Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen (1998)/27

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Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen  (1998)  by [[Author:{{{author}}}|{{{author}}}]]
«… und dann sind wir herausgekommen …». Zur Wahrnehmung von Option und Umsiedlung der SüdtirolerInnen
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[ 351 ]«... UND DANN SIND WIR HERAUSGEKOMMEN ...»


ZUR WAHRNEHMUNG VON OPTION UND UMSIEDLUNG DER SÜDTIROLERINNEN


Sabine Schweitzer


Résumé


«... et après, on est sorti ...». À propos de la perception de l'«option de 1939» et de la migration des habitants du sud du Tirol


La présente contribution propose une «description dense» de la perspective autobiographique des migrantes du sud du Tirol; elle repose sur un corpus d’interviews sur des histoires de vie. Il s’agit en l’occurence d’une reconstruction du vécu - des «Lebenswelten» - des migrantes dans le cadre de la soi-disant «option de 1939», de leur vie quotidienne, de leurs expériences et de leurs vues des choses, de leurs interprétations et de leurs marges de manœuvre, ainsi que de leur attitude actuelle face à leur histoire. À partir du cas d’Antonia O., il est possible de montrer qu’au moment de l’événement les personnes directement concernées n’ont pas nécessairement perçu la migration comme une césure, mais bien plutôt comme une décision logique liée au mariage et à la famille. La migration a été interprétée comme une rupture que plus tard, en lien avec de nouvelles expériences et par la confrontation avec la «mémoire collective». Ainsi l’approche biographique offre-t-elle un correctif aux hypothèses dominantes de la recherche sur les migrations, dans la mesure où elle fait apparaître que la césure supposée de la migration n’a souvent pas été perçue comme telle par les personnes concernées, les agents.
[ 352 ]“We teil ourselves stories of our past,

make ficitons or stories of it, and these

narrations become the past, the only part

of our lives that is not submerged.”

(Carolyn G. Heilbrun, Writing a Woman’s Life)[1]


Am 10. September 1940 verliess Antonia O.,[2] gerade 27 Jahre alt, gemeinsam mit ihrem Ehemann und dem erstgeborenen Kind Südtirol in Richtung Deutsches Reich. Die Fahrt verlief von B., einer Südtiroler Kleinstadt, über Innsbruck nach Wien, seit dem «Anschluss Österreichs»[3] Teil des Reichs. Die Migration war die Folge des nazi-faschistischen Abkommens zur Option und Umsiedlung der deutsch-, ladinisch- und - eingeschränkt - der italienischsprachigen Bevölkerung Südtirols. Am Beispiel der Lebenskonstruktion[4] von Antonia O. soll im folgenden der Frage der Wahrnehmung und Deutung dieser spezifischen Form der Migration durch die Akteurin nachgegangen werden. Diese Fallgeschichte - als Repräsentantin für den Umgang mit sozialer Wirklichkeit und damit Bestandteil derselben - dient der Rekonstruktion des Allgemeinen an einem konkreten Einzelfall. Vorangestellt sind methodologische Überlegungen zum Umgang mit biographischen Quellen sowie eine kurze Einführung in das Thema der «Umsiedlung der Südtirolerlnnen».


VOM UMGANG MIT LEBENSGESCHICHTLICHEN QUELLEN

Grundlage der folgenden Ausführungen zur Rekonstruktion der autobiographischen Perspektive der einzelnen Akteurinnen sind lebensgeschichtliche Narrativinterviews[5] mit Südtiroler Umsiedlerinnen. Durch die biographische Herangehensweise können Annahmen der herkömmlichen Migrationsforschung hinterfragt beziehungsweise neu beleuchtet werden. Im Gegensatz zu dem am häufigsten verwendeten Modell der Migrationsforschung, dem sogenannten Pull-Push-Modell, welches durch die strikte, statische Trennung zwischen Herkunfts- und Aufnahmegebiet zwei verschiedene, unüberbrückbare und unverbindbare Welten konstruiert, innerhalb derer die Subjekte der Geschichte fast vollständig aus der Analyse verschwinden beziehungsweise - maximal - als passive Marionetten der Strukturen von Herkunfts- und Aufnahmegebiet sichtbar werden, ermöglicht die Thematisierung [ 353 ]der biographischen Ebene den Blick auf und die Analyse der Erfahrungsebene der Akteurlnnen, wie sie selbst die Migration erfahren, erlebt und gedeutet haben. Es kann somit auch untersucht werden, ob für die einzelnen die Migration einen zentralen Einschnitt im Leben darstellte, oder ob nicht vielmehr Kontinuitäten dominierten, oder aber andere Diskontinuitäten bedeutsamer waren. Nicht zuletzt kann dadurch die Fähigkeit der einzelnen untersucht werden, unter Einsatz ihres «sozialen Kapitals» mit Veränderungen umzugehen.

Trotz der möglichst weitgehenden Zurückhaltung des/r Interviewerin ist jedes Interview das Produkt einer Interaktion von Biographin und Zuhörerin.[6] Der so produzierte biographische Text richtet sich stark nach den aktuellen Interessen, danach, was der/die Biographin sein will und darf beziehungsweise was der/die Interviewerin hören will und nicht hören will.[7] Biographische Selbstpräsentation bedeutet immer Selektivität, das heisst Ausschliessungen von Erfahrungen, Betonungen von anderen Erfahrungen, welche nicht zuletzt zur Konstruktion von «Identität»[8] beitragen. Soziale Konstruktionen, und biographische im besonderen, haben für das handelnde Subjekt die Funktion, Identität und Kontinuität zu sichern, insbesondere dann, wenn Situationen wechseln. Gerade in Situationen gesellschaftlicher Desorientierung, von Umbrüchen oder Wandel wird die gegenseitige Erzählung, wer man war, was man gemacht hat, zentral.

