dass es Fäulnisbakterien, Ammoniak und andere Verunreinigungen enthalte, die vom Sickern des Urins ins Grundwasser und von da aus in die Brunnen zeugten.[35] Ähnlich wie Hribar setzte sich auch Dr. Knapic für den [ 239 ]Bau eines zentralisierten Wasserleitungsnetzes ein. Das aus der Umgebung von Laibach eingeleitete Wasser sollte die hygienischen Verhältnisse in der Stadt verbessern. Diese teure Investition würde sich nach Meinung sowohl Hribars als auch Dr. Knapics bald auszahlen und die Bevölkerung würde in kurzer Zeit ihre Vorteile erkennen. So wie Hribar erwähnte der k. k. Professor die Erfahrungen der Städte, die bereits mit Trinkwasser aus der Wasserleitung versorgt wurden: «In den Städten, die bereits mit Trinkwasser versorgt wur- den, wurden die sanitären Verhältnisse entscheidend verbessert. Ansteckende Krankheiten wurden weitgehend ausgerottet, oder sie verloren wenigstens ihren bedrohlichen Charakter.»[36]

Laibach zählte Mitte der 1880er-Jahre 917 Häuser, die aus zwölf öffentlichen und 305 Privatbrunnen mit Wasser versorgt wurden. Aufgrund durchgeführter Analysen wurde festgestellt, dass lediglich vier öffentliche Brunnen ziemlich sauberes Wasser enthielten, in den übrigen war das Wasser «voll schädlichen Ungeziefers». Auch das Wasser in Privatbrunnen war in der Regel von sehr schlechter Qualität. Im Bericht des Wasserausschusses aus dem Jahr 1886 heisst es, dass das Wasser in den meisten Brunnen als untrinkbar und ungesund befunden worden sei und dass für die Laibacher Bevölkerung akute Ansteckungsgefahr bestehe, wie es zurzeit bei der Cholera der Fall sei. Der Stadtmagistrat werde in diesem Fall gezwungen sein, aus gesundheitlichen Gründen viele Brunnen sperren zu lassen. Infolge dessen werde Laibach unter Wassermangel leiden.[37] Dass das Wasser in vielen Laibacher Brunnen bakteriologisch nicht einwandfrei, sondern untrinkbar, stinkend, mit Fäulnisbakterien infiziert und mancherorts voll schädlichen Ungeziefers war, zeigten auch spätere Wasseruntersuchungen der Landwirtschaftlich-chemischen Prüfanstalt aus den Jahren 1897-1899, als kleines, gesundheitsgefährdendes Getier unter dem Mikroskop zum Vorschein kam. Das Wasser aus den stinkenden Brunnen konnte fortan mancherorts nur noch zum Besprühen von Gärten verwendet werden.[38]

Unter den Bewohnern der Landeshauptstadt gab es trotz der Tatsache, dass das Brunnenwasser vielerorts nicht einwandfrei war, Widerstände gegen den Bau eines modernen Wasserleitungsnetzes. In dieser Übergangsphase der Stadt- modernisierung wurden diese Angelegenheiten noch nicht so aufgefasst, wie das heute der Fall ist. Bis zur Verlegung von Wasserleitungen schöpften die Laibacher Bürger das Wasser unmittelbar aus der Natur und setzten sich kaum weiter damit auseinander, ob es trinkbar oder untrinkbar ist. Für sie war nur die Tatsache von Bedeutung, dass es Wasser gab und dass es kostenlos war. Da sie sich vor allzu hohen Wassergebühren fürchteten, blieben sie lieber bei ihren alten [ 240 ]Brunnen. Es wurden auch Gerüchte verbreitet, dass das von Weitem kommende Wasser nicht gut beziehungsweise nicht in ausreichender Menge vorhanden sein würde. Hinzu kam noch die Frage, wie die Wasserleitung in ihren Häusern verlegt werden würde; und sie verbanden auch diese Vorstellung - neben der Angst vor hohen Wassergebühren - mit enormen Kosten.[39]

Nach vielen Beratungen mit Experten fiel im Jahr 1888 die Entscheidung für den Schöpfplatz auf dem nahen Laibacher Feld (in Klece). Im Herbst desselben Jahres (am 25. September 1888) begann man mit dem Bau unter Leitung des Ingenieurs Oskar Smrekar aus Mannheim und unter Aufsicht des Wasseraus- schusses mit dem Stadtingenieur Jaroslav Hanus an der Spitze.[40] Im Jahr 1890 erhielt Laibach endlich ein modernes Wasserleitungsnetz. Das Wasser floss am 17. Mai 1890 zum ersten Mal durch die Stadt, am 29. Juni wurde das Wasser- leitungsnetz feierlich eröffnet. Für ausserordentliche Verdienste wurde Ivan Hribar der Titel eines Ehrenbürgers der Stadt verliehen.

