Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen (2009)/18

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Cercasi ragazza tedesca" - Südtirolerinnen als Dienstmädchen in italienischen Städten in der Zwischenkriegszeit
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[ 245 ]«Cercasi ragazza tedesca»

Südtirolerinnen als Dienstmädchen in italienischen Städten von 1920 bis 1945


Ursula Lüfter, Martha Verdorfer, Adelina Wallnöfer


Résumé


«Cercasi ragazza tedesca». Domestiques du Tyrol du Sud dans les villes italiennes durant l'entre-deux-guerres


La pauvreté et le chômage dans leur pays d’origine, l’ espoir d’un salaire, la curiosité et le désir d’ apprendre la langue italienne étaient les raisons principales encourageant de nombreuses jeunes femmes du Tyrol du Sud à chercher du travail dans les villes italiennes où, durant l’ entre-deux-guerres, la demande des domestiques demeurait élevée. Les couvents sur place assuraient la prise en charge de ces jeunes femmes durant leur temps libre et en même temps ils agissaient comme des agences de travail. Quoique cette migration ait eu lieu dans des années de fortes tensions politiques - dans ces années le Tyrol du sud était confronté avec la politique d’ assimilation du régime fasciste italien - la plupart de ces jeunes femmes vivaient leur séjour dans les villes italiennes comme un expérience d’ enrichissement personnel. Après un ou deux ans de travail loin de sa propre famille, la plupart d ’ entre elles retournait à la maison; seulement quelques unes s’ établirent définitivement en Italie ou décidèrent de rentrer lors de la vieillesse.


In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts waren zahlreiche junge unverheiratete Frauen aus allen Teilen Südtirols in italie- nischen Städten als Dienstmädchen beschäftigt. Besonders hoch war der Anteil der Frauen aus dem oberen Vinschgau, wo die saisonale beziehungs- weise ganzjährige Arbeitsmigration schon seit Jahrhunderten notwendig war. [ 246 ]Kinder, Jugendliche, Männer und Frauen aus diesem Tal hatten schon seit Jahrhunderten in der nahen Schweiz und im südwestdeutschen Raum Arbeit angenommen.

Die Arbeitsmigration Südtiroler Frauen in der Zwischenkriegszeit war aber keineswegs ein lokal begrenztes Phänomen, die Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre zwang Menschen in vielen Teilen Europas zur Abwanderung aus abgelegenen und strukturschwachen Regionen in die städtischen Zentren.[1]

Vor dem Ersten Weltkrieg war die Arbeitsmigration von SüdtirolerInnen in Richtung Italien unerheblich.[2] Der Anschluss Südtirols an Italien ermöglichte den SüdtirolerInnen einen freien Zugang zum Arbeitsmarkt der italienischen Grossstädte, der sehr viel mehr Arbeitsstellen zu bieten hatte als das alpine, bäuerlich geprägte und noch kaum industrialisierte Südtirol der Zwischen- kriegszeit.[3] Da es sich nicht um eine Staatsgrenzen überschreitende Migration handelte, waren diese Städte im Gegensatz zu den Arbeitsplätzen in der Schweiz und in Deutschland ohne bürokratischen Aufwand, ohne Notwendigkeit einer Aufenthalts- oder Arbeitsgenehmigung, ohne offiziellen Wechsel des Wohnsitzes und damit auch über einen informellen Weg erreichbar. Dies hatte aber auch zur Folge, dass diese Binnenwanderung keinen Niederschlag in amtlichen Akten fand und damit nur über die mündlichen Erzählungen der ehemaligen Dienstmädchen selbst zu erschliessen ist. Wir haben deshalb rund 70 betroffene Frauen nach den Erfahrungen und Erinnerungen an ihre Arbeitszeit in einer italienischen Stadt befragt und daraus ein Buch gemacht.[4]

Für das subjektive Empfinden der Südtirolerinnen wies ihre Binnenmigration allerdings deutliche Kennzeichen einer Auslandsemigration auf. Dies spiegelt sich auch im Sprachgebrauch der Protagonistinnen wider, wenn sie davon berichten, «nach Italien» gegangen zu sein. Die sprachliche Fremdheit war schliesslich ein objektives Kriterium, welches diese Mobilität der deutsch- sprachigen Südtirolerinnen zu einer ganz besonderen Form der sozialen Binnenwanderung machte.


Der Arbeitsplatz in der Stadt - zwischen Notwendigkeit und Attraktivität

Infolge des Rückgangs der Kindersterblichkeit und dem stetigen Anwachsen der Bevölkerung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts boten die meist klein struk- turierten, familiär geführten und auf Selbstversorgung ausgerichteten landwirt[ 247 ]schaftlichen Betriebe nicht mehr für alle Menschen im Lande ausreichend Arbeit und Auskommen. Diese europaweite Entwicklung wurde in Südtirol durch die minderheitenfeindliche Politik des italienischen Faschismus noch verstärkt. Den SüdtirolerInnen waren seit Mitte der 1920er-Jahre Arbeitsplätze in der Verwaltung so gut wie verschlossen. Der Industrialisierungsschub, der mit dem Bau der Industriezone in Bozen ab Mitte der 1930er-Jahre einsetzte, war ebenso von politischen Kategorien bestimmt: Die Industriebetriebe sollten neben der Nutzung der Wasserkraft des Landes vor allem die Einwanderung italienischer Arbeitskräfte forcieren und somit zumindest die Landeshauptstadt Bozen zu einer auch in der Bevölkerungszusammensetzung italienischen Stadt machen. Die Auswirkungen dieser Politik liessen Südtirol bis in die späten 1960er-Jahre in einer beinahe vorindustriellen Phase verharren.

Das Schulwesen wurde geradezu zum Synonym für die faschistische Herrschaft in Südtirol. Durch die Italianisierung der Schulen verlor die schulische Bildung nicht nur bei weiten Teilen der Bevölkerung ihr ohnehin oft nicht sehr grosses Ansehen, auch eine weiterführende Ausbildung über die Pflichtschule hinaus reduzierte sich auf kleine soziale Kreise.

Die meisten Mädchen wuchsen zudem in einem zumeist bäuerlichen, sehr tradi- tionsgebundenen und patriarchalisch ausgerichteten Umfeld auf, in dem für sie nach Abschluss der Pflichtschule keine Ausbildung, etwa eine Lehre oder der Besuch einer weiterführenden Schule, vorgesehen war. Da die Bestimmung der Mädchen letztendlich die Heirat und damit die Rolle der Hausfrau und Mutter war, sollten sie sich bestmöglich auf die damit verbundenen Aufgaben vorbereiten -tein Rollenbild, das auch die örtliche Kirche immer wieder in ihren Presse- organen und über die Kanzel einforderte.[5] Ausserdem sollten sie bis zur Heirat möglichst ihren eigenen Unterhalt bestreiten, sich ihre Aussteuer beschaffen und darüber hinaus noch zum Unterhalt der Herkunftsfamilie beitragen. Letzteres war umso wichtiger, da die Familie sich oft nur durch den finanziellen Beitrag der Söhne und Töchter über die schwierige wirtschaftliche Lage der 1930er- Jahre hinweg retten konnte. Verschuldungen durch Neubauten, Renovierungen und den Erwerb von Grundbesitz, Vieh und Maschinen in der Aufbaueuphorie der Nachkriegsjahre hatten viele bäuerliche Familien in Südtirol an den Rand ihrer Existenz gebracht. Der Höhepunkt der Abwanderung in die italienischen Städte korreliert deutlich mit den krisenhaften 1930er-Jahren.

Somit gab es in Südtirol eine grosse Anzahl an unqualifizierten weiblichen Arbeitskräften. Der Tourismus, der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts eine erste Blüte erreicht hatte und bald nach dem Ersten Weltkrieg wieder in [ 248 ]Schwung gekommen war, bot nicht für alle arbeitssuchenden jungen Frauen die Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit. Ausserdem beschränkte sich die Arbeit als Köchin, Kellnerin oder Zimmermädchen auf wenige Monate im Jahr.

Den gesellschaftlichen Erwartungen an die Mädchen entsprach die Arbeit als Dienstmädchen bestens. Die Mädchen schickten ihren Lohn meist vollständig nach Hause, für Essen und oft auch Kleidung sorgten die Arbeitgeber. Neben- bei lernten die jungen Frauen hauswirtschaftliche Tätigkeiten und im Falle der Südtirolerinnen die italiensche Sprache.