Das Ergebnis sind Datentexte, welche möglichst lückenlos die Ereignisverstrickungen und die lebensgeschichtliche Erfahrungsaufschichtung des/r Biographin reproduzieren und «den sozialen Prozess der Entwicklung und Wandlung einer biographischen Identität kontinuierlich, das heisst ohne exmanente, aus dem Methodenzugriff oder den theoretischen Voraussetzungen des Forschers motivierte Interventionen und Ausblendungen darstellen».[9] Derartige erzählte Lebensgeschichten sind in ihrer Entstehung an die Gegenwart ihrer Produktion gebunden, welche den Rückblick auf die Vergangenheit bestimmt. Erzählte Lebensgeschichten sind somit keine Wiederspiegelungen der vergangenen Realität, nicht die in der Vergangenheit gelebte Realität. Vielmehr reflektiert die erzählte Lebensgeschichte in der Vergangenheit gelebte Erfahrungen und Erlebnisse - das «gelebte Leben»

- gefiltert und modifiziert durch spätere Lebenserfahrungen.[10] Darüber hin aus verweisen biographische Darstellungen auch auf Zukunftsperspektiven der Interviewpartnerinnen, auf Pläne, Hoffnungen, Potentialitäten in der Zukunft. Mit M. Pollack gesprochen ist «Erinnerung [...] aufs engste [ 354 ]mit Zukunftsprojektionen verbunden».[11] Die erzählte Lebensgeschichte repräsentiert somit die Gesamtkonstruktion der jeweiligen Vergangenheit und der Zukunftserwartungen der Biographlnnen, in denen biographisch relevante Erfahrungen in zeitliche und thematische Zusammenhänge gebracht werden. Die Erzählung der eigenen Lebensgeschichte, die «Biographie», ermöglicht es dem/r Biographin, Erinnerungen und Erwartungen zu formieren und Orientierung im Sinne von Erwartungssicherheit und von retrospektiver Interpretation zu leisten. Somit ist das biographische Konstrukt beides, die soziale als auch die erfahrene Wirklichkeit des/r Biographin. Biographische Konstruktionen sind äusserst komplexe und einzigartige Leistungen der Subjekte. Diese können jedoch ihre Biographien nicht frei konstruieren, sondern sind in soziale Beziehungen und Strukturen eingebunden, mit A. Giddens gesagt, sie sind im sozialen Raum «positioniert».[12] Die Strukturen, R Bourdieu nennt sie «Laufbahnen im sozialen Raum»,[13] werden von handelnden Subjekten produziert und reproduziert. Die Akteurlnnen schöpfen Möglichkeitsräume aus oder verschenken sie, überschreiten Grenzen und richten neue Grenzen auf. «Lebenswelten» sind somit «biographisch konstituiert».Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content Anders gesagt, Individuen sind aktive Konstrukteurlnnen ihrer Wirklichkeit, sie sind jedoch im Prozess des Konstruierens keineswegs frei und können nicht beliebig an ihrer Biographie «basteln». Dennoch sind Individuen nicht zur blossen Reproduktion gesellschaftlicher Strukturen gezwungen, sondern können diese durch ihre Handlungen auch verändern. Die einzelnen Subjekte konstruieren durch ihr Handeln alltäglich ihre Wirklichkeit, sie erzeugen Wirklichkeit. Die im Interviewtext dargestellte Biographie stellt in diesem Rahmen - als fortlaufend reflexiver Prozess - die aktive Konstruktionsleistung der Akteurlnnen dar.

Das «gelebte Leben und das textlich dargestellte Leben, das erzählte Leben, sind verschieden, auch wenn sie irgendwie Zusammenhängen. Biographie ist ein Text über ein Leben, ist nicht einfach Phantasie, sondern hängt ab von einem gelebten Leben».[14] Beide Ebenen der Interpretation, das erlebte und das erzählte Leben, stehen immer in einem dialektischen Verhältnis, produzieren sich gegenseitig. Die Rekonstruktion beider Ebenen wird durch die von G. Rosenthal vorgeschlagene, der abduktiven Forschungslogik[15] folgende «hermeneutische Fallrekonstruktion» gewährleistet.[16] Diese Interpretationsmethode garantiert durch das rekonstruktive Vorgehen entlang der Konstruktionsregeln der lebensgeschichtlichen Erzählungen die Offenheit für die Besonderheiten des Einzelfalls und für die Entdeckung neuer Zu[ 355 ]sammenhänge im Gegenstandsbereich und trägt dem Prozesscharakter und der Gestalt lebensgeschichtlicher Erzählungen Rechnung. Es geht folglich in der Interpretation darum, die dialektische Beziehung der Handlungen der Akteurlnnen und die diesen zugrunde liegenden Strukturen - welche vielfach den Handelnden nicht intentional zugänglich sind - sowie deren Bedeutung für die Wahrnehmung des gelebten Lebens zu rekonstruieren.


DIE OPTION UND UMSIEDLUNG DER SÜDTIROLERINNEN UND SÜDTIROLER[17]

Im Jahre 1939 wurden zwischen dem nationalsozialistischen Deutschen Reich und dem faschistischen Italien Verträge zur Eliminierung eines potentiellen Konfliktherdes abgeschlossen. Dabei handelte es sich um das mehrheitlich deutsch- und ladinischsprachige Gebiet der heutigen Autonomen Provinz Bozen, welches nach dem Ersten Weltkrieg als Kompensation für den italienischen Kriegseintritt an der Seite der Entente an Italien angegliedert worden war. Die Verträge beinhalteten, dass sich die deutsch- und ladinischsprachigen sowie teilweise auch die italienischsprachigen Südtirolerlnnen bis Ende des Jahres 1939 zwischen der deutschen und der italienischen Staatsbürgerschaft entscheiden mussten. Erstere - eine Option für Deutschland - beinhaltete eine Umsiedlung - im NS-Jargon «Rucksiedlung» - ins Reich, während die Option für Italien einen Verbleib in der Provinz unter Verzicht auf jeglichen Minderheitenschutz bedeutete. Einschränkend ist festzuhalten, dass nicht die Südtirolerlnnen die Optionsentscheidung zu treffen hatten, sondern lediglich der männliche Bevölkerungsanteil, da laut Options-vereinbarungen die sogenannten Familienoberhäupter für sich selbst, ihre Ehefrauen und die minderjährigen Kinder zu optieren hatten. Folglich konnten nur ledige volljährige Frauen beziehungsweise Witwen eine selbständige Entscheidung treffen.[18] Die Umsiedlung diente - neben der Beseitigung eines potentiellen Konfliktpunktes und der sogenannten «ethnischen Flurbereinigung» - noch einem weiteren Ziel: Deutschland war aus vorwiegend ökonomischen Gründen an einer vollständigen Umsiedlung interessiert. Es benötigte Arbeitskräfte in der Rüstungsindustrie beziehungsweise «Menschenmaterial» für den bevorstehenden Krieg und die «Germanisierung» der zu erobernden Gebiete im Osten.