Nach der feierlichen Eröffnung begann man die Häuser langsam und schrittweise an die Strassenrohre anzuschliessen, die entsprechende Konzession wurde an die Laibacher Actiengesellschaft für Gasbeleuchtung verliehen, die auch mit der Einrichtung der Gasbeleuchtung beauftragt war. Beim Anschliessen der Häuser an das städtische Wasserleitungsnetz musste eine besondere Ordnung eingehalten werden.[41]

Bei den ersten Anschlüssen ans Wasserleitungsnetz tauchten auch die ersten Probleme auf. Die Verwaltung des städtischen Wasserwerks berichtete nämlich bereits im Juli 1890, dass einige Parteien das Wasser die ganze Nacht hindurch laufen liessen, und forderte den Magistrat auf, das zu untersagen. Trotz dieser Beschwerde änderte sich die Situation in den darauffolgenden Jahren kaum, denn derartige Beanstandungen wurden auch in den Jahren 1907 und 1908 eingebracht, im Allgemeinen in den trockenen Sommermonaten, wenn es an Wasser zu mangeln begann. Ein höherer Wasserverbrauch wurde auch durch technische Mängel beziehungsweise das Bersten von Wasserrohren, besonders im Winter, verursacht. Es bleibt festzuhalten, dass der Wassermissbrauch mit der Gewöhnung an die Vorteile, die das Wasserleitungsnetz bot, einherging. Die Direktion des städtischen Wasserwerks versuchte dagegen anzukämpfen, indem es in der Presse «warnende und belehrende Artikel hinsichtlich des Umgangs mit Wasser» veröffentlichte, die jedoch nur wenig Resonanz bei der Bevölkerung fanden.[42]

Im Allgemeinen kann festgehalten werden, dass alle Gegner des Wasserleitungsnetzes verstummt waren, als, wie Pavel Rasberger in seinen Memoiren [ 241 ]schreibt, «klares Quellwasser in jedem Haus zu fliessen begann».[43] Das Leitungs- wasser bedeutete im Vergleich zum früheren Brunnenwasser, das in Bottichen zum Waschen und zu sonstigem Haushaltsbedarf getragen werden musste, sicherlich einen grossen Fortschritt und eine grosse Erleichterung. Mit der Zeit wurde es zum unentbehrlichen Bestandteil des alltäglichen Lebens.

Das Wasserleitungsnetz breitete sich in den Jahren nach der Inbetriebnahme allmählich aus dem Stadtzentrum in die Peripherie aus. Im Jahr 1910 waren bereits 1368 Laibacher Häuser (77,3 Prozent) an das städtische Wasserwerk angeschlossen. Die Wasserleitungen und die Kanalisation ermöglichten auch die Einrichtung von «englischen Klosetts» mit Wasserspülung, aber auch die Ausstattung der Häuser mit Badezimmern. Mit diesen wurden in Laibach in der Zeit nach dem Erdbeben, also nach 1895, allerdings nur wenige Wohnungen bestückt. Laut statistischen Angaben für das Jahr 1910 hatten in Laibach und in seinen Vorstädten lediglich 6,1 Prozent aller Wohnungen ein Badezim- mer.[44] Ein modernes Badezimmer war also ein Privilegium der begüterten Städter. Man findet es nur in den raren Luxuswohnungen der reichsten Bürger, vor allem in den vornehmen Villen der bürgerlichen Elite an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert.