Die Nachfrage nach unqualifizierten, weiblichen Arbeitskräften im Alter von 14-30 Jahren für den Dienstbotensektor war in den aufstrebenden italienischen Industriestädten sehr gross.[6] So gesellten sich nach dem Anschluss Südtirols an das italienische Staatsgebiet zu den vielen italienischsprachigen Dienstmädchen, die schon ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus den abgelegenen Re- gionen der Apenninenhalbinsel in grosser Zahl in die Städte geströmt waren, zunehmend auch Mädchen aus Südtirol.[7] Regina Walcher, Jahrgang 1911, von 1928 bis 1940 Dienstmädchen in Mailand, schildert die Lage anschaulich: «Hier in Bozen hat es erstens nicht viele Arbeitsplätze gegeben und zweitens haben sie nicht viel bezahlt. Und Mailand war immerhin eine Grossstadt, mit viel Industrie, und da sind viele reiche Leute und die haben gut bezahlt.»

Viele Südtiroler Mädchen wurden von italienischen Touristen, die in Südtirol ihre Ferien verbrachten, und von italienischen Beamten beziehungsweise Mi- litärs direkt vor Ort als Dienstmädchen angeworben. Man stellte ihnen höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen in Aussicht. Südtirolerinnen waren ganz offensichtlich sehr gefragt. Manchmal waren es die Eltern, die im Hinblick auf den guten Lohn, der möglichst vollständig nach Hause geschickt werden sollte, die Mädchen zur Annahme einer Stelle drängten.

Die Entscheidung, eine Stelle in einer italienischen Stadt anzunehmen, wurde aber nicht allein aus ökonomischen Überlegungen heraus getroffen. Für viele ehemalige Dienstmädchen war der Wunsch, Italienisch zu lernen, ausschlag- gebend. Seit der Italianisierung des politischen und öffentlichen Lebens in Südtirol,[8] sah man es als nützlich an, dass zumindest ein Familienmitglied die Staatssprache gut beherrschte. Ebenso waren Italienischkenntnisse für die Arbeit im heimischen Gastgewerbe von Vorteil.[9] Auch das Bedürfnis der Mädchen, der Enge Südtirols zumindest für einige Zeit zu entfliehen und «die Welt kennen- zulernen», spielte bei der Entscheidung eine nicht zu unterschätzende Rolle. So gingen mitunter Mädchen ohne Einwilligung der Eltern ein Dienstverhältnis in einer italienischen Stadt ein. [ 249 ]Abb. 1: Maria Theresia Saurer, geboren 1910 in Prad/Vinschgau, unterwegs in Messina im Juni 1937. Quelle: Private Fotosammlung von Adelina Wallnöfer, Prad. [ 250 ]Die Vermittlung der jungen Frauen an die Arbeitgeber vollzog sich vorwiegend über informelle Wege, wie etwa die schon erwähnte Anwerbung durch italie- nische Touristen oder Beamte. Stellenangebote in den Südtiroler Zeitungen gab es zwar, sie spielten in den untersuchten Fällen aber so gut wie keine Rolle. Ebenso wurden die Stellenvermittlungsbüros in Meran und Bozen - auch sie vermittelten Dienstmädchen in italienische Städte - nur selten in Anspruch ge- nommen. Hatte ein Mädchen in einer Stadt eine Stelle angenommen, so holte es sehr oft Schwestern, Verwandte und Freundinnen nach, brachte sie entweder bei den eigenen Arbeitgebern unter oder vermittelte ihnen eine Stelle im nähe- ren Umkreis. Bisweilen fungierten Frauen, die von einer Arbeitsstelle in einer italienischen Stadt zurückgekehrt waren, als Vermittlerinnen. Eine besondere Rolle bei der Stellenvermittlung spielten in den grösseren italienischen Städten wie Mailand, Rom und Florenz die deutschen Klöster vor Ort.


In städtischen Haushalten


Hauptzielorte der Südtiroler Mädchen waren Mailand, gefolgt von Rom, Florenz, Bologna, aber auch in Neapel, Messina und Palermo nahmen die Südtirolerinnen Stellen an.

Die Reise in die Stadt gehörte zu den aufregendsten Erfahrungen der oft sehr jungen und unerfahrenen Mädchen, zumal viele die Provinzgrenze bis dahin noch nie überschritten hatten. Manche kannten nur die nähere Umgebung des Heimatdorfes. Sie waren allein oder mit Schwestern und Freundinnen mit dem Zug unterwegs, die Fahrkarte hatten die zukünftigen Arbeitgeber - soweit diese bereits feststanden - oft schon im Voraus bezahlt und zugeschickt. Seltener reisten sie mit ihren Arbeitgebern im Auto in die Stadt.

Die Arbeitgeber der Südtirolerinnen gehörten den grossbürgerlichen Kreisen und auch dem sogenannten Mittelstand an. Sie waren Ärzte, Universitätsprofessoren, Ingenieure, Schiffskapitäne, Advokaten, Beamte, Offiziere, Botschafter, allein- stehende wohlhabende Witwen, Grafen und Grossgrund- oder Fabrikbesitzer. Meist waren sie italienische Staatsangehörige, einige hatten aber auch eine andere nationale Zugehörigkeit. Besonders gefragt waren die Südtirolerinnen bei deutschen Familien, die vorwiegend in Mailand oder Rom lebten und als Selbständige und Angestellte in Industrie und Handel tätig waren.[10]

Den Südtirolerinnen tat sich eine völlig neue Welt auf. Vor allem in den gross- bürgerlichen Haushalten waren sie überwältigt vom materiellen Wohlstand [ 251 ]Fig. 1: Alter der Mädchen beim ersten Dienstantritt

Quelle: Vgl. Anm. 4.

und dem mondänen Lebensstil. Grosszügige Geschenke der Arbeitgeber zu Weihnachten, das Überlassen von zwar getragener, doch eleganter Kleidung und die Möglichkeit die «Herrschaft» bei Reisen und im Urlaub zu begleiten, vermittelte den Dienstmädchen das Gefühl, Anteil an deren Welt zu haben, und liess sie zeitweise die soziale und kulturelle Distanz vergessen.

Die Südtirolerinnen, die bis dahin kaum mit der Welt des Grossbürgertums in Berührung gekommen waren, mussten sich oft erst mit der Rolle des Dienst- mädchens vertraut machen. Das hiess auch, die strengen Regeln und Vorschrif- ten der Arbeitgeber zu akzeptieren und die geforderte Distanz einzuhalten. Die Mädchen, die es von zu Hause gewohnt waren, gemeinsam mit allen Fami- lienmitgliedern die Mahlzeiten einzunehmen, mussten in der Regel allein oder mit den anderen Dienstboten in der Küche essen, ein Umstand, dessen Akzeptanz einigen Dienstmädchen besonders schwer fiel.[11]

Während sich grossbürgerliche Familien meist mehrere Dienstboten leisten konnten, musste sich der Mittelstand mit einem Alleinmädchen begnügen. Dieses [ 252 ]hatte den gesamten Haushalt zu bewältigen, oft war das neben den normalen Hausarbeiten wie Kochen, Waschen und Putzen auch die Betreuung der Kinder. Die Arbeitsaufteilung unter den Dienstboten in den wohlhabenden Haushalten bedeutete meist eine Arbeitserleichterung. Daher waren solche Stellen besonders begehrt, vor allem die Stellung als Kindermädchen. Eine besondere Herausforderung für die jungen Frauen war das Kochen: Das Essen war für grossbürgerliche Familien Ausdruck ihres Lebensstils, dement- sprechend wichtig war die sorgfältige und raffinierte Zubereitung der verschie- denen Speisen. Gleichzeitig waren die Mädchen mit einer ihnen kaum bekannten Esskultur konfrontiert. Das Erlernen der Zubereitung mediterraner Speisen empfanden die meisten Mädchen als Bereicherung, viele Kochgewohnheiten behielten sie auch nach ihrer Rückkehr nach Südtirol bei. Aber gerade beim Essen offenbarte sich den Mädchen oft die Scheinhaftig- keit und das oberflächliche Repräsentationsbedürfnis des grossbürgerlichen Lebensstils: Während bei Empfängen grosszügig aufgetischt wurde, sparte man oft bei den alltäglichen Mahlzeiten oder geizte beim Essen für das Dienstpersonal.