Unter dem Einfluss einer Propagandaschlacht unter den Schlagworten [ 356 ]«Heimat» oder «Volk» entschieden sich rund 86% der Südtiroler Bevölkerung, rund 190’000 - 200’000 Personen, für die deutsche Staatsbürgerschaft. Noch im Herbst 1939 begannen erste Einzelumsiedlungen, verstärkt durch organisierte Massenumsiedlungen ab dem Jahre 1940. Bereits ab 1941 waren die Umsiedlungen rückläufig, ehe sie im September 1943, dem Zeitpunkt des deutschen Einmarsches in Italien - vorübergehend, wie es hiess - eingestellt wurden. Im Laufe dieser 4 Jahren siedelten rund 76’000 SüdtirolerInnen ins Reich, in erster Linie sozial schwächer gestellte beziehungsweise besitzlose SüdtirolerInnen, darüber hinaus aber auch ahlreiche SüdtirolerInnen, welche durch die Umsiedlung einen sozialen Aufstieg anstrebten.Die Ansiedlung erfolgte verstreut, vorwiegend in den Gebieten des heutigen Öster- reichs - und hier vor allem in Tirol und Vorarlberg - und in Süddeutschland, vereinzelt auch in Luxemburg, im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren und im heutigen Gebiet Sloweniens.

Nach Kriegsende ermöglichte das sogenannte Optantendekret von 1948 das Wiederansuchen um die italienische Staatsbürgerschaft, für die Umsiedlerinnen verbunden mit der Möglichkeit zur Rücksiedlung. Letztere wurde - aus verschiedensten Gründen - nur von den wenigsten in Angriff genommen. Insgesamt siedelten ab 1943, dem deutschen Einmarsch in Italien, zunächst illegal, ab 1948 legal zwischen 15’000 und 25’000 Personen nach Südtirol zurück.[19] Der überwiegende Rest lebt heute noch in den Gebieten Österreichs.


EIN FALLBEISPIEL

Antonia O. ist eine von diesen. Sie wurde noch vor dem Ersten Weltkrieg im italienischsprachigen Trentino geboren. Anfang der 1930er Jahre kam sie nach Südtirol, wo sie in verschiedenen Orten als öffentliche Bedienstete - also für die faschistischen Machthaber - tätig war. In einer Südtiroler Kleinstadt lernte sie ihren späteren Ehemann kennen, welcher, obwohl aus deutschsprachiger Familie stammend, ebenfalls für die Faschisten arbeitete. Im Jahre 1937 wurde das erste Kind geboren, noch bevor das Paar im November 1939[20] heiratete. 1939 erfolgte auch die Option für Deutschland, gefolgt von der Umsiedlung in die «Ostmark» im September 1940. Der Ehemann erhielt sofort eine Stelle als Beamter - war nunmehr für die Nationalsozialisten tätig - ehe er 1941 zur Wehrmacht eingezogen wurde. 1945, kurz vor [ 357 ]Kriegsende fiel der Ehemann im Krieg. Die Biographin blieb - mittlerweile Mutter von drei Kleinkindern - alleine in Wien zurück. Trotz der Möglichkeit zur Rückkehr nach Südtirol entschied sich Antonia O. für einen Verbleib in Österreich. Heute lebt sie allein in der österreichischen Bundeshauptstadt, in jener Wohnung, welche sie 1940 gemeinsam mit ihrem Ehemann bezogen hatte. Die heute verhärmte Frau ist von ihrem Leben, von dem sie - wie sie meint - «nichts gehabt» hat (1:25:22),[21] enttäuscht, da sie ihre Lebenserwartungen - vor allem den sozialen Aufstieg - nicht verwirklichen hatte können.

In der erzählten Lebensgeschichte von Frau O. dominieren - wie vielfach für Lebensgeschichten von Frauen charakteristisch[22] - die Themenfelder Ehe und Familie. Die Lebenskonstruktion ist in vielen Bereichen an das Geschlecht als soziale Konstruktion gebunden: die Selbstkonstruktion erfolgt in Form einer «Ich-in-Beziehung»-Setzung zu anderen, das heisst der Verknüpfung der eigenen Biographie mit jenen relevanter biographischer Interaktionspartnerinnen, im vorliegenden Fall mit dem allernächsten Familienkreis. Über weite Strecken tritt das Subjekt zudem hinter ein Kollektivsubjekt, das «wir», zurück beziehungsweise verschwindet teilweise aus der Erzählung.

Auf die beiden in unserem Zusammenhang relevanten Themenbereiche, Option und Umsiedlung, kommt die Biographin in den beiden Interviews nur am Rande zu sprechen. Im Gegensatz zum «kollektiven Gedächtnis»[23] Südtirols, dessen zentraler Themenbereich die Option ist, während die Umsiedlung kaum thematisiert wird,25 wird in der biographischen Erzählung von Frau O. die Option weitestgehend ausgeklammert, lediglich in einer Delegation der Optionsentscheidung an den Ehemann bestehend: «mein Mann [...] hat dann unterschrieben für die Familie» (1:1:31 f.). Warum die Familie beziehungsweise der Ehemann für die deutsche Staatsbürgerschaft optiert hatte, kann nur indirekt aus dem Interview geschlossen werden: die veränderte ideologische Haltung des Ehemannes - er wurde zum Anhänger des Nationalsozialismus - führte zu einem Arbeitsangebot als Beamter in Wien, welche eine Gleichstellung, wenn nicht eine soziale Besserstellung der Familie in Aussicht stellte. Antonia O. klammert sich in ihrer Lebensgeschichte aus dem Entscheidungsprozess der Option aus. Zwar entspricht die Aussage, wonach der «Mann unterschrieben hat», der historischen Realität, wonach Familienoberhäupter für die Familienmitglieder mit optieren mussten. Dennoch würde uns eine oberflächliche Übernahme dieser Darstellung zu [ 358 ]der Annahme führen, dass die Biographin - und mit ihr wohl viele andere Ehefrauen auch - nicht in den Entscheidungsprozess mit einbezogen waren. Vor dem Hintergrund der Eheschliessung im November 1939 ist diese Präsentation jedoch zu hinterfragen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Bestimmungen zur Option bereits erlassen, die Optionspropaganda in vollem Gange und die Auswirkungen auf die Südtiroler Gesellschaft deutlich spürbar. Die Heirat zu diesem Zeitpunkt war damit gleichbedeutend mit der Entscheidung für eine Deutschlandoption oder doch zumindest mit deren Akzeptanz. Nicht zuletzt, weil Frau O. als gebürtige Trentinerin nicht in die Optionsvereinbarungen fiel und somit selbst auch nicht optieren hätte können, stellte die Eheschliessung die einzige Möglichkeit dar, mit dem Mann, dem Vater ihres illegitimen Kindes, zusammenzubleiben. Eine Deutschlandoption und damit verbunden eine mögliche Umsiedlung wurde von Frau O. als Preis für diese Heirat in Kauf genommen. Heute, angesichts der Ereignisse nach der Umsiedlung, wird die Entscheidung jedoch als falsch interpretiert.