Schlussbemerkungen


Die zunehmende Bevölkerungszahl der Stadt Laibach stellte die Stadtbehörden vor zahlreiche Probleme. Der ständige Zuzug aus dem Umland vergrösserte zum Beispiel die Wohnungsnot. Neben dem Mangel an kleinen und billigen Wohnungen mussten auch die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Versorgung, dem Verkehr und natürlich ebenso mit Hygieneproblemen gelöst werden. Sowohl die Hygienisierungs- als auch die Desodorisierungprozesse waren mit dem Urbanisierungsprozess eng verbunden. Das moderne Wasser- leitungsnetz und die Kanalisation waren Neuerungen, die im langen bürgerlichen Jahrhundert den Fortschritt symbolisierten und in der vorliegenden Abhandlung in den Mittelpunkt gestellt wurden, sie waren zweifelsohne die wesentlichen Errungenschaften der Stadt in der Zeit nach dem Erdbeben beziehungsweise während der Amtszeit des Bürgermeisters Ivan Hribar. In diesem Zeitabschnitt wurden die gesundheitlichen Verhältnisse der Stadtbevölkerung durch strengere sanitäre, bautechnische, polizeiliche sowie konkrete städtebauliche Vorschriften verbessert. In einer Zeit, wo Verbesserungen der städtischen Hygiene noch [ 242 ]nicht selbstverständlich waren, muss dieser Prozess der Zivilisation auch als ein gesellschaftlicher Erziehungsprozess begriffen werden. Um die Hygienisierung mit Erfolg durchführen zu können, mussten moderne Verhaltensweisen gegen alte Mentalitäten durchgesetzt werden, die Stadtbewohner mussten an die Sauberkeit erst gewöhnt werden. Die Stadtbehörden versuchten daher, gewisse Praxen und Gewohnheiten aus der vergangenen Zeit (etwa das Entleeren der Nachttöpfe auf den Strassen) durch strengere Aufsicht und Disziplinierung auszurotten. Es handelte sich dabei natürlich um einen langwierigen Prozess, alte und unzulässige Praxen verschwanden nur langsam. Modernisierte Verhal- tens- und Handlungsnormen, wie sie die städtische Lebensweise erforderlich machte, mussten - gegen einigen Widerstand - durchgesetzt werden, sie muss- ten eingeübt werden, bevor sie zum Bestandteil des alltäglichen Lebens der Stadtbewohner wurden. Dazu trugen vor allem moralische Kampagnen (zum Beispiel gegen Schmutz), rechtliche Regelungen (Bauvorschriften zugunsten von Sicherheit und Hygiene), erste Werbemassnahmen (für das Waschen mit Seife), ebenso die Raumplanung (städtische Grünflächen), technische Neuerungen (Elektrizität) oder architektonische Entwürfe (für modernisierte Arbeiterwohnungen) bei.[45] So setzten sich langsam, jedoch kontinuierlich, neue Massstäbe für Sauberkeit und Gesundheit durch. Hinter den Prozessen der Hygienisierung steckte ein breit angelegter Prozess der gesellschaftlichen Umerziehung, in dem neue Standards für städtische Hygiene, für den Umgang mit dem eigenen Körper und mit Krankheiten sowie für die Sanierung des Stadtraums gesetzt wurden.[46]

Laibach wurde in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg deutlich modernisiert. Die Stadtväter lobten im Jahr 1910 in einem besonderen Memoirenband Laibach nach dem Erdbeben (Ljubljana po potresu) ihre eigenen Anstrengungen, indem sie behaupteten, Laibach habe sich im modernen Sinne entwickelt und Laibach sei in der Zeit nach dem Erdbeben durch seine Errungenschaften zu einer äusserst gesunden Stadt geworden, wo das Wohnen wärmstens zu empfehlen sei.[47] [ 243 ]Anmerkungen


  • Aus dem Slowenischen von Niko Hudelja.

1 Vgl. W. Kaschuba, «<Deutsche Sauberkeit> - Zivilisierung der Körper und der Köpfe», in: G. Vigarello, Wasser und Seife, Puder und Parfüm: Geschichte der Körperhygiene seit dem Mittelalter, Frankfurt a. M. 1988, S. 292-326; A. Studen, «<Samoumevna> cistoca telesa nekoc in danes», in: G. Vigarello, Cisto in umazano: Telesna higiena od srednjega veka naprej, Ljubljana 1999, S. 291-313.

2 Vgl. J. von Simson, Kanalisation und Städtehygiene im 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1983, S. 4.

3 Vgl. z. B.: Vigarello (wie Anm. 1), S. 288; P. Payer, Der Gestank von Wien. Über Kanalgase, Totendünste und andere üble Geruchskulissen, Wien 1997, S. 61-68; A. Studen, Stanovati v Ljubljani, Ljubljana 1995, S. 63-66.

4 A. Corbin, Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs, Frankfurt a. M. 1992, S. 121.

5 I. Behnken (Hg.), Stadtgesellschaft und Kindheit im Prozess der Zivilisation. Konfigurationen städtischer Lebensweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Opladen 1990, S. 7-8; J. Reulecke, «Die Politik der Hygienisierung: Wandlungen im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge als Elemente fortschreitender Urbanisierung», in: I. Behnken (wie Anm. 5), S. 13-25.

6 Studen (wie Anm. 3), S. 36-37.

7 Im Jahr 1869 zählt Ljubljana 22’593 Einwohner, 1880 26’284, 1890 30’505, 1900 36’547 und im Jahr 1910 41’727 Einwohner. Vgl. L. Pipp, Razvojstevilaprebivalstva Ljubljane in bivse vojvodine Kranjske, Kronika slovenskih mest II, 1935, S. 69-70.

8 V. Melik, «Ljubljana pred prvo svetovno vojno», in: W. Lukan et al. (Hg.), Pozdrav iz Ljubljane: mesto na starih razglednicah, Ljubljana 1986, S. 26; G. Ogrin, Ljubljana pred in po potresu, Kronika slovenskih mest II, 1935, S. 40.

9 H. Kanner, «Feuilleton - Eine <gestützte> Stadt», Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, 39. Jg, Nr. 126, 7. 5. 1895.

10 V. Valencic, Zgodovina ljubljanskih ulicnih imen, Ljubljana 1989, S. 33; vgl. auch J. Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt a. M. 1985, S. 15.

11 A. Studen, «Beli Ljubljani se limbar poda: Nekaj drobcev iz ljubljanskega vsakdanjika pred prvo svetovno vojno», in: D. Fris, F. Rozman (Hg.), Od Maribora do Trsta: Zbornik referatov, Maribor 1997, S. 252.

12 Laibach wurde in den Jahren 1836, 1849, 1850, 1855, 1866, 1886 und 1910 von Choleraepidemien heimgesucht.

13 Reulecke (wie Anm. 5), S. 18.

14 W. Kovatsch, Denkschrift des Laibacher Stadtphysikates betreffend die sanitären Uebelstände der Landeshauptstadt Laibach zur diesbezüglichen raschen und billigen Abhilfe, Laibach 1875, S. 25-26.

15 F. Kobal, «O koleri na Kranjskem», Zbornik, XIII, 1911, S. 91.

16 Kovatsch (wie Anm. 14), S. 38-39.

17 Ebd., S. 40-1.

18 Zgodovinski arhiv Ljubljana (Historisches Archiv Ljubljana, ZAL): REG I/Fasz. 1038, fol. 141.

19 ZAL, REG I/Fasz. 1038, fol. 141.

20 Studen (wie Anm. 3), S. 43-44.

21 Dr. Fr. W. Lippich, «Topographie der k. k. Provinzialhauptstadt Laibach», in: Bezug auf Natur- und Heilkunde, Medicinalordnung und Biostatik, Laibach 1834, S. 75.

22 Kobal (wie Anm. 15), S. 134.

23 Studen (wie Anm. 3), S. 45-46, 54-59.

24 ZAL, REG I/Fasz. 1038, fol. 384.

25 ZAL, REG I/Fasz. 1266, fol. 371.

26 ZAL, REG I/Fasz. 1317, fol. 215; vgl. auch einschlägige Berichte in den Faszikeln 1266, 1637 und 1638. [ 244 ] 27 Studen (wie Anm. 3), S. 64.

28 Kobal (wie Anm. 15), S. 148-149.

29 ZAL, Reg I/ Fasz. 1233, fol. 411.

30 Oesterreichische Statistik, N. F., Bd. 4, Heft 1, Wien 1914, S. 81.

31 Studen (wie Anm. 3), S. 45.

32 T. Tominsek Rihtar, «Pili smo vodo, polno skodljivega mrcesa: H kulturni zgodovini ljubljanskega vodovoda in kanalizacije pred prvo svetovno vojno», Zgodovina za vse, IV, Nr. 1, 1997, S. 37.

