Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen (2009)/20

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Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen  (2009)  by [[Author:{{{author}}}|{{{author}}}]]
Vnà, Dachstein, Zermatt: Synthese, corporate identity, Musealisierung. Drei Beispiele "konservierender" Neuinszenierungen im Alpenraum
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[ 285 ]Vnà, Dachstein, Zermatt: Synthese, Corporate Identity, Musealisierung

Drei Beispiele «konservierender» Neuinszenierungen im Alpenraum


Gudrun Hausegger


Résumé


Vnà, Dachstein, Zermatt: synthèse, «corporate identity», muséalisation. Trois exemples de mise en scène innovante et «conservative» de l'espace alpin


L'urbanisation du territoire alpin s'est toujours faite de façon cyclique et régulière. Nonobstant les nombreux exemples qui désignent une continuité avec le passé, les espaces bâtis construits dans les Alpes à partir des années '80 montrent la présence de projets soucieux d une tendance innovatrice. Un rapport plus responsable avec les Alpes en tant que territoire naturel et culturel prépare la voie à des scénarios inédits. La hausse de la demande de vacances-aventure implique la nécessité de créer des infrastructures appropriées aux lieux. Les réponses sont fournies par la réalisation d infrastructures respectueuses de l environnement. Ainsi, l' hôtel-village Vnà, inauguré en 2008 dans la basse Engadine cherche, à travers la coopération avec la population, une nouvelle voie permettant de mettre en valeur les qualités du site et de chercher des points de convergence entre nouveau et ancien. Le projet «Dachstein Welterbe» (Dachstein patrimoine mondial) achevé en 2008 a, par contre, comme but celui de permettre aux visiteurs d’ expérimenter la montagne d’ une façon alternative. Zermatt, enfin, en revivant les étapes glorieuses de son histoire, poursuit une politique muséale en syntonie avec les nouvelles exigences du temps présent, grâce au nouveau Musée du Matterhorn ouvert en 2006 et au projet «Peak Gornergrat». [ 286 ]Einleitung: Konservierende Inszenierungen im Vormarsch


Die zyklisch wiederkehrende Urbanisierung des Alpenraumes, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, war stets mit einer Übertragung von soziokulturellen urbanen Strukturen sowie mit einer Zurschaustellung des technischen Fortschritts verbunden. Fragt man nach Kontinuitäten oder Brüchen dieser transformativen Gesetzmässigkeiten während der jüngsten alpinen Landnahme ab den 1980er-Jahren, lässt sich ein Überwiegen der Kontinuitäten feststellen - naturgemäss an gegenwärtige Ansprüche adaptiert und mit zeitgemässen Mitteln umgesetzt.

Der wesentliche Bruch vollzog sich in zwei Bereichen: Zunächst, ein verantwortungsvoller Umgang mit den Alpen als Natur- und Kulturlandschaft setzt sich durch, der weitere Gefährdungen dieses einzigartigen Lebensraums verhindern, vielmehr den Weg für angemessene zukünftige Entwicklungen bereiten will. Der zweite Bereich bezieht sich auf das steigende Bedürfnis der Gesellschaft nach inszeniertem Erlebnis. Für die Alpen bedeutet das, dass nicht mehr der Berg an sich als das Naturerlebnis schlechthin genügt, sondern dass das Vorhandene mit Zusatzfunktionen aufgeladen werden muss. Zunehmend stieg jedoch in den letzten Jahren das Bewusstsein, dass die Übertragbarkeit von künstlichen Strukturen einer Erlebniswelt auf die gewachsenen Strukturen einer Naturlandschaft nicht mehr ohne weiteres möglich ist. Die sogenannte Erlebnisgesellschaft hat sich weiterentwickelt und agiert mit einer veränderten Erlebnisrationalität: Neue Denkmuster werden gefordert, wie «Einzigartigkeit statt Standardisierung» oder «weniger statt mehr».[1] Die Erinnerung an die eigene Geschichte wird Bezugspunkt von Gestaltungen. Eine Strategie, die ich als «konservierende» Inszenierung im positiven Sinn des Begriffs bezeichnen möchte.