Aufgrund der Lebenskonstruktion darf Frau O. ihren eigenen Anteil an der Option jedoch nicht thematisieren.

Anders gesagt. Frau O. präsentiert sich in ihrer Lebenserzählung als eine Frau, die immer die richtige Entscheidung getroffen hat. Um diese positive Selbstdarstellung nicht zu gefährden, muss konsequenterweise die Eheschliessung aus der Lebenserzählungen ausgeklammert werden. Die biographische Lebenskonstruktion als selbstbewusste und entscheidungskräftige Frau findet ihren Ausdruck im gesamten Interview, in welchem sich Antonia O. als Akteurin darstellt, wenn Entscheidungen - aus heutiger Sicht- positive Resultate mit sich gebracht hatten. So präsentiert sich die Biographin beispielsweise bei allen früheren Umzügen durchaus als diejenige, welche die Entscheidungen gefällt hatte. Sie nimmt auch konsequent die Verantwortung für diese Schritte für sich in Anspruch. Hingegen werden Entscheidung, deren Auswirkungen heute als negativ empfunden werden, durchweg anderen Personen zugeschrieben. So auch die Option, in welcher sich die Biographin als passive, erleidende Frau darstellt, deren einzige Aufgabe darin besteht, der Entscheidung des Ehemannes zu folgen.

Die Gründe für diese markante Rekonstruktion der Wahrnehmung liegen in den nachfolgenden Ereignisse und Erfahrungen. Während Antonia O. in der Eingangssequenz des Erstinterviews auf die Umsiedlung im September 1940 folgendermassen rekurriert: «[...] und dann sind wir herausgekommen, aber gelitten haben wir nicht [...]» (1:1:33), und damit den Eindruck eines [ 359 ]damals wenig herausragenden, und folglich auch nicht weiter erzählungswürdigen Ereignisses vermittelt, verändern nachfolgende Ereignisse diese frühere Wahrnehmung. Anders gesagt, zum Zeitpunkt der Umsiedlung entsprach die Akzeptanz der Optionsentscheidung des Ehemannes - welche in der Eheschliessung ihren Ausdruck findet - vollkommen den eigenen Wertvorstellungen an die Rolle der «guten Ehefrau». Diese bestanden nicht zuletzt darin, die Entscheidungen des Partners mit zu tragen, auch wenn dies Opfer für die Frau bedeutete. Die Wahrnehmung als Normalität liegt darüber hinaus in der Tatsache begründet, dass die Biographin durch mehrmalige Umzüge nach und innerhalb Südtirols bereits an Migrationen - wenn auch in anderem Stile - gewöhnt war und damit auf einen Wissensvorrat im Umgang mit Umzügen und mit Akkulturation zurückgreifen konnte.[24]

Aufgrund späterer Ereignisse stellt die Biographin diese Normalität heute in Frage. Das zentrale Ereignis für diese Reinterpretation ist der frühe Tod des Ehemannes in den letzten Kriegstagen. Dieser hatte den Entzug des emotionalen Bezugspunktes, des Schutzes vor Anfeindungen und Diffamierungen, aber auch die Notwendigkeit einer Neuorientierung - nunmehr als alleinstehende Mutter von drei Kleinkindern in einer fremdsprachigen Umwelt - zur Folge. Der Tod bedeutete für die Biographin einen traumatischen emotionalen Verlust, über welchen sie bis heute nicht hinweg gekommen ist. Nachträglich wird der Tod des Ehemannes im Lichte der Umsiedlung interpretiert: wäre die Familie nicht nach Österreich gekommen, wäre der Ehemann nicht in die Wehrmacht eingezogen worden und folglich auch nicht gestorben.[25] Durch diesen Verlust war Frau O. nunmehr in einer exklusiv fremdsprachigen und vielfach als fremd und abweisend empfundenen Umwelt auf sich allein gestellt. Gab es in Südtirol noch andere italienischsprachige Bewohnerinnen, so war diese Kommunikationsmöglichkeit durch die Umsiedlung entfallen, der Ehemann durch die Umsiedlung zum einzigen Kommunikationspartner der Frau geworden. Solange sie sich auf ihre Familie konzentrieren konnte, benötigte Antonia O. aber auch keine anderen Kommunkationspartnerlnnen. Die Distanzierung zur Aufnahmegesellschaft war unter anderem die Folge verschiedener Diskriminierungen. In der nationalsozialistischen Gesellschaft, welche weitestgehend auf «Rassen»-Unterschiede begründet war, bedeutete das «Anderssein» der Frau - das heisst Aussehen und Muttersprache - Anfeindungen und Diskriminierungen, ferner auch eine Gefahrenquelle. So wurde die Biographin beispielsweise mit dem Vorwurf der jüdischen Abstammung konfrontiert, ein [ 360 ]Vorwurf, der in der nationalsozialistischen Gesellschaft auch lebensgefährlich sein konnte. Zunächst bot ihr die «Abstammung» des Ehemannes, sein «Deutschtum», Schutz und Gefahrenabwendung. Durch seinen Tod entfiel der Biographin neben der Kommunikationsmöglichkeit auch dieser Schutz.