Die Arbeitsbedingungen


Die Arbeitsbedingungen für die Südtirolerinnen und deren rechtliche Regelung waren ebenso prekär wie die ihrer italienischsprachigen Arbeitskolleginnen. Bis in die 1950er-Jahre gab es so gut wie keine Kranken- und Sozialversicherung für Dienstboten.[12] Weit entfernt vom Heimatort und von der eigenen Familie bedeutete jede Erkrankung, jede Einschränkung durch eine körperliche Verletzung oder eine ungewollte Schwangerschaft vollkommene Abhängigkeit vom Wohlwollen der Arbeitgeber. Die unklare gesetzliche Lage, die fehlende Kontrolle der Einhaltung der wenigen staatlichen, das Dienstpersonal betreffenden Bestimmungen und das grosse Angebot an Arbeitskräften erlaubte es den Arbeitgebern nach eigenem Gutdünken zu verfahren. Die Südtirolerinnen waren es von den ebenso ungeregelten Arbeitsbedingungen in Südtirol nicht anders gewohnt und forderten deshalb kaum Rechte ein. Viele erlebten ihren Dienst in einem italienischen Haushalt zudem als wesentlich angenehmer und weniger anstrengend als die Arbeit auf dem elterlichen Hof oder im Gastgewerbe in Südtirol. Einige fühlten sich auch aufgrund ihrer Südtiroler Herkunft besonders geschätzt und respektvoll behandelt. Johanna Pamer, [ 253 ]Abb. 2: Ida Flora, geboren 1906 in Mals/Vinschgau, in der Küche eines herrschaftlichen Anwesens bei Messina Mitte der 1920er-Jahre. Quelle: Private Fotosammlung von Cilli Flora, Mals. [ 254 ]Jahrgang 1915, von 1933 bis 1936 Dienstmädchen in Lecce, erlebte dies besonders eindringlich: «Nein, schlecht ergangen ist es mir nicht. Aber ich hab halt gesehen, wie die Herrschaften die anderen Angestellten, die anderen Dienstboten, behandelt haben. Das war ja eine Sklaverei. Die Herrschaften hatten viele Fabriken, Tabakfabriken, Obst- und Gemüsefelder. Und die hatten halt auch einen jungen Burschen. Zwölf Jahre war der alt, der Pino. Und der musste die Sachen ausfahren. Einmal haben die Herrschaften gerochen, dass er eine Zigarette geraucht hatte. Da haben sie ihn geschlagen, ihn an einen Stuhl gebunden und den haben sie die längste Zeit da sitzen lassen. Da hab ich mir schon gedacht <nein, das ist jetzt nicht mehr richtig>. Und irgendwann haben sie ihn dann freigelassen. Ich hab dann den Pino gefragt, ob er denn nicht in die Schule gehen muss, im Winter. Da sagt er: <Nein, bei uns gehen nur die Reichen in die Schule.> Die Köchin war etwa 20 Jahre alt, und die konnte weder schreiben noch lesen.»

Die Behandlung der Hausangestellten war insgesamt sehr unterschiedlich. Während manche Südtirolerinnen über den Luxus, ein eigenes Zimmer oder sogar ein eigenes Bad zu haben, erstaunt waren, die Reisen mit ihren Herrschaften als besonderes Privileg empfanden, beklagten sich andere über mangelhafte Unterbringung und zu wenig Essen. Nur durch vorzeitiges Verlassen der Arbeitsstelle konnten viele Dienstmädchen übermässiger Arbeitsbelastung, den Launen einer despotischen Hausfrau, sexuellen Übergriffen von Seiten eines männlichen Familienmitglieds und ähnlichen Schikanen entkommen.

Waren die Arbeitgeber mit der Kündigung nicht einverstanden, kam den Süd- tirolerinnen die räumliche Entfernung zugute: So fragten sie zum Beispiel um Urlaub an, von dem sie dann nicht mehr zurückzukehren beabsichtigten, oder sie liessen sich von zu Hause einen Brief schicken, in dem eine sofortige Rückkehr, etwa aufgrund einer Erkrankung eines Familienmitglieds, angeordnet wurde, was die Arbeitgeber auch meist akzeptieren mussten.

Die Südtiroler Dienstmädchen wechselten, wie allgemein unter den Dienstboten üblich, recht häufig ihren Arbeitsplatz.[13] Nicht immer verliessen sie ihre Stelle wegen schlechter Arbeitsbedingungen. Manche kehrten nach wenigen Wochen von Heimweh geplagt in ihre Heimat zurück. Einige Frauen wechselten im Sommer vom Hausdienst zur saisonalen Arbeit im Südtiroler Gastgewerbe. [ 255 ]Abb. 3: Lidwina Rungg, geboren 1904 in Prad/Vinschgau, mit ihrer Arbeitgeberin beim Sticken in Vernate (CH), der Sommerresidenz ihrer Mailänder Arbeitgeberfamilie, Juli 1925. Quelle: Private Fotosammlung von Margarethe Wieser, Prad.


Das Leben in der Stadt

Durch die Arbeit in der Stadt eröffneten sich den Südtirolerinnen ihnen bis dahin unbekannte Welten. Zum einen war es die Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten, kulturellen Angeboten wie Kino, Theater, Oper oder Tanzsälen, zum anderen war es die ländliche Umgebung der Stadt, die campagna und das Meer, welche die Mädchen in Tagesausflügen allein, mit Freundinnen oder den Arbeitgebern kennenlernten. [ 256 ]Die Zeit, die den Mädchen für sich und ihre Erholung zur Verfügung stand, war allerdings knapp bemessen: Meist war den Mädchen nur der Sonntagnachmittag zur mehr oder weniger freien Gestaltung überlassen. Ausserdem gab es Arbeitgeber, die um die moralische Integrität der Mädchen fürchteten und den Dienstmädchen freie Ausgänge grundsätzlich untersagten oder streng reglementierten. So konnte es vorkommen, dass einige Südtirolerinnen, auch wenn sie in einem längeren Arbeitsverhältnis standen, wenig von der Stadt zu sehen bekamen.

Erste Bekanntschaft mit dem Stadtleben machten die Südtirolerinnen bei ihrer Ankunft am Bahnhof und dann bei den täglichen Einkäufen, die sie oft auch in Begleitung der Hausfrau machten. Sie mussten sich erst mit den neuen Verkehrsmitteln wie Bussen oder Trams vertraut machen und sich im Gewirr der Strassen zurechtfinden. Das war nicht einfach, zumal die meisten Südtirolerinnen kaum italienisch sprachen und deshalb nur schwer Auskünfte einholen konnten. Mit der Zeit bewegten sie sich dann aber zunehmend sicherer, nutzten die Angebote der Stadt, besuchten Museen, gingen in die Oper und ins Kino. Sie wussten sich gegen die Aufdringlichkeit junger Männer, der sie in den grossen Städten weit mehr ausgesetzt waren als zu Hause, zu schützen. Sie passten sich auch in ihrem Äusseren mehr und mehr dem Stadtleben an. Waren sie anfangs noch an ihrer derben Kleidung und an ihren mässigen Sprachkenntnissen unverkennbar als Mädchen vom Land und als Deutsche auszumachen, so kleideten sie sich zunehmend eleganter - die «Signora» überliess ihnen ihre abgelegten Kleider und Hüte -, und sie erlernten die italienische Sprache.

Obwohl es Kontakte zu italienischen Arbeitskolleginnen oder Zufallsbekanntschaften auf der Strasse gab, zog es der grössere Teil der Mädchen vor, sich in der Freizeit mit Landsleuten zu treffen, um «unter sich» zu sein. Neben den deutschen Klöstern gab es in jeder Stadt fixe Treffpunkte wie grosse Plätze und Parks. Auch bei männlichen Bekanntschaften bevorzugte man junge Südtiroler, die in der Stadt ihren Militärdienst ableisteten oder studierten, und Angehörige der deutschen Wehrmacht. Italienischen Verehrern, die sich oft einstellten, stand man zwiespältig gegenüber: Auf der einen Seite waren die jungen Frauen von deren Hartnäckigkeit fasziniert, andererseits fühlten sie sich den moralischen und politischen Richtlinien ihrer Eltern verpflichtet, die ihnen freizügigen Umgang mit dem anderen Geschlecht untersagten und eine Ehe mit einem Italiener nicht tolerierten. Nur wenige liessen sich auf eine ernsthafte Beziehung ein, heirateten und blieben mit ihrem Mann an dessen Geburts- beziehungsweise Arbeitsort. [ 257 ]Unter kirchlicher Obhut


Auch in Südtirol war es - wie in anderen europäischen Ländern - vor allem die Kirche, die sich für die Betreuung der weiblichen Hausangestellten zuständig fühlte. So setzte sie sich zunächst dafür ein, dass die Mädchen und jungen Frauen möglichst nicht das Land verliessen und sich eine Arbeitsstelle in Südtirol suchten. In den kirchlichen Presseorganen wurden die Gefahren der Grossstadt beschworen und den Mädchen ans Herz gelegt, sich nicht vorschnell dorthin zu begeben.