Anhand von drei aktuellen Projekten im Alpenraum soll die Forderung nach Authentizität und Spezifität verdeutlicht werden, die das veränderte Wertesystem des gesellschaftlichen Selbstverständnisses stellt: Die touristische Neuorientierung im Weltkurort Zermatt und das Hotel-Dorf Projekt in V na im Unterengadin stellen Beispiele aus der Schweiz dar, aus den österreichischen Alpen wird die Inszenierung des Dachsteins herangezogen. [ 287 ]Vnà: Modellhafte Synthese von Alt und Neu


Vnà im Unterengadin liegt auf einer Sonnenterrasse in 1650 Meter Höhe. Das baulich bemerkenswert intakte Dorf mit seinen steilen Wegen, Sgraffiti- verzierten Häusern und zahlreichen Brunnen steht unter nationalem Schutz. 65 Einwohner zählt der Ort heute, in den 1970er-Jahren waren es noch rund 200. Was war passiert? Wie in vielen anderen Alpenregionen mussten Teile der Bevölkerung wegziehen, um in entfernten Landstrichen Arbeit zu finden, denn der Haupterwerb, die Viehzucht, war immer schon zu wenig einträglich. In V nà sowie im ganzen Engadin ist das keine Entwicklung, die erst in den 1970er- Jahren einsetzte, sondern eine Notwendigkeit, die bereits im 16. Jahrhundert ihren Anfang nahm.[2] Viele der Ausgewanderten kamen allerdings wieder in ihre Heimat zurück und errichteten mit den Einnahmen aus der Fremde ihre stattlichen Häuser. Der Dorfälteste von Vnà, Men Margadant (1926 geboren), bezeugt diese Entwicklung in eigener Person. Er ist 16-jährig nach Chur gezogen, hat dort seine Familie gegründet und sein Leben als Kaufmann verdient. In der Pension kehrte er gerne wieder nach Vnà zurück. «Reich war Vnà nie. Beim Bau der grossen Häuser von Vnà hat man viel selbst gemacht und einer hat dem anderen geholfen», meint Men Margadant.[3]

Die Abwanderungswelle der letzten 30 Jahre hatte in Vnà zur Folge, dass zahlreiche der infrastrukturellen Einrichtungen nicht mehr profitabel waren. So sperrten nach und nach die Schule, die Post, der Laden sowie auch das zentrale Dorfgasthaus «Piz Tschütta» zu - der Ort war ohne soziale Anlaufstelle geblieben.


Die Initiative: Modellhafte Mehrdimensionalität


Für die Kulturmanagerin und Bürgerin von Vnà, Urezza Famos, war die spürbare Leere im Dorf Anlass, über eine mögliche Veränderung nachzudenken. Gemeinsam mit Gleichgesinnten aus dem Unterengadin, Freunden von Vnà und Einheimischen bildete sich 2002 eine Initiative, die überlegte, «wie man Vnà und dem Haus Piz Tschütta neues Leben einhauchen, Arbeitsplätze schaffen, Feriengäste gewinnen, einen sanften Tourismus ankurbeln, die Abwanderung stoppen könne».[4] Als Ansatzpunkt für all diese Initiativen kristallisierte sich bald heraus, die Revitalisierung des Hauses «Piz Tschütta» anzudenken. Das war zu diesem Zeitpunkt allerdings verkauft, um es einer Neunutzung zuzuführen. Kein [ 288 ]guter Weg für das Dorf, entschied das Team. Eng vertraut mit den Eigengesetzlichkeiten von Vnà führte letztendlich die Lösung zurück zu den florierenden Jahren des Ortes: Das ehemalige Gasthaus solle mit dem zusätzlichen Angebot an Gästezimmern seine Funktion als soziale und kulturelle Drehscheibe wieder aufnehmen. Da jedoch baulich nur eine bestimmte Anzahl an Zimmer untergebracht werden konnte, war der nächste konsequente Gedanke, weitere Zimmer -tin unterschiedlichen Qualitäts- und Preiskategorien - im Dorf zu verteilen. «Piz Tschütta» als Haupthaus sollte Marketing, Verwaltung und Vermietung der dezentralen Zimmer übernehmen. Die Projektgruppe «Hotel Vnà» begleitete diesen Prozess in den nachfolgenden Monaten. Neben Urezza Famos wurde die Gruppe vom Baukünstler und Kurator Christof Rösch, der Tourismusfachfrau Birgit Leicht und dem Architekten Rolf Furrer geleitet.

«Die Vnàer sind offen gegenüber Fremden, werden aber nicht gerne fremdbestimmt», erklärt Urezza Famos.[5] Dieser gegenwärtigen Tatsache liegt eine historische Dimension zugrunde: Die Kontaktfreudigkeit und Aufgeschlossenheit der Engadiner wurde sicherlich durch das sich über Generationen wiederholende Fernbleiben von der Heimat unterstützt, förderte aber ebenso ihre Eigenwilligkeit und Heimatliebe.[6] Das Projekt «Hotel Vnà» nimmt auf diesen tradierten Charakterzug Rücksicht und band von Anfang an die Bevölkerung in den Prozess sowie in die Umsetzung ein. Der Erfolg eines Projekts, das so direkt und nachhaltig in das Dorfleben eingreift, kann auch naturgemäss nur im engen Miteinander von Betreibenden und Betroffenen begründet liegen.