Sie war nun zu Kontakten - wenngleich marginalen - mit anderen Personen gezwungen. Angesichts der negativen Erfahrungen mit vielen Mitgliedern der Aufnahmegesellschaft beschränkten sich die Freundschaften von Antonia O. jedoch auf andere Umsiedlerinnen, und dies, obwohl in der österreichischen Bundeshauptstadt die Anzahl der Umsiedlerinnen sehr gering war und deren Wohnorte vielfach in grösser Distanz zueinander lagen. Diese Wahl der Freundinnen spiegelt die Schwierigkeiten der Akkulturation in der neuen Umgebung wider, zeigt jedoch auch Spuren der eigenen Abgrenzung von den Bewohnerinnen Wiens. Diese Distanzierung findet darin ihren Ausdruck, dass Frau O. in den Nachkriegsjahren versuchte, sich eine neue «Identität» als Italienischlehrerin zu erarbeiten und damit verbunden eine neue Wertschätzung zu gewinnen. Italienischkenntnisse - als herausragende Fähigkeiten gegenüber dem Grossteil der Mitglieder der Aufnahmegesellschaft - bedeuteten in der neuen Umgebung Abgrenzungsmöglichkeiten und damit verbunden soziale Unabhängigkeit und Stärke, wodurch Anfeindungen besser begegnet werden konnte.

All diese Entwicklungen werden durch die Biographin heute als direkte Folgen der Umsiedlung gewertet. Daher erfolgte im nachhinein eine derartig markante Neubewertung der Migration, welche in deutlichem Kontrast zur ursprünglichen Wahrnehmung dieses Schrittes zum Zeitpunkt des Erlebens steht. Nicht zuletzt nimmt die Reinterpretation von Option und Umsiedlung auch Bezug auf das «kollektive Nachkriegsgedächtnis» Südtirols, welches mit dem Schlagworten «verdrängen und vergessen» zusammengefasst werden kann. In Südtirol dominierte der - letztlich erfolgreiche - Versuch, sich selbst als Opfer, verstärkt noch als doppelte Opfer von Faschismus und Nationalsozialismus zu begreifen. Anhand dieses Mythos wurden die Einwohnerinnen Südtirols zu passiven Opfern der Strukturen, besser der Diktatoren, und hatten - so die Darstellung - keine Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten. Beginnend in den 1980er Jahren wurde von seiten kritischer Historikerinnen vermehrt die Verstrickungen der Bevölkerung in den Nationalsozialismus diskutiert und damit der einseitige Opfermythos in Frage gestellt. Die Reaktion im öffentlichen Diskurs war ein verstärkter Rekurs auf den Opfermythos, nun vor allem darauf konzentriert. [ 361 ]dass man/frau damals, das heisst 1939, «von nichts gewusst hatte». Auf die sen Diskurs nimmt auch die Biographin Bezug: «wir [h]aben ni[chts] gewusst von Optionen und so, da [h]ätte [ich] gesagt [...] tut mir leid ich will da mit meine Leute bleiben aber da [bei der Umsiedlung] hatte ich schon einund-, einundhalb Kind» (1:23:17 f.). Wir können den Gedankengang der Biographin folgendermassen zusammenfassen: Hätte sie bei der Option und Umsiedlung schon gewusst, was nachher passiert wäre beziehungsweise welchen Vorwürfen sie später ausgesetzt war, wäre sie nicht nach Österreich gekommen. Dadurch glaubt sie sich auch aus der Verantwortung für die Deutschlandoption stehlen zu können.

Abschliessend soll im Zusammenhang mit dem «kollektiven Gedächtnis» in Südtirol noch auf Strategien zur sogenannten «Vergangenheitsbewältigung» eingegangen werden. Überpointiert können diese für Südtirol folgendermassen zusammengefasst werden: «da wir damals von nichts gewusst haben, brauchen wir uns auch keine Gedanken mehr darüber machen». Am vorliegenden Beispiel soll diese Frage jedoch genauer dargestellt werden, hätte Frau O. ja nicht nur eine nationalsozialistische, sondern auch eine faschistische Vergangenheit zu bewältigen gehabt. Doch obwohl sich die Biographin eigentlich heute noch über ihren Beruf als Beamtin definiert, scheint es ihr nicht notwendig, ihre Rolle im Faschismus zu überdenken. Damit über¬ nimmt sie Elemente des italienischen «kollektiven Gedächtnisses», welches über lange Zeit durch den Hinweis auf die eigene Befreiung vom Faschismus im Jahre 1943 eine Reflexion des eigenen Anteils daran nicht notwendig erscheinen liess. Offensichtlich interpretiert auch unsere Biographin ihre Umsiedlung als eigenständige «Befreiung» vom Faschismus. Ihr Anteil am Faschismus ist folglich nicht reflexionsbedürftig. Schwieriger wird hingegen der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Obwohl für Frau O. - trotz der Übernahme zahlreicher Elemente nationalsozialistischen Gedankengutes28 - nicht direkt der Vorwurf des Nationalsozialismus abgeleitet werden kann, muss doch auf die Tatsache hingewiesen werden, dass die Südtirolerlnnen durch die Umsiedlung in einem engen Näheverhältnis zum Nationalsozialismus standen: die Option und Umsiedlung wurde durch NS-Institutionen organisiert und durchgeführt, die ersten - und weitgehend einzigen - Möglichkeiten zur Akkulturation wurden ebenfalls durch NS-Organisationen gewährleistet. Nicht zuletzt führte diese Tatsache nach Kriegsende auch zum Vorwurf der NS-Verwicklung von seiten vieler Österreicherinnen.[26] Dieser Tatsache trägt die Biographin auch in folgen [ 362 ]der Aussage zumNäheverhältnis ihres Ehemannes zum Nationalsozialismus Rechnung: «mein Mann [h]at ein bisschen [an Mussolini] geglaubt, aber dann ah dann hat auch an Hitler äh naja das ja ich w[ei]ss nicht was sie geglaubt [h]aben». (1:24:7 f.).[27] Offensichtlich erscheint es ihr aus heutiger Sicht nicht möglich, die Verstrickungen zum Nationalsozialismus verbal zu artikulieren, in deutlichem Gegensatz zur Verbindung zum italienischen Faschismus. Sie versteckt sich hinter Floskeln beziehungsweise verschweigt diesen Anteil. Ein Anteil, welcher - so können wir daraus schliessen - bis heute nicht reflektiert und verarbeitet, sondern weitgehend verdrängt wurde. Ein Anteil, welcher allerdings auch ausschliesslich an den Ehemann delegiert wurde, während die eigene Rolle auch in diesem Zusammenhang wieder ausgeklammert und damit negiert - vielleicht sollten wir besser sagen: verdrängt - wurde.