Allerdings musste auch die Kirche die Notwendigkeit einer zeitweiligen Arbeitsmigration anerkennen. Vor allem in den Jahren der grossen Wirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre scheinen die Warnungen der Kirche keinen grossen Widerhall gefunden zu haben. Der Versuch der Kirche, über ihre Institutionen wie Klöster, Vereine und Presseorgane die Arbeitsmigration zumindest zu steuern und eine Kontrolle über die Dienstorte der Mädchen zu haben, scheint wenig Erfolg gehabt zu haben. Die Vermittlung der Stellen erfolgte, wie schon erwähnt, in der Regel über private Kanäle wie Freund- und Verwandtschaften beziehungsweise über direkte Kontakte mit italienischen Touristen oder Beamten beziehungsweise Militärs, die sich in Südtirol aufhielten.

In den grossen Städten hingegen, in denen die Frauen aus Südtirol im Dienst waren, spielten die Institutionen der Kirche eine herausragende Rolle. In Mailand und Rom, wo die grösste Zahl der Dienstmädchen aus Südtirol beschäftigt war, waren die kirchlichen Angebote nahezu konkurrenzlos. Das Kloster der deutschsprachigen Elisabethschwestern in der Mailänder Via Panizza bot den Südtirolerinnen nicht nur jeden Sonntagnachmittag einen Treffpunkt, wo sie miteinander reden und Erfahrungen austauschen und sich damit auch gegenseitig unterstützen konnten, sondern fungierte auch als Stellenvermittlung beziehungsweise als vorübergehende Bleibe bei einem Stellenwechsel. Kein Wunder also, dass die Zusammenkünfte in der Via Panizza in der Erinnerung vieler ehemaliger Dienstmädchen eine zentrale Rolle spielen.[14] Mathilde Andergassen, Jahrgang 1914, von 1936 bis 1937 Kindermädchen in Mailand, erzählt: «Das Kloster war eigentlich unsere Rettung. Die hatten einen Garten, wo wir uns im Sommer aufgehalten haben, und im Winter hatten sie einen Saal, da haben wir Theater gespielt und musiziert. [...] Das war unser Zufluchtsort. Oft haben wir auch Gebäck mitgebracht und die Schwestern haben uns dann einen Kaffee dazu gemacht. Da hatten wir es wirklich schön. Und da war auch ein Kaplan da, der hat eine deutsche Andacht gehalten und bei dem konnten wir [ 258 ]sogar auf Deutsch beichten. [...] Die Schwestern haben sich sehr bemüht, die Mädchen zusammen zuhalten, was in der Stadt auch nicht leicht war. Die drei, vier Stunden, die wir am Sonntagnachmittag frei hatten, sind wir ins Kloster gegangen und damit waren wir zufrieden. Sonst sind wir nie ausgegangen. Nur ganz selten, dass ein Mädchen ausgegangen ist, ins Konzert oder ins Kino. Wir hatten auch gar kein Bedürfnis nach anderer Unterhaltung.»[15]

Eine ähnliche Funktion hatte die deutsche Nationalstiftung in der Via Santa Maria dell’Anima in Rom. Es handelte sich dabei um ein deutschsprachiges Priesterkolleg, das ebenfalls an den Sonntagnachmittagen eine Möglichkeit der Zusammenkunft bot.

Beide Institutionen, sowohl das Kloster in der Via Panizza in Mailand als auch die sogenannte Anima in Rom, führten ihre Betreuungstätigkeit auch nach dem Zweiten Weltkrieg weiter. In der Anima in Rom entwickelte sich ab Mitte der 1950er-Jahre sogar eine eigene Struktur, die sich explizit um die Belange der Südtirolerinnen kümmerte; die Diözese schickte zu diesem Zweck eine eigene Pastoralassistentin nach Rom.

Das Kloster in der Mailänder Via Panizza und die Anima in Rom waren nicht die einzigen, aber die weitaus wichtigsten Institutionen für die Südtirolerinnen. Es gab in diesen Städten noch weitere Treffpunkte unter kirchlicher Dominanz und auch in anderen Städten trafen sich die Südtirolerinnen in - allerdings meist italienischsprachigen - Frauenklöstern, die durchaus eine ähnliche Funktion wie jene der Via Panizza erfüllten, aber nie deren hohen Identifikationsgrad erreichten.


Politik und Arbeit


Der zeitliche Fokus der Untersuchung liegt auf den 1930er-Jahren und somit auf der Zeit der europäischen Faschismen, welche die Geschichte Südtirols und seiner BewohnerInnen nachhaltig geprägt haben.

Vor diesem Hintergrund kam der Frage nach der Motivation der Südtirolerinnen, in den Jahren des italienischen Faschismus eine Stelle in einer italienischen Stadt anzunehmen, und nach der Reaktion des familiären und dörflichen Umfeldes auf diese Entscheidung grosse Bedeutung zu.

Wie schon gesagt, waren die Motive für die Arbeitsmigration zweifellos von der ökonomischen Notwendigkeit dominiert, aber auch der Wunsch, sich die italienische Sprache anzueignen, war ein häufig genannter Beweggrund. Diese [ 259 ]Motive wurden auch vom Umfeld der Arbeitsmigrantinnen ganz offensichtlich akzeptiert. In diesem Sinn bestätigt unsere Studie, dass die SüdtirolerInnen zwar insgesamt dem italienischen Faschismus reserviert gegenübergestanden haben, in ihrem Alltags- und Arbeitsleben aber dennoch immer wieder alltagspragmatische Kompromisse mit dem Regime eingingen.[16]

Den Umstand, dass beim italienischen (Gross-)Bürgertum deutschsprachige Mädchen aus Südtirol besonders begehrt waren, hat sowohl einen sozialen als auch politischen Hintergrund: Im Vergleich zu vielen ländlichen Regio- nen Italiens (etwa dem Süden oder dem Appenin) erschien Südtirol als fort- schrittliches Land mit hohem Alphabetisierungsgrad und die Südtirolerinnen erschienen vielen grossbürgerlichen Familien in sozialer Hinsicht vielleicht näher als italienische Dienstmädchen aus den strukturschwachen Gebieten des übrigen Landes.

Ab Mitte der 1930er-Jahre festigte sich die Freundschaft zwischen den beiden faschistischen Diktatoren und wohl nicht unabhängig davon wollten viele ita- lienische Familien, dass das Südtiroler Dienstmädchen den Kindern die deutsche Sprache beibringen sollte. Maria Stolzlechner, Jahrgang 1917, von 1934 bis 1939 Haus- und Kindermädchen in Turin, war aus diesem Grund eingestellt worden: «Ich sollte den Kindern die deutsche Sprache beibringen. Ich habe schon Deutsch mit ihnen gesprochen. [...] Das war damals in Italien so eine Art Modeerscheinung, die mit dem Hitler aufgekommen ist. Da wollten plötzlich alle Italiener Deutsch lernen. Aber um die Politik habe ich mich nie gekümmert, das war mir egal.»

Rückte die Politik die Südtirolerinnen in den italienischen Grossstädten näher? Natürlich nahmen die jungen Frauen in Rom oder Mailand öffentliche Inszenierungen und Aufmärsche des Regimes wahr, die es in dieser Form in Südtirol kaum gab. Aber im Gegensatz zu Südtirol, wo sich die deutschsprachige Bevölkerung immer in Konfrontation zum Regime wahrnahm, erlebten sich die Südtirolerinnen in den Städten vielmehr als Zuschauerinnen, die vom Geschehen nicht unmittelbar betroffen waren.

Auch innerhalb der Familien der Arbeitgeber war Politik kaum ein Thema, das mit dem Dienstmädchen erörtert wurde, sodass es auch hier kaum zu Konflikten kommen konnte. Im Gegenteil erzählten einige ehemaligen Dienstmädchen sogar, dass es in den Familien eine gewisse Distanz zum Faschismus gegeben und sich die grundsätzliche Staatsloyalität eher an der Figur des Königs festgemacht hätte. Wir vermuten, dass der Aufenthalt in einer italienischen Stadt auf alle Fälle zu einer differenzierteren Wahrnehmung der Italienerinnen [ 260 ]geführt hat. Für die Südtirolerinnen in einer italienischen Stadt war es möglich, zwischen Italienerinnen und Faschisten zu differenzieren - eine Unterscheidung, die in diesen Jahren von der Bevölkerung in Südtirol kaum vollzogen wurde, wobei es diese unreflektierte Gleichsetzung war, die nach Kriegsende das Zusammenleben von deutsch- und italienischsprachigen BewohnerInnen des Landes lange Zeit erschwert hat.