Möglichkeit zur Partizipation bietet das Modell Vnà auf mehreren Ebenen. Zunächst in der Form der Finanzierung: Von Beginn an war die Bevölkerung an dem private-public-partnership-Modell auch als Entscheidungsträger in den Prozess verankert: 2004 wurde zur Projektrealisierung die Stiftung Fundaziun Vnà gegründet (zusätzliche Darlehen, Spenden und Aktienkapital der für den Betrieb verantwortlichen Piz Tschütta AG setzten das Projekt dann in Gang), Vertreterinnen und Vertreter der Einwohner sind entweder Mitglieder im Stiftungsrat oder im Forum der Fundaziun. Sodann die Kooperation mit dem Haus «Piz Tschütta». Dieser Eckpfeiler der Initiative stiess auf grosse Zustimmung, da seit den 1970er-Jahren neben der Landwirtschaft der Tourismus die wichtigste Einnahmequelle von Vnà bildete und so manch einer der ehemals 30 Landwirte (heute zählt das Dorf fünf) mit den Sommer- und Wintergästen den notwendigen Zusatzverdienst abdecken konnte. Die nun etwas andere Form, in Zukunft zu Gästen zu kommen, stellt für die «alten» Vermieter eine Möglichkeit dar, die Auslastung in der Nebensaison zu erhöhen, für die «neuen» bedeutet es einen [ 289 ]unvorhergesehenen Nebenverdienst. Weiters wird derzeit ein Veranstaltungsprogramm ausgearbeitet, das die Kompetenzen der Bevölkerung mitdenkt. Doch nicht zuletzt beruht das Potenzial des Modells auf einem Zugeständnis an den wichtigsten Lebensnerv der Bewohner: Die Vnàer hängen an ihrem Dorf. Sie begrüssen diese Initiative, da sie ihre enge Verbundenheit mit dem Ort unangetastet lässt. «Denn wir wollen kein St. Moritz und kein Zermatt», bestätigt Linard Mayer, Landwirt und Skilehrer aus Vnà.[7] Im August 2006 fand der Spatenstich zum Umbau des Hauses «Piz Tschütta» statt, für die Umsetzung verantwortlich zeichnen Christoph Rösch und Rolf Furrer.


Der Umbau: Es könnte immer so gewesen sein


Das Engadiner Bauernhaus als spezifische Gebäudeform entwickelte sich nach 1500. Ausgangspunkt waren Turmhäuser (quadratischer Grundriss) und Saalhäuser (rechteckiger Grundriss) mit übereinanderliegenden Wohnräumen. Gemäss dem «Additionsprinzip» wurden im Lauf der Jahrhunderte die weiteren Räume hinzugefügt, und Wohn- und Wirtschaftstrakt zu einem gemeinsamen Gebäudekomplex verbunden.[8] «Piz Tschütta» ist solch ein typisches Engadiner Haus, das Wohnen und Arbeiten unter einem Dach vereinigte, und in dem sich zahlreiche Bauschichten überlagern. Historisch gesichert ist, dass die Substanz bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht und zahlreiche Umbauten aus den letzten beiden Jahrhunderten stammen. Rösch und Furrer spielten die Grundstruktur von diesen jüngsten nutzungsbedingten Einbauten frei. Und um das Dorfbild nicht zu verändern, blieb der Umbau im Inneren der Gebäudehülle verborgen.

Ihr Entwurfsansatz erinnert an Traditionslinien, die an die zeitlose architektonische Ordnung anonymer Bauten appellieren: «Das Haus hat unzählige Qualitäten, die trotz des ruinösen Zustands nach und nach sichtbar und spürbar wurden. Das leitete uns im Entwurfsprozess», meint Christoph Rösch.[9] So folgten sie den eingeschriebenen Gesetzmässigkeiten des Hauses zunächst in seiner Vorgabe, die funktionale und strukturelle Trennung der beiden Gebäudeteile beizubehalten, im Inneren aber punktuell Verbindungen durch Blickachsen und Wegführungen zuzulassen. Auf dieser Spurensuche beruhen auch der Umgang mit den Niveaus, die Lichtführung sowie typologische Bezugnahmen. Die unterschiedlichen Ansätze des Umbaus reagieren auf die ehemalige funktionelle Unterschiedlichkeit der beiden Trakte. [ 290 ]«Der Umbau im Steinhaus, so komplex wie der Dachstuhl war, bedingte ein Planen von oben nach unten», so Rolf Furrer.[10] Begeht man diesen Trakt jedoