Page:Labi 1998.djvu/331

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der Aussage zumNäheverhältnis ihres Ehemannes zum Nationalsozialismus Rechnung: «mein Mann [h]at ein bisschen [an Mussolini] geglaubt, aber dann ah dann hat auch an Hitler äh naja das ja ich w[ei]ss nicht was sie geglaubt [h]aben». (1:24:7 f.).[30] Offensichtlich erscheint es ihr aus heutiger Sicht nicht möglich, die Verstrickungen zum Nationalsozialismus verbal zu artikulieren, in deutlichem Gegensatz zur Verbindung zum italienischen Faschismus. Sie versteckt sich hinter Floskeln beziehungsweise verschweigt diesen Anteil. Ein Anteil, welcher - so können wir daraus schliessen - bis heute nicht reflektiert und verarbeitet, sondern weitgehend verdrängt wurde. Ein Anteil, welcher allerdings auch ausschliesslich an den Ehemann delegiert wurde, während die eigene Rolle auch in diesem Zusammenhang wieder ausgeklammert und damit negiert - vielleicht sollten wir besser sagen: verdrängt - wurde.


ZUSAMMENFASSUNG

Das Ziel des vorliegenden Aufsatzes war eine «dichte Beschreibung»[31] der autobiographischen Perspektive der Südtiroler Umsiedlerinnen anhand von lebensgeschichtlichen Interviews mit den Betroffenen. Es ging dabei um die Rekonstruktion der «Lebenswelten» der Südtiroler Umsiedlerinnen im Rahmen der sogenannten Option von 1939 und der anschliessenden Umsiedlung, deren Alltagsleben, Erfahrungen und Sichtweisen, deren Deutungen und Handlungsmöglichkeiten sowie deren heutigen Umgang mit ihrer erlebten Lebensgeschichte. Am Fallbeispiel von Antonia O. konnte dargestellt werden, dass die Migration von den Betroffenen zum Zeitpunkt des Ereignisses nicht notwendigerweise als Zäsur im Leben wahrgenommen wurde, sondern vielmehr als konsequente Entscheidung für Ehe und Familie. Erst im nachhinein, und nur in Verbindung mit späteren Erfahrungen sowie Angeboten des «kollektiven Gedächtnisses» wurde die Umsiedlung als Bruch gedeutet. Somit ermöglichte der biographische Zugang eine Korrektur von dominanten Annahmen der Migrationsforschung, da die angenommene Zäsur der Migration von den Betroffenen, den agents, vielfach nicht als solche wahrgenommen wurde, vielmehr Kontinuitäten beziehungsweise andere Diskontinuitäten prägender waren.

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HISTOIRE DES ALPES - STORIA DELLE ALPI - GESCHICHTE DER ALPEN 1998/3