Unmittelbarer mit der Dimension des Politischen konfrontiert wurden jene Südtirolerinnen, die bei jüdischen Familien in Dienst waren. So erzählte zum Beispiel Anna Pinggera, die bei einer jüdischen Familie in Ancona beschäftigt war, dass ab Mitte der 1930er-Jahre immer wieder jüdische Freunde und Bekannte aus Deutschland für einige Tage zu Besuch kamen. Sie befanden sich auf der Flucht aus dem nationalsozialistischen Deutschland und begegneten deshalb dem deutschsprachigen Dienstmädchen der Familie mit Misstrauen - für Anna war dies schliesslich auch ein Grund die Stelle zu verlassen und nach Hause zurückzukehren. Jene Frauen, die noch im Jahr 1938, also zu dem Zeitpunkt, als auch das faschistische Italien Rassegesetze verabschiedete, im Dienst bei jüdischen Familien waren, waren Zeuginnen von deren Flucht ins Ausland. Sie wurden also direkt mit den Auswirkungen der rassistischen Politik Hitlerdeutschlands und Italiens konfrontiert, wobei ihre Reaktion allerdings mit jener der Mehrheitsbevölkerung identisch war: Flucht und Vertreibung wurden zur Kenntnis genommen, lösten aber kaum Entrüstung oder bohrendes Nachfragen aus. In diesen Fällen rückte die Politik zwar näher, aber sie betraf immer noch nicht unmittelbar, oder nur am Rande, etwa beim Verlust der Arbeitsstelle, die eigene Lebensgestaltung.

Einen markanten Einbruch in diese selbstdefinierte «Politikferne» markierte die Option. Als im Jahr 1939 zwischen den beiden faschistischen Regierungen Deutschlands und Italiens das Abkommen über die Umsiedlung der Südtiro- lerInnen geschlossen wurde,[17] betraf dies viele Südtirolerinnen, die zu dieser Zeit in einer italienischen Stadt arbeiteten, ganz unmittelbar. Sofern sie nicht volljährig waren, war die Optionsentscheidung des Familienoberhauptes auch für sie bindend. Waren sie aber mindestens 21 Jahre alt, konnten sie selbst optieren. Für die Südtirolerinnen, die in einer italienischen Stadt arbeiteten, stellte sich die Optionsentscheidung mitunter aus einem völlig anderen Blickwinkel dar, als für ihre Herkunftsfamilie beziehungsweise die Bevölkerung in Südtirol. Dies wird auch durch eine Reihe von zensurierten Briefen belegt.[18] Die faschistische Postzensur fing gerade in den Monaten der Option zahlreiche Briefe zwischen den Südtiroler Dienstmädchen in den italienischen Städten und [ 261 ]ihren Herkunftsfamilien ab, um über die Stimmung der Bevölkerung informiert zu sein. In diesen Briefen versuchen die Mädchen ihre Familien häufig von einer Option für die deutsche Staatsbürgerschaft und die Umsiedlung abzuhalten: «Io non avrei mai optato per la Germania a causa della guerra, vorrei rimanere in Tirolo, è sempre lo stesso o essere sotto l’Italia o la Germania, al contrario è peggio in Germania a causa della guerra. Hitler vuole sempre guerra. Peccato che il Padre abbia già votato, quello che è fatto è fatto e non si puo fare niente. Non so cosa debba fare, non ho ancora optato, riceverò un biglietto, non ho finora sentito niente. Perchè papà hai già optato per la Germania? [...] E cosa farete in Germania, c’è la miseria, la fame. E cosa farete in Germania senza il maso?» (Stellvertretend für viele der Brief von Rosa Hofer aus Rom an ihre Mutter im Vilnösstal).[19]

Nicht nur aus den abgefangenen Briefen, sondern auch aus den Erzählungen ehemaliger Dienstmädchen wird eine deutliche Reserviertheit zu Option und Umsiedlung sichtbar. Erwähnenswert dabei ist, dass sie weniger ideologischpolitische, sondern fast durchweg konkret-pragmatische Gründe ins Feld führten: die Unsicherheiten in einem kriegführenden Land, die Unterdrückung der Religion und allgemein der grössere Fanatismus der Nationalsozialisten. Letztlich optierte dann allerdings auch die Mehrheit der jungen Frauen für die deutsche Staatsbürgerschaft, und schloss sich damit der Entscheidung der Herkunftsfamilie an. Eine andere Entscheidung hätte wohl meist unweigerlich einen Bruch mit der Familie bedeutet und das wollten oder konnten die meisten jungen, unverheirateten Frauen nicht riskieren. Einige wenige wanderten schliesslich mit und auch ohne ihre Familien ins Deutsche Reich aus, um sich dort nach Arbeit umzusehen.

Als unmittelbarer Einbruch der Politik in das Alltagsleben wurde auch der Krieg erlebt. Für viele war dies der Anlass zur Heimkehr. Einige wurden schon im Herbst 1939 nach dem deutschen Überfall auf Polen von den Eltern nach Hause gerufen, weil diese ihre Tochter in Zeiten des Krieges nicht in einer Grossstadt wissen wollten. Akut wurde die Situation, als im Mai 1940 auch Italien in den Krieg eintrat - für die wenigen Frauen, die zu diesem Zeitpunkt noch in einer italienischen Stadt waren, der Anlass, ihren Dienst ausserhalb des eigenen Landes zu beenden.

In den Gesprächen mit den Frauen wurde insgesamt deutlich, dass ihre Wahrnehmung von Politik sehr von der konkreten Lebenssituation abhängig war. Sie definierten sich selbst meist als «unpolitisch» - und entsprechen damit auch dem Topos von der weiblichen Politikferne. Letztlich waren aber sehr viele [ 262 ]ihrer Lebensentscheidungen durch die politischen Rahmenbedingungen geprägt und die Frauen waren nicht blosse Statistinnen, sondern agierten selbständig und mitunter mit grossem Geschick, nahmen aber ihre Entscheidungen kaum als politische wahr.


Die Rückkehr - die zweite Anpassungsleistung


Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beziehungsweise Dienstzeit in einer italienischen Stadt lag zwischen einem und zwei Jahren. Manche Südtirolerinnen blieben nur wenige Monate, andere auch fünf und mehr Jahre, einzelne ihr Leben lang. Die meisten hatten den Dienst in einem städtischen Haushalt jedenfalls von vornherein nur als Übergangsphase bis zur Heirat und der Gründung eines eigenen Hausstandes geplant.

Für die Frauen bedeutete die Rückkehr nach Südtirol erneut eine beträchtliche Umstellung. Sie hatten neue (bürgerliche) Lebensformen kennengelernt, sich in den Städten zurechtgefunden und dadurch sich selbst in ihrem Aussehen und ihren Einstellungen verändert. Bewusst wurden sie sich dieser Veränderungen oft erst bei ihrer Rückkehr über die Wahrnehmung der daheim Gebliebenen. Aufgefallen sind zunächst die Äusserlichkeiten, die Kleidung vor allem, welche die städtische Herkunft verriet. Ein Symbol war etwa der modische Hut, den viele der zurückgekehrten Frauen an Feiertagen trugen und der im bäuerlichen Milieu für Frauen nicht üblich war.

Für viele heimgekehrte Dienstmädchen war die Heirat der nächste Schritt in ihrer Biografie. Dabei waren sie durchaus attraktive Ehepartnerinnen, da sie nicht nur Erfahrungen in der Haushaltsführung gesammelt, sondern sich oft noch einiges Geld erspart hatten, das sie nun in die Ehe einbringen konnten. Andererseits kursierte die Meinung, dass die Mädchen in den Städten Lebensformen kennengelernt und teilweise angenommen hatten, die sie einem bäuerlichen Haushalt entfremdeten. So erinnert sich der Sohn eines ehemaligen Dienstmädchens an den Spruch, der damals im Vinschgau zirkulierte: «Mit den Mädchen, die bei den reichen Juden unten waren, kann man nichts mehr anfangen.» Diese Einschätzung korrespondiert mit zeitgenössischen Quellen aus anderen Migrationsgebieten in Italien, etwa dem Trentino, in denen ebenfalls die schwierige Wiederanpassung an bäuerliche Lebensverhältnisse thematisiert wird.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content Insgesamt wird aber deutlich, dass Frauen Expertinnen der Anpassung sind. Die meisten von ihnen haben sich sehr schnell wieder [ 263 ]Fig. 2: Dauer des Aufenthalts in einer italienischen Stadt

Quelle: Vgl. Anm. 4.


an die Bedingungen und die Kleinräumlichkeit ihrer Heimat angepasst, obwohl ihnen das einiges abverlangte. So war auch für Maria Blaas, die 1946 nach zehn Jahren Dienst bei einer wohlhabenden Familie in Mailand, mit 34 Jahren heiratete, die Ehe gewissermassen die Rückkehr zur Tradition. Sie war mit einer Kurzhaarfrisur von Mailand zurückgekommen und «als ich dann geheiratet habe, hat der Mann gesagt, ich solle mir die Haare wieder wachsen lassen, denn das passe nicht hierher». «Die schönste Zeit meines Lebens», «diese Jahre möchte ich auf keinen Fall missen», so und ähnlich beurteilen die meisten ehemaligen Dienstmädchen ihre Dienstjahre im Rückblick. Natürlich ist zu bedenken, dass es sich dabei um die Jugendjahre der Protagonistinnen handelt und diese im Allgemeinen eher positiv gesehen werden. Aber diese Erklärung reicht nicht weit genug. Denn auch in Fällen, wo die Arbeitserfahrungen in einer italienischen Stadt nicht durchweg positiv waren - und das war doch häufig der Fall - betonen die Frauen, dass diese Zeit für sie sehr intensiv und lehrreich war und sie auch [ 264 ]für das spätere Leben geprägt hat. Sie hatten damit ihr Leben zumindest für eine bestimmte Periode selbst in die Hand genommen, hatten Grenzen überschritten und eigenständige Entscheidungen getroffen - das alles hatte sie in ihrem Selbstbewusstsein sehr bestärkt.


Zu Subjekten der Geschichte werden


Das erworbene Selbstbewusstsein haben sich die Frauen bis in ihr Alter bewahrt. Es war beeindruckend, mit welcher Offenheit und Bereitschaft sie uns von ihren Erfahrungen berichteten, welchen Humor sie dabei an den Tag legten und wie sie nach anfänglichem Erstaunen darüber, warum sich jemand für ihre Geschichte interessierte, auch durchaus selbst der Meinung waren, eigentlich doch einiges erlebt zu haben. Es ist ein zentraler Anspruch der historischen Frauen- und Geschlechtergeschichte, den Frauen das Bewusstsein zu vermitteln, Subjekte der Geschichte zu sein. In unserem Fall war es ein beglückendes Erlebnis zu sehen, wie sehr die von uns befragten Frauen sich mit der von uns verfassten Publikation identifizierten. Die zahlreichen Bestätigungen der Frauen, sich und ihre Geschichte im Buch wieder erkannt zu haben, war für uns der schönste und wichtigste Erfolg unserer Arbeit. Bei den zahlreichen Vorstellungen des Buches in den verschiedenen Ortschaften des Landes waren immer auch Zeitzeuginnen dabei, die uns aktiv bei der Präsentation unterstützten, indem sie vor einem grösseren Publikum von ihren vielfältigen Erfahrungen berichteten.

Oral History als historische Forschungsmethode enthält die Möglichkeit, die Distanz zwischen Forschenden und Erforschten zu verringern und die Kommunikation zwischen ihnen zu fördern. Das Generationen übergreifende Gespräch zwischen Frauen bescherte uns als Forscherinnen nicht nur eine Vielzahl von Erkenntnissen über das Arbeitsleben und die Migration in der Zwischen- und Nachkriegszeit, sondern war für uns auch eine sehr intensive Begegnung mit diesen Frauen, getragen von gegenseitigem Vertrauen und Respekt. So war die Arbeit an unserem Buch auch eine grosse Bereicherung in menschlicher Hinsicht. [ 265 ]Anmerkungen


1 Eine Gruppe von Historikern aus Rovereto hat die schriftlichen Aufzeichnungen von Trentinerin- nen gesammelt: AA. VV., Per vito e per vestito (sulle condizioni di vita e di lavoro delle donne di servizio trentine), Corsi serali per lavoratori, 1980-1981, manoscritto inedito; D. Leoni, «La comunità delle donne di servizio», Materiali di lavoro, Rivista di studi storici, 4, 1983, Rovereto, S. 125-134. Auch in den beiden Büchern von D. Perco, Balie da latte. Una forma peculiare di emigrazione temporanea, Feltre 1984, über die Ammen aus der Umgebung von Feltre und Dalmazia und von D. Notari, Donne da bosco e da riviera. Un secolo di emigrazione femminile dall'alto Appenino reggiano (1860-1960), Felina 1998, über die Abwanderung von Frauen aus dem «alto Appennino reggiano» finden sich Parallelen. B. Henkes, Heimat in Holland. Deutsche Dienstmädchen 1920-1950, Staelener Manuskripte, Straelen/Niederrhein 1998, über die Abwanderung deutscher Mädchen nach Holland war besonders aufschlussreich, da die Arbeitsmigration wie in Südtirol auf einem politisch sehr gespannten und konfliktreichen Hintergrund stattfand.

2 Wir sind in den Gesprächen mit ehemaligen Dienstmädchen auf Hinweise gestossen, dass Süd- tirolerinnen bereits vor 1918 in den italienischsprachigen Gebieten, etwa im Trentino oder im Veneto, bei italienischen Familien in Stellung waren, doch mag es sich hier eher um ein begrenztes Phänomen gehandelt haben, das zahlenmässig sicherlich nicht mit der Arbeitsmigration in den 1930er-Jahren vergleichbar ist. Die Arbeitsmigration Richtung Schweiz, Süddeutschland und in die deutschsprachigen Gebiete des Habsburger Reiches war wohl wesentlich bedeutender.

3 Die Arbeitsmigration von Südtirolern im vergangenen Jahrhundert ist noch kaum untersucht worden. Die Arbeiten von L. Töpfer, Die Abwanderung deutschsprachiger Bevölkerung aus Südtirol nach 1955 (Beiträge zur alpenländischen Wirtschafts- und Sozialforschung 159) Innsbruck 1973, und S. Falch, Heimatfern. Die Südtiroler Arbeitsmigration der 1950er und 1960er Jahre (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 17), Innsbruck 2002, beschränken sich auf die Abwanderung in die deutschsprachigen Nachbarländer. Falch erwähnt die Abwanderung in den italienischen Raum nur am Rande.

4 U. Lüfter, M. Verdorfer, A. Wallnöfer, Wie die Schwalben fliegen sie aus. Südtirolerinnen als Dienstmädchen in italienischen Städten 1920-1960, Bozen 2006.

5 In mehreren Diözesanbriefen forderte der Bischof die Pfarrer in den Pfarrgemeinden auf, die Mädchen in diese Richtung zu beeinflussen. Auch im Sonntagsblatt, dem wichtigsten Presseorgan der örtlichen Kirche, das von den meisten Südtiroler Haushalten bezogen wurde, finden sich eindeutige, an die Mädchen gerichtete Appelle in diesem Sinn. 1934 warb die Katholische Aktion in der Wochenzeitung «Der Volksbote» unter dem Titel «Mädchenbildung für die Familie» für einen Jahreskurs zur Vorbereitung von schulentlassenen Mädchen von 15 Jahren aufwärts: «Die der Frau eigentümliche Tätigkeit ist jene in der Familie als Mutter, Erzieherin, Kinderfräulein [...]» Volksbote, 21. Juni 1934, S. 14.

6 Siehe dazu R. Sarti, «La domesticità en Italie durant la période du fascisme (1922-1943)», Sextant. Revue du Group interdisciplinaire d'Etude sur les Femmes, 2001/15-16, S. 165-203; Dies., «<Noi abbiamo visto tante città, abbiamo un’altra cultura.> Servizio domestico, migrazioni e identità di genere in Italia: uno sguardo di lungo periodo», Polis, vol. 18, Nr. 1, Bologna 2004, S. 17-46.

7 G. Salinari, «Anatomia di un gruppo senza storia. I domestici a Firenze (1800-1875)», Polis, vol. 18, Nr. 1, Bologna 2004, S. 54, hält in seinem Aufsatz fest, dass vor allem in entlegenen Bergregionen die Mobilität als Möglichkeit zur Bestreitung eines Einkommens immer in Betracht gezogen wurde.

8 Siehe O. Kiem, H. Mock, A. Zendron, «Entheimatung», in: Option Heimat Opzioni. Eine Geschichte Südtirols, hg. v. Tiroler Geschichtsverein, Bozen 1989, S. 43-108, hier bes. S. 47-52.

9 Die Erlernung einer Fremdsprache war und ist ein weitverbreitetes Motiv für das Annehmen einer auswärtigen Dienstelle. A.-L. Head-König verweist in The Emergence of a New Conception of Domestic Service in Switzerland (1870-1939), Paper Presented at the Second Seminar of the Servant Project, Domestic Service and the Emergence of a New Conception of Labour in Europe, Oslo, [ 266 ]13-15 June 2002, auf eine Schweizer Tradition, die sich im 17. Jahrhundert entwickelt und sich bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts gehalten hat: Mädchen gingen für eine bestimmte Zeit in den jeweils anderssprachigen Teil der Schweiz bei Familien in Stellung, um die ihnen fremde Sprache zu erlernen. Ähnliche Traditionen gab es auch in der Habsburger Monarchie. Siehe R. Sarti, «Conclusion. Domestic Service and European Identity», in: S. Pasleau, I. Schopp (Hg.), Proceedings of the Servant Project, Lüttich 2006, S. 195-284, S. 26.