ZUSAMMENFASSUNG

Das Ziel des vorliegenden Aufsatzes war eine «dichte Beschreibung»[28] der autobiographischen Perspektive der Südtiroler Umsiedlerinnen anhand von lebensgeschichtlichen Interviews mit den Betroffenen. Es ging dabei um die Rekonstruktion der «Lebenswelten» der Südtiroler Umsiedlerinnen im Rahmen der sogenannten Option von 1939 und der anschliessenden Umsiedlung, deren Alltagsleben, Erfahrungen und Sichtweisen, deren Deutungen und Handlungsmöglichkeiten sowie deren heutigen Umgang mit ihrer erlebten Lebensgeschichte. Am Fallbeispiel von Antonia O. konnte dargestellt werden, dass die Migration von den Betroffenen zum Zeitpunkt des Ereignisses nicht notwendigerweise als Zäsur im Leben wahrgenommen wurde, sondern vielmehr als konsequente Entscheidung für Ehe und Familie. Erst im nachhinein, und nur in Verbindung mit späteren Erfahrungen sowie Angeboten des «kollektiven Gedächtnisses» wurde die Umsiedlung als Bruch gedeutet. Somit ermöglichte der biographische Zugang eine Korrektur von dominanten Annahmen der Migrationsforschung, da die angenommene Zäsur der Migration von den Betroffenen, den agents, vielfach nicht als solche wahrgenommen wurde, vielmehr Kontinuitäten beziehungsweise andere Diskontinuitäten prägender waren. [ 363 ]Anmerkungen

1 Nach Mario T. Garcia, «Identity and Gender in the Mexican-American Testimonio. The Life and narrative of Frances Esquivel Tywoniak», in: International Yearbook of Oral History and Life Stories, vol. Ill: Migration and Identity, Oxford 1994.

2 Zur Wahrung der Anonymität wurde der Name der Interviewpartnerin verändert.

3 Vgl. Emmerich Tälos et al. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945, Wien 1988.

4 Vgl. Heinz Bude, Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger der Flakhelfer-Generation, Frankfurt a. M. 1987.

5 Das Narrativinterview bietet den Biographlnnen die Möglichkeit, ihr Leben auf die ihnen wichtige und richtig scheinende Art erzählen zu können, da es dem/r Befragten die Strukturierung des Untersuchungsgegenstandes so weit als möglich nach seinem/ihrem Relevanzsystem gewährt, das kommunikative Regelsystem in Geltung lässt und auf Hypothesen bildungen ex ante verzichtet. Zur Methode der Narrativinterviews siehe Fritz Schütze, «Biographieforschung und narratives Interview», In: Neue Praxis 3, 1983, S. 283-294.

6 Rosenthal gesprochen: "[...] narrators do not simply reproduce prefabricated stories regardless of the interactional situation, but rather create their stories within the social process of mutual orientation according to their definition of the interview situation. [...] Life stories - taken as constructs - are inseparable from these interactional processes, they are not finished products ready to be ‘served up’ on demand.The story evolves around a thematic topic, usually established by the interviewer, in a manner judged by the narrator to be of interest to the listener.” Gabriele Rosenthal, «Reconstruction of Life Stories. Principles of Selection in Generating Stories for Narrative Biographical Interviews», in: The Narrative Study of Lives. London 1993/1, S. 59-91, hier S. 64 f.

7 Nach Wolfram Fischer-Rosenthal, «Strukturale Analyse biographischer Texte», in: Elmar Bähler, Corinne Adler (Hg.), Quantitative Einzelfallanalyse und qualitative Verfahren. Giessen 1996, hier S. 151

8 «Identität» wird hier verstanden als Erfahrungsaufschichtungen und Integrationsleistung bzw. Exklusion von Erfahrungen als aktive Leistung des/r Biographieträgerin. Diese ist ständigen Veränderungen durch neue Erfahrungen unterworfen und somit nicht statisch.

9 Schütze, 1983, S. 285 l

10 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Interviews aufgrund dieses wechselseitigen Übertragungsverhältnisses zwischen den Gesprächspartnerinnen nur aus der besonderen Gesprächssituation zu verstehen sind und keine allgemeinen Aussagen über die Lebenskonstruktion der Biographlnnen erlauben. Vielmehr besteht nach G. H. Mead für den/ die Handelnden zwar eine «moralische Notwendigkeit» sich auf situative Umstände zu beziehen und mit einem/r Interaktionspartnerin zu kommunizieren, und es ist auch nicht mit «mechanischer Notwendigkeit» vorgezeichnet, wie er/sie das zu tun hat. Dennoch ist das Interaktionsprodukt nicht einzigartig. Vielmehr stellt sich die Art der Rede, das System der Verweisungen zwischen den Äusserungen wieder ein. «Die verborgene Lebenskonstruktion entfaltet ihre strukturierende Mächtigkeit durch die Differenz thematischer Vielgestaltigkeit und historischer Vielfältigkeit hindurch.» Vgl. Heinz Bude, «Rekonstruktion von Lebenskonstruktionen - eine Antwort auf die Frage, was die Biographieforschung bringt», in: Martin Kohli, Günther Robert (Hg.), Biographie und soziale Wirklichkeit. Neue Beiträge und Forschungsperspektiven. Stuttgart 1984, S. 7-29, hier S. 17 f.

11 Michael Pollack, Die Grenzen des Sagbaren. Lebensgeschichten von Überlebenden als Augenzeugenberichte und als Identitätsarbeit. 1988, S. 12 f.

12 Anthony Giddens, Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt a. M. 1992.

13 Pierre Bourdieu, «Die biographische Illusion», in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 3, 1990, S. 75-81. [ 364 ]14 Zum Konzept der Lebenswelten siehe Alfred Schütz,Thomas Luckmann, Strukturen der Lebenswelt, 2 Bde. Frankfurt a. M. 1978.

15 Fischer-Rosenthal, 1996, S. 151. Flervorhebung im Original.

16 Zum Konzept der Abduktion vgl. Charles S. Peirce, Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Cambridge 1933/1980. Im Rahmen der Interpretation lebensgeschichtlicher Interviews vgl. Gabriele Rosenthal, «Abduktion: Hypothesenprüfung am Einzelfall», Vortrag am 28. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Dresden, 8. 10. 1996.

17 Zur Methode der hermeneutischen Fallrekonstruktion vgl. Gabriele Rosenthal, Erlebte und erzählte Lebensgeschichte. Gestalt und Struktur biographischer Selbstbeschreibungen. Frankfurt a. M. 1995.