33 I. Hribar, Moji Spomini, 1. Teil, Ljubljana 1983, S. 100.

34 Ebd., S. 102.

35 ZAL, REGI/Fasz. 2041, fol. 25-30.

36 Ebd.

37 Tominsek Rihtar (wie Anm. 32), S. 33.

38 Ebd., S. 33-36.

39 Ebd., S. 42. Langjährige Widerstände gegen die Verlegung eines modernen Wasserleitungsnetzes gab es, wie die Forschungen zeigten, auch in anderen slowenischen Städten wie z. B. Krainburg (Kranj), Radmannsdorf (Radovljica), Bischofslack (Skofja Loka), Marburg (Maribor), Cilli (Celje). Ausführlicher in A. Studen, Higienizacija urbaniziranih naselij, Slovenska novejsa zgodovina: Od programa Zedinjena Slovenija do mednarodnega priznanja Republike Slovenije 1848-1992, Ljubljana, Bd. 1, 2005, S. 114.

40 Tominsek Rihtar (wie Anm. 32), S. 36-40.

41 Ebd., S. 38.

42 Ebd., S. 40.

43 P. Rasberger, Moji spomini, Ljubljana 1965, S. 15.

44 Studen (wie Anm. 3), S. 26.

45 Vgl. Benkhen (wie Anm. 5), S. 8.

46 Vgl. Studen (wie Anm. 3), S. 63-66.

47 F. Govekar, M. Zarnik, Ljubljana po potresu 1895-1910, Ljubljana 1910, S. 100, 103.

  1. 1 Vgl. W. Kaschuba, «<Deutsche Sauberkeit> - Zivilisierung der Körper und der Köpfe», in: G. Vigarello, Wasser und Seife, Puder und Parfüm: Geschichte der Körperhygiene seit dem Mittelalter, Frankfurt a. M. 1988, S. 292-326; A. Studen, «<Samoumevna> cistoca telesa nekoc in danes», in: G. Vigarello, Cisto in umazano: Telesna higiena od srednjega veka naprej, Ljubljana 1999, S. 291-313.
  2. 2 Vgl. J. von Simson, Kanalisation und Städtehygiene im 19. Jahrhundert, Düsseldorf 1983, S. 4.
  3. 3 Vgl. z. B.: Vigarello (wie Anm. 1), S. 288; P. Payer, Der Gestank von Wien. Über Kanalgase, Totendünste und andere üble Geruchskulissen, Wien 1997, S. 61-68; A. Studen, Stanovati v Ljubljani, Ljubljana 1995, S. 63-66.
  4. 4 A. Corbin, Pesthauch und Blütenduft. Eine Geschichte des Geruchs, Frankfurt a. M. 1992, S. 121.
  5. 5 I. Behnken (Hg.), Stadtgesellschaft und Kindheit im Prozess der Zivilisation. Konfigurationen städtischer Lebensweise zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Opladen 1990, S. 7-8; J. Reulecke, «Die Politik der Hygienisierung: Wandlungen im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge als Elemente fortschreitender Urbanisierung», in: I. Behnken (wie Anm. 5), S. 13-25.
  6. 6 Studen (wie Anm. 3), S. 36-37.
  7. 7 Im Jahr 1869 zählt Ljubljana 22’593 Einwohner, 1880 26’284, 1890 30’505, 1900 36’547 und im Jahr 1910 41’727 Einwohner. Vgl. L. Pipp, Razvojstevilaprebivalstva Ljubljane in bivse vojvodine Kranjske, Kronika slovenskih mest II, 1935, S. 69-70.
  8. 8 V. Melik, «Ljubljana pred prvo svetovno vojno», in: W. Lukan et al. (Hg.), Pozdrav iz Ljubljane: mesto na starih razglednicah, Ljubljana 1986, S. 26; G. Ogrin, Ljubljana pred in po potresu, Kronika slovenskih mest II, 1935, S. 40.
  9. 9 H. Kanner, «Feuilleton - Eine <gestützte> Stadt», Frankfurter Zeitung und Handelsblatt, 39. Jg, Nr. 126, 7. 5. 1895.