10 Siehe K. Voigt, Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933-1945, Bd. 1, Stuttgart 1989, S. 66.

11 Eine Gesprächspartnerin erzählte, ihre Mutter habe sie erst gehen lassen, nachdem die Arbeitgeber versicherten, die Tochter gemeinsam mit ihnen das Essen einnehmen zu lassen.

12 Siehe dazu R. Sarti, «Quali diritti per la <donna>? Servizio domestico e identità di genere dalla Rivoluzione Francese a oggi», in: M. Palazzi, S. Soldani (Hg.), Lavoratrici e cittadine nell'Italia contemporanea, Torino (im Erscheinen, vgl. http://www.uniurb.it/scipol/drs_quali_diritti_per_la_ donna.pdf).

13 R. Bochsler, S. Gisinger, Dienen in der Fremde: Dienstmädchen und ihre Herrschaften in der Schweiz des 20. Jahrhunderts, Zürich 1989, S. 70 ff, 219 ff.

14 Bei der Einschätzung der Rolle der Frauenklöster in italienischen Städten waren wir nur auf die Berichte unserer Gesprächspartnerinnen angewiesen. Laut Auskunft der betreffenden Stellen haben sie kein diesbezügliches Material in ihren Archiven, jedenfalls haben wir nie etwas zu Gesicht bekommen.

15 Die Biografie von Mathilde Andergassen ist insofern besonders interessant, weil sie Südtirol aus politischen Gründen verlassen hat, paradoxerweise in eine italienische Stadt. Sie war während des Faschismus als Katakombenlehrerin tätig - sie unterrichtete illegal Südtiroler Kinder in deutscher Unterrichtssprache - und verbrachte 1932 einige Monate in einem Schwesternheim in Baldesaro bei Cuneo, um sich vor politischer Verfolgung in Südtirol zu schützen. Vom Oktober 1933 bis Juni 1934 besuchte Mathilde einen vom VDA (Verein für das Deutschtum im Ausland) finanzierten Jahreskurs in München zur Ausbildung der Südtiroler Notschullehrerinnen. Im Herbst 1934 begann sie wieder mit dem geheimen Deutschunterricht. Sie wurde angezeigt und in einer Verhandlung im März 1935 zu einer Geldstrafe verurteilt sowie unter Polizeiaufsicht gestellt. 1936 nahm sie auf Vermittlung einer Freundin, die schon in Mailand arbeitete, dort eine Stelle als Kindermädchen an: Sie war zuerst bei der Familie eines Universitätsprofessors mit zwei Kindern, danach bei einer Rechtsanwaltsfamilie mit fünf Kindern.

16 Vgl. dazu M. Verdorfer, Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918-1945, Wien 1990, S. 64 ff.

17 Das Umsiedlungsabkommen wurde am 23. Juni 1939 geschlossen. Durch die Umsiedlung der SüdtirolerInnen sollte das «Südtirolproblem», das die Kooperation der beiden faschistischen Dik¬ taturen Deutschland und Italien belastete, endgültig gelöst werden. Die SüdtirolerInnen mussten sich bis 31. Dezember 1939 entscheiden, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen und ins Deutsche Reich auswandern wollten oder ob sie italienische Staatsbürger bleiben wollten. An dieser Frage spaltete sich die Südtiroler Gesellschaft. Eine Mehrheit von etwa 86 Pozent entschied sich für die Umsiedlung, während die Minderheit der sogenannten Dableiber für den Verbleib in der Heimat warb. Vgl. dazu Option Heimat Opzioni. Eine Geschichte Südtirols, hg. v. Tiroler Geschichtsverein, Bozen 1989.

18 Diese befinden sich im Archivio Centrale dello Stato (ACS), Bestand des Innenministeriums, und wurden uns von Leopold Steurer zur Verfügung gestellt. Zur faschistischen Postzensur siehe V. Mittermair, «Der Staat liest mit: zensurierte Briefe aus Südtirol. Vorbemerkungen zu einer Forschungsarbeit», Der Schlern, 69, Heft 5, S. 279-291, Bozen 1996. Inzwischen gibt es auch zwei Bände, in denen eine grosse Anzahl zensurierter Briefe veröffentlich wird. C. v. Hartungen, F. Miori, T. Rosi (Hg.), Le lettere aperte 1939-43: VAlto Adige delle Opzioni, vol. 1 e 2, Bozen 2006.

19 Übersetzung: «Ich würde wegen des Krieges nie für Deutschland optieren, ich möchte in Tirol bleiben, ob unter Italien oder unter Deutschland, macht keinen Unterschied, im Gegenteil, in [ 267 ]Deutschland ist es wegen des Krieges schlechter. Hitler will immer Krieg. Schade, dass der Vater schon optiert hat, was getan ist, ist getan, da kann man nichts mehr ändern. Ich weiss nicht, was ich machen soll, ich habe noch nicht optiert, ich werde eine Nachricht bekommen, bis jetzt habe ich noch nichts gehört. Warum hat der Vater nur für Deutschland optiert? [.] Und was werdet ihr in Deutschland machen, dort ist Elend und Hunger. Und was macht ihr in Deutschland ohne den Hof?»

20 Vgl. dazu Lettere delle «Sorelle» dell'Opera di S. Zita, maschinengeschriebenes, unveröffentlichtes Manuskript, zur Verfügung gestellt von Diego Leoni. «Die Mädchen gehen mit Vorliebe nach Mailand; wir finden sie aber auch zahlreich in anderen Städten, wo die Gefahren gross sind, wo die Verlockungen des Luxus und des Vergnügens für viele zur traurigen Schule werden, in der sie die Flatterhaftigkeit, den Wunsch nach Unabhängigkeit und die Verachtung für das gesunde und einfache Leben der Berge lernen. So geben sie bei ihrer Rückkehr keine guten Ehefrauen mehr ab.» Auch in anderen ländlichen Gegenden Italiens gab es Klagen über die zurückkehrenden Dienst¬ mädchen, die das traditionelle Sozialgefüge sprengen würden. So hiess es in einem katholischen Lokalblatt La Voce im Jahr 1913: «Le figliuole vanno alla città in numero sempre più impressionante a servire i ricchi e ne ritornano [...] oh come ritornano! É meglio non dirlo.» Zit. nach D. Notari (wie Anm. 1), S. 137.