18 Zur Option und Umsiedlung siehe ausführlich Claus Gatterer, Im Kampf gegen Rom. Bürger. Minderheiten und Autonomien in Italien. Wien 1968; Leopold Steurer, Südtirol zwischen Rom und Berlin 1919-1939. Wien 1980; Karl Stuhlpfarrer, Umsiedlung Südtirol 1939-1940. Wien 1985; Klaus Eisterer, Rolf Steininger (Hg.), Die Option. Südtiroler zwischen Faschismus und Nationalsozialismus. Innsbruck 1989; Reinhold Messner (Hg,), Die Option. 1939 stimmten 86% der Südtiroler für das Aufgeben ihrer Heimat. Warum? Ein Lehrstück in Zeitgeschichte. München 1989; Martha Verdorfer, Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918-1945. Wien 1990; Helmut Alexander et al.. Heimatlos. Die Umsiedlung der Südtiroler. Wien 1993.

19 Allerdings war auch deren Entscheidung vielfach von jener anderer - vorwiegend männlicher - Familienangehöriger beeinflusst.

20 Vgl. Stefan Lechner, Revision der Optionen und Rücksiedlung nach Südtirol. Wien 1988.

21 Laut Auskunft des Meldeamtes der Gemeinde B. vom 18. 3. 1997. Der Zeitpunkt der Eheschliessung bleibt im gesamten Verlauf der Lebenserzählung unerwähnt.

22 Zitierweise der Interviewpassagen: Interview I: Seite 1: Zeile 31 f. Die Schreibweise hält sich an die Sprechweise der Biographlnnen. Schwer verständliche Ausdrücke wurden zur besseren Verständlichkeit korrigiert und durch [ ] gekennzeichnet.

23 Siehe dazu Bettina Dausien, Biographie und Geschlecht. Zur biographischen Konstruktion sozialer Wirklichkeit in Frauenlebensgeschichten. Bremen 1996.

24 Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt a. M. 1985.

25 Auf die Spezifik des Südtiroler kollektiven Gedächtnisses wird an späterer Stelle eingegangen.

26 Diese Tatsache wurde bereits durch A. von Plato für viele Migrantinnen festgehalten, welche vielfach durch einen mit der Eheschliessung verbundenen Umzug bereits an Migrationen gewöhnt waren. Alexander von Plato, «Von Alten Orten und Neuen Zeiten. Umgesiedelte in der SBZ/DDR im Vergleich zur Bundesrepublik», in: BIOS. Sonderheft 1993, S. 121-144.

27 Diese Wahrnehmung ist allerdings eine fälschliche, wurden doch genügend Südtiroler - sei es Deutschland- als auch Italienoptanten - in den Krieg eingezogen.

28 Auf welche aus Platzgründen nicht eingegangen werden kann.

29 Es muss festgehalten werden, dass dieser Vorwurf von österreichischer Seite vielfach der Ablenkung von eigenen Täteranteilen diente, vgl. dazu: Alexander et al. 1993,wieAnm. 18.

30 Festzuhalten ist die Schwierigkeit von Frau O., die Anhängerschaft ihres Ehemannes für den Nationalsozialismus zu artikulieren.

31 Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum verstehen kultureller Systeme. 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1994. [ 365 ]ENGLISH SUMMARIES





FRANZ MATHIS, "MOBILITY IN THE HISTORY OF THE ALPS. RESULTS AND TENDENCIES IN RESEARCH"


The situation in research into mobility in the history of the Alps may be summed up as follows: especially the seasonal, temporary and final migrations within and without the Alps have already been gone into, though not exhaustively Much less, however, is known about the concrete motives, the sequence and the effects of the migrations: in this matter there exist several extremely generalizing and, in part, therefore, too vague assertions, but along with them also already some more differentiated, micro-social and - in my view - future-indicating analyses. It is especially investigations of the latter type that we would need many more of, in order to perhaps once attain a comprehensive picture of migration and migrants in the Alps.


LAURENCE FONTAINE, "IMPLICIT PREMISES IN THE CONSTRUCTION OF ALPINE MIGRATION IN THE MODERN PERIOD"


This contribution sets out to provide understanding of the most important concepts employed in migration research and revelation of the underlying theories that have strongly influenced the analysis of migration movements by means of implicit assumptions. Pull- and push-factors, the space dynamics of Fernand Braudel, the chain-theory, etc. - all theses models have certain features in common, quite apart from their dichotomous terminology. Among the more closely observed common features there especially belongs the circumstance that they atomize the social structure and produce economic models that are divorced from the political context and structures of social