  10. 10 V. Valencic, Zgodovina ljubljanskih ulicnih imen, Ljubljana 1989, S. 33; vgl. auch J. Reulecke, Geschichte der Urbanisierung in Deutschland, Frankfurt a. M. 1985, S. 15.
  11. 11 A. Studen, «Beli Ljubljani se limbar poda: Nekaj drobcev iz ljubljanskega vsakdanjika pred prvo svetovno vojno», in: D. Fris, F. Rozman (Hg.), Od Maribora do Trsta: Zbornik referatov, Maribor 1997, S. 252.
  12. 12 Laibach wurde in den Jahren 1836, 1849, 1850, 1855, 1866, 1886 und 1910 von Choleraepidemien heimgesucht.
  13. 13 Reulecke (wie Anm. 5), S. 18.
  14. 14 W. Kovatsch, Denkschrift des Laibacher Stadtphysikates betreffend die sanitären Uebelstände der Landeshauptstadt Laibach zur diesbezüglichen raschen und billigen Abhilfe, Laibach 1875, S. 25-26.
  15. 15 F. Kobal, «O koleri na Kranjskem», Zbornik, XIII, 1911, S. 91.
  16. 16 Kovatsch (wie Anm. 14), S. 38-39.
  17. 17 Ebd., S. 40-1.
  18. 18 Zgodovinski arhiv Ljubljana (Historisches Archiv Ljubljana, ZAL): REG I/Fasz. 1038, fol. 141.
  19. 19 ZAL, REG I/Fasz. 1038, fol. 141.
  20. 20 Studen (wie Anm. 3), S. 43-44.
  21. 21 Dr. Fr. W. Lippich, «Topographie der k. k. Provinzialhauptstadt Laibach», in: Bezug auf Natur- und Heilkunde, Medicinalordnung und Biostatik, Laibach 1834, S. 75.
  22. 22 Kobal (wie Anm. 15), S. 134.
  23. 23 Studen (wie Anm. 3), S. 45-46, 54-59.
  24. 24 ZAL, REG I/Fasz. 1038, fol. 384.
  25. 25 ZAL, REG I/Fasz. 1266, fol. 371.
  26. 26 ZAL, REG I/Fasz. 1317, fol. 215; vgl. auch einschlägige Berichte in den Faszikeln 1266, 1637 und 1638.
  27. 27 Studen (wie Anm. 3), S. 64.
  28. 28 Kobal (wie Anm. 15), S. 148-149.
  29. 29 ZAL, Reg I/ Fasz. 1233, fol. 411.
  30. 30 Oesterreichische Statistik, N. F., Bd. 4, Heft 1, Wien 1914, S. 81.
  31. 31 Studen (wie Anm. 3), S. 45.
  32. 32 T. Tominsek Rihtar, «Pili smo vodo, polno skodljivega mrcesa: H kulturni zgodovini ljubljanskega vodovoda in kanalizacije pred prvo svetovno vojno», Zgodovina za vse, IV, Nr. 1, 1997, S. 37.
  33. 33 I. Hribar, Moji Spomini, 1. Teil, Ljubljana 1983, S. 100.
  34. 34 Ebd., S. 102.
  35. 35 ZAL, REGI/Fasz. 2041, fol. 25-30.
  36. 36 Ebd.
  37. 37 Tominsek Rihtar (wie Anm. 32), S. 33.
  38. 38 Ebd., S. 33-36.
  39. 39 Ebd., S. 42. Langjährige Widerstände gegen die Verlegung eines modernen Wasserleitungsnetzes gab es, wie die Forschungen zeigten, auch in anderen slowenischen Städten wie z. B. Krainburg (Kranj), Radmannsdorf (Radovljica), Bischofslack (Skofja Loka), Marburg (Maribor), Cilli (Celje). Ausführlicher in A. Studen, Higienizacija urbaniziranih naselij, Slovenska novejsa zgodovina: Od programa Zedinjena Slovenija do mednarodnega priznanja Republike Slovenije 1848-1992, Ljubljana, Bd. 1, 2005, S. 114.
  40. 40 Tominsek Rihtar (wie Anm. 32), S. 36-40.
  41. 41 Ebd., S. 38.
  42. 42 Ebd., S. 40.
  43. 43 P. Rasberger, Moji spomini, Ljubljana 1965, S. 15.
  44. 44 Studen (wie Anm. 3), S. 26.
  45. 45 Vgl. Benkhen (wie Anm. 5), S. 8.
  46. 46 Vgl. Studen (wie Anm. 3), S. 63-66.
  47. 47 F. Govekar, M. Zarnik, Ljubljana po potresu 1895-1910, Ljubljana 1910, S. 100, 103.