  1. 1 Eine Gruppe von Historikern aus Rovereto hat die schriftlichen Aufzeichnungen von Trentinerin- nen gesammelt: AA. VV., Per vito e per vestito (sulle condizioni di vita e di lavoro delle donne di servizio trentine), Corsi serali per lavoratori, 1980-1981, manoscritto inedito; D. Leoni, «La comunità delle donne di servizio», Materiali di lavoro, Rivista di studi storici, 4, 1983, Rovereto, S. 125-134. Auch in den beiden Büchern von D. Perco, Balie da latte. Una forma peculiare di emigrazione temporanea, Feltre 1984, über die Ammen aus der Umgebung von Feltre und Dalmazia und von D. Notari, Donne da bosco e da riviera. Un secolo di emigrazione femminile dall'alto Appenino reggiano (1860-1960), Felina 1998, über die Abwanderung von Frauen aus dem «alto Appennino reggiano» finden sich Parallelen. B. Henkes, Heimat in Holland. Deutsche Dienstmädchen 1920-1950, Staelener Manuskripte, Straelen/Niederrhein 1998, über die Abwanderung deutscher Mädchen nach Holland war besonders aufschlussreich, da die Arbeitsmigration wie in Südtirol auf einem politisch sehr gespannten und konfliktreichen Hintergrund stattfand.
  2. 2 Wir sind in den Gesprächen mit ehemaligen Dienstmädchen auf Hinweise gestossen, dass Süd- tirolerinnen bereits vor 1918 in den italienischsprachigen Gebieten, etwa im Trentino oder im Veneto, bei italienischen Familien in Stellung waren, doch mag es sich hier eher um ein begrenztes Phänomen gehandelt haben, das zahlenmässig sicherlich nicht mit der Arbeitsmigration in den 1930er-Jahren vergleichbar ist. Die Arbeitsmigration Richtung Schweiz, Süddeutschland und in die deutschsprachigen Gebiete des Habsburger Reiches war wohl wesentlich bedeutender.
  3. 3 Die Arbeitsmigration von Südtirolern im vergangenen Jahrhundert ist noch kaum untersucht worden. Die Arbeiten von L. Töpfer, Die Abwanderung deutschsprachiger Bevölkerung aus Südtirol nach 1955 (Beiträge zur alpenländischen Wirtschafts- und Sozialforschung 159) Innsbruck 1973, und S. Falch, Heimatfern. Die Südtiroler Arbeitsmigration der 1950er und 1960er Jahre (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte 17), Innsbruck 2002, beschränken sich auf die Abwanderung in die deutschsprachigen Nachbarländer. Falch erwähnt die Abwanderung in den italienischen Raum nur am Rande.
  4. 4 U. Lüfter, M. Verdorfer, A. Wallnöfer, Wie die Schwalben fliegen sie aus. Südtirolerinnen als Dienstmädchen in italienischen Städten 1920-1960, Bozen 2006.
  5. 5 In mehreren Diözesanbriefen forderte der Bischof die Pfarrer in den Pfarrgemeinden auf, die Mädchen in diese Richtung zu beeinflussen. Auch im Sonntagsblatt, dem wichtigsten Presseorgan der örtlichen Kirche, das von den meisten Südtiroler Haushalten bezogen wurde, finden sich eindeutige, an die Mädchen gerichtete Appelle in diesem Sinn. 1934 warb die Katholische Aktion in der Wochenzeitung «Der Volksbote» unter dem Titel «Mädchenbildung für die Familie» für einen Jahreskurs zur Vorbereitung von schulentlassenen Mädchen von 15 Jahren aufwärts: «Die der Frau eigentümliche Tätigkeit ist jene in der Familie als Mutter, Erzieherin, Kinderfräulein [...]» Volksbote, 21. Juni 1934, S. 14.
  6. 6 Siehe dazu R. Sarti, «La domesticità en Italie durant la période du fascisme (1922-1943)», Sextant. Revue du Group interdisciplinaire d'Etude sur les Femmes, 2001/15-16, S. 165-203; Dies., «<Noi abbiamo visto tante città, abbiamo un’altra cultura.> Servizio domestico, migrazioni e identità di genere in Italia: uno sguardo di lungo periodo», Polis, vol. 18, Nr. 1, Bologna 2004, S. 17-46. 7 G. Salinari, «Anatomia di un gruppo senza storia. I domestici a Firenze (1800-1875)», Polis, vol. 18, Nr. 1, Bologna 2004, S. 54, hält in seinem Aufsatz fest, dass vor allem in entlegenen Bergregionen die Mobilität als Möglichkeit zur Bestreitung eines Einkommens immer in Betracht gezogen wurde. 8 Siehe O. Kiem, H. Mock, A. Zendron, «Entheimatung», in: Option Heimat Opzioni. Eine Geschichte Südtirols, hg. v. Tiroler Geschichtsverein, Bozen 1989, S. 43-108, hier bes. S. 47-52. 9 Die Erlernung einer Fremdsprache war und ist ein weitverbreitetes Motiv für das Annehmen einer auswärtigen Dienstelle. A.-L. Head-König verweist in The Emergence of a New Conception of Domestic Service in Switzerland (1870-1939), Paper Presented at the Second Seminar of the Servant Project, Domestic Service and the Emergence of a New Conception of Labour in Europe, Oslo,
  7. 7 G. Salinari, «Anatomia di un gruppo senza storia. I domestici a Firenze (1800-1875)», Polis, vol. 18, Nr. 1, Bologna 2004, S. 54, hält in seinem Aufsatz fest, dass vor allem in entlegenen Bergregionen die Mobilität als Möglichkeit zur Bestreitung eines Einkommens immer in Betracht gezogen wurde.
  8. 8 Siehe O. Kiem, H. Mock, A. Zendron, «Entheimatung», in: Option Heimat Opzioni. Eine Geschichte Südtirols, hg. v. Tiroler Geschichtsverein, Bozen 1989, S. 43-108, hier bes. S. 47-52.
  9. 9 Die Erlernung einer Fremdsprache war und ist ein weitverbreitetes Motiv für das Annehmen einer auswärtigen Dienstelle. A.-L. Head-König verweist in The Emergence of a New Conception of Domestic Service in Switzerland (1870-1939), Paper Presented at the Second Seminar of the Servant Project, Domestic Service and the Emergence of a New Conception of Labour in Europe, Oslo,
  10. 10 Siehe K. Voigt, Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933-1945, Bd. 1, Stuttgart 1989, S. 66.
  11. 11 Eine Gesprächspartnerin erzählte, ihre Mutter habe sie erst gehen lassen, nachdem die Arbeitgeber versicherten, die Tochter gemeinsam mit ihnen das Essen einnehmen zu lassen.
  12. 12 Siehe dazu R. Sarti, «Quali diritti per la <donna>? Servizio domestico e identità di genere dalla Rivoluzione Francese a oggi», in: M. Palazzi, S. Soldani (Hg.), Lavoratrici e cittadine nell'Italia contemporanea, Torino (im Erscheinen, vgl. http://www.uniurb.it/scipol/drs_quali_diritti_per_la_ donna.pdf).
  13. 13 R. Bochsler, S. Gisinger, Dienen in der Fremde: Dienstmädchen und ihre Herrschaften in der Schweiz des 20. Jahrhunderts, Zürich 1989, S. 70 ff, 219 ff.
  14. 14 Bei der Einschätzung der Rolle der Frauenklöster in italienischen Städten waren wir nur auf die Berichte unserer Gesprächspartnerinnen angewiesen. Laut Auskunft der betreffenden Stellen haben sie kein diesbezügliches Material in ihren Archiven, jedenfalls haben wir nie etwas zu Gesicht bekommen.
  15. 15 Die Biografie von Mathilde Andergassen ist insofern besonders interessant, weil sie Südtirol aus politischen Gründen verlassen hat, paradoxerweise in eine italienische Stadt. Sie war während des Faschismus als Katakombenlehrerin tätig - sie unterrichtete illegal Südtiroler Kinder in deutscher Unterrichtssprache - und verbrachte 1932 einige Monate in einem Schwesternheim in Baldesaro bei Cuneo, um sich vor politischer Verfolgung in Südtirol zu schützen. Vom Oktober 1933 bis Juni 1934 besuchte Mathilde einen vom VDA (Verein für das Deutschtum im Ausland) finanzierten Jahreskurs in München zur Ausbildung der Südtiroler Notschullehrerinnen. Im Herbst 1934 begann sie wieder mit dem geheimen Deutschunterricht. Sie wurde angezeigt und in einer Verhandlung im März 1935 zu einer Geldstrafe verurteilt sowie unter Polizeiaufsicht gestellt. 1936 nahm sie auf Vermittlung einer Freundin, die schon in Mailand arbeitete, dort eine Stelle als Kindermädchen an: Sie war zuerst bei der Familie eines Universitätsprofessors mit zwei Kindern, danach bei einer Rechtsanwaltsfamilie mit fünf Kindern.
  16. 16 Vgl. dazu M. Verdorfer, Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918-1945, Wien 1990, S. 64 ff.
  17. 17 Das Umsiedlungsabkommen wurde am 23. Juni 1939 geschlossen. Durch die Umsiedlung der SüdtirolerInnen sollte das «Südtirolproblem», das die Kooperation der beiden faschistischen Dik¬ taturen Deutschland und Italien belastete, endgültig gelöst werden. Die SüdtirolerInnen mussten sich bis 31. Dezember 1939 entscheiden, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen und ins Deutsche Reich auswandern wollten oder ob sie italienische Staatsbürger bleiben wollten. An dieser Frage spaltete sich die Südtiroler Gesellschaft. Eine Mehrheit von etwa 86 Pozent entschied sich für die Umsiedlung, während die Minderheit der sogenannten Dableiber für den Verbleib in der Heimat warb. Vgl. dazu Option Heimat Opzioni. Eine Geschichte Südtirols, hg. v. Tiroler Geschichtsverein, Bozen 1989.
  18. 18 Diese befinden sich im Archivio Centrale dello Stato (ACS), Bestand des Innenministeriums, und wurden uns von Leopold Steurer zur Verfügung gestellt. Zur faschistischen Postzensur siehe V. Mittermair, «Der Staat liest mit: zensurierte Briefe aus Südtirol. Vorbemerkungen zu einer Forschungsarbeit», Der Schlern, 69, Heft 5, S. 279-291, Bozen 1996. Inzwischen gibt es auch zwei Bände, in denen eine grosse Anzahl zensurierter Briefe veröffentlich wird. C. v. Hartungen, F. Miori, T. Rosi (Hg.), Le lettere aperte 1939-43: VAlto Adige delle Opzioni, vol. 1 e 2, Bozen 2006.
  19. 19 Übersetzung: «Ich würde wegen des Krieges nie für Deutschland optieren, ich möchte in Tirol bleiben, ob unter Italien oder unter Deutschland, macht keinen Unterschied, im Gegenteil, in