  1. 1 Nach Mario T. Garcia, «Identity and Gender in the Mexican-American Testimonio. The Life and narrative of Frances Esquivel Tywoniak», in: International Yearbook of Oral History and Life Stories, vol. Ill: Migration and Identity, Oxford 1994.
  2. 1 Nach Mario T. Garcia, «Identity and Gender in the Mexican-American Testimonio. The Life and narrative of Frances Esquivel Tywoniak», in: International Yearbook of Oral History and Life Stories, vol. Ill: Migration and Identity, Oxford 1994.
  3. 3 Vgl. Emmerich Tälos et al. (Hg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945, Wien 1988.
  4. 4 Vgl. Heinz Bude, Deutsche Karrieren. Lebenskonstruktionen sozialer Aufsteiger der Flakhelfer-Generation, Frankfurt a. M. 1987.
  5. 5 Das Narrativinterview bietet den Biographlnnen die Möglichkeit, ihr Leben auf die ihnen wichtige und richtig scheinende Art erzählen zu können, da es dem/r Befragten die Strukturierung des Untersuchungsgegenstandes so weit als möglich nach seinem/ihrem Relevanzsystem gewährt, das kommunikative Regelsystem in Geltung lässt und auf Hypothesen bildungen ex ante verzichtet. Zur Methode der Narrativinterviews siehe Fritz Schütze, «Biographieforschung und narratives Interview», In: Neue Praxis 3, 1983, S. 283-294.
  6. 6 Rosenthal gesprochen: "[...] narrators do not simply reproduce prefabricated stories regardless of the interactional situation, but rather create their stories within the social process of mutual orientation according to their definition of the interview situation. [...] Life stories - taken as constructs - are inseparable from these interactional processes, they are not finished products ready to be ‘served up’ on demand.The story evolves around a thematic topic, usually established by the interviewer, in a manner judged by the narrator to be of interest to the listener.” Gabriele Rosenthal, «Reconstruction of Life Stories. Principles of Selection in Generating Stories for Narrative Biographical Interviews», in: The Narrative Study of Lives. London 1993/1, S. 59-91, hier S. 64 f.
  7. 7 Nach Wolfram Fischer-Rosenthal, «Strukturale Analyse biographischer Texte», in: Elmar Bähler, Corinne Adler (Hg.), Quantitative Einzelfallanalyse und qualitative Verfahren. Giessen 1996, hier S. 151
  8. 8 «Identität» wird hier verstanden als Erfahrungsaufschichtungen und Integrationsleistung bzw. Exklusion von Erfahrungen als aktive Leistung des/r Biographieträgerin. Diese ist ständigen Veränderungen durch neue Erfahrungen unterworfen und somit nicht statisch.
  9. 9 Schütze, 1983, S. 285 l
  10. 10 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Interviews aufgrund dieses wechselseitigen Übertragungsverhältnisses zwischen den Gesprächspartnerinnen nur aus der besonderen Gesprächssituation zu verstehen sind und keine allgemeinen Aussagen über die Lebenskonstruktion der Biographlnnen erlauben. Vielmehr besteht nach G. H. Mead für den/ die Handelnden zwar eine «moralische Notwendigkeit» sich auf situative Umstände zu beziehen und mit einem/r Interaktionspartnerin zu kommunizieren, und es ist auch nicht mit «mechanischer Notwendigkeit» vorgezeichnet, wie er/sie das zu tun hat. Dennoch ist das Interaktionsprodukt nicht einzigartig. Vielmehr stellt sich die Art der Rede, das System der Verweisungen zwischen den Äusserungen wieder ein. «Die verborgene Lebenskonstruktion entfaltet ihre strukturierende Mächtigkeit durch die Differenz thematischer Vielgestaltigkeit und historischer Vielfältigkeit hindurch.» Vgl. Heinz Bude, «Rekonstruktion von Lebenskonstruktionen - eine Antwort auf die Frage, was die Biographieforschung bringt», in: Martin Kohli, Günther Robert (Hg.), Biographie und soziale Wirklichkeit. Neue Beiträge und Forschungsperspektiven. Stuttgart 1984, S. 7-29, hier S. 17 f.
  11. 11 Michael Pollack, Die Grenzen des Sagbaren. Lebensgeschichten von Überlebenden als Augenzeugenberichte und als Identitätsarbeit. 1988, S. 12 f.
  12. 12 Anthony Giddens, Die Konstitution der Gesellschaft. Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frankfurt a. M. 1992.
  13. 13 Pierre Bourdieu, «Die biographische Illusion», in: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 3, 1990, S. 75-81.
  14. 15 Fischer-Rosenthal, 1996, S. 151. Flervorhebung im Original.
  15. 16 Zum Konzept der Abduktion vgl. Charles S. Peirce, Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Cambridge 1933/1980. Im Rahmen der Interpretation lebensgeschichtlicher Interviews vgl. Gabriele Rosenthal, «Abduktion: Hypothesenprüfung am Einzelfall», Vortrag am 28. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, Dresden, 8. 10. 1996.
  16. 17 Zur Methode der hermeneutischen Fallrekonstruktion vgl. Gabriele Rosenthal, Erlebte und erzählte Lebensgeschichte. Gestalt und Struktur biographischer Selbstbeschreibungen. Frankfurt a. M. 1995.
  17. 18 Zur Option und Umsiedlung siehe ausführlich Claus Gatterer, Im Kampf gegen Rom. Bürger. Minderheiten und Autonomien in Italien. Wien 1968; Leopold Steurer, Südtirol zwischen Rom und Berlin 1919-1939. Wien 1980; Karl Stuhlpfarrer, Umsiedlung Südtirol 1939-1940. Wien 1985; Klaus Eisterer, Rolf Steininger (Hg.), Die Option. Südtiroler zwischen Faschismus und Nationalsozialismus. Innsbruck 1989; Reinhold Messner (Hg,), Die Option. 1939 stimmten 86% der Südtiroler für das Aufgeben ihrer Heimat. Warum? Ein Lehrstück in Zeitgeschichte. München 1989; Martha Verdorfer, Zweierlei Faschismus. Alltagserfahrungen in Südtirol 1918-1945. Wien 1990; Helmut Alexander et al.. Heimatlos. Die Umsiedlung der Südtiroler. Wien 1993.
  18. 19 Allerdings war auch deren Entscheidung vielfach von jener anderer - vorwiegend männlicher - Familienangehöriger beeinflusst.
  19. 20 Vgl. Stefan Lechner, Revision der Optionen und Rücksiedlung nach Südtirol. Wien 1988.
  20. 21 Laut Auskunft des Meldeamtes der Gemeinde B. vom 18. 3. 1997. Der Zeitpunkt der Eheschliessung bleibt im gesamten Verlauf der Lebenserzählung unerwähnt.
  21. 22 Zitierweise der Interviewpassagen: Interview I: Seite 1: Zeile 31 f. Die Schreibweise hält sich an die Sprechweise der Biographlnnen. Schwer verständliche Ausdrücke wurden zur besseren Verständlichkeit korrigiert und durch [ ] gekennzeichnet.
  22. 23 Siehe dazu Bettina Dausien, Biographie und Geschlecht. Zur biographischen Konstruktion sozialer Wirklichkeit in Frauenlebensgeschichten. Bremen 1996.
  23. 24 Vgl. Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt a. M. 1985.
  24. 26 Diese Tatsache wurde bereits durch A. von Plato für viele Migrantinnen festgehalten, welche vielfach durch einen mit der Eheschliessung verbundenen Umzug bereits an Migrationen gewöhnt waren. Alexander von Plato, «Von Alten Orten und Neuen Zeiten. Umgesiedelte in der SBZ/DDR im Vergleich zur Bundesrepublik», in: BIOS. Sonderheft 1993, S. 121-144.
  25. 27 Diese Wahrnehmung ist allerdings eine fälschliche, wurden doch genügend Südtiroler - sei es Deutschland- als auch Italienoptanten - in den Krieg eingezogen.
  26. 29 Es muss festgehalten werden, dass dieser Vorwurf von österreichischer Seite vielfach der Ablenkung von eigenen Täteranteilen diente, vgl. dazu: Alexander et al. 1993,wieAnm. 18.
  27. 30 Festzuhalten ist die Schwierigkeit von Frau O., die Anhängerschaft ihres Ehemannes für den Nationalsozialismus zu artikulieren.
  28. 31 Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beiträge zum verstehen kultureller Systeme. 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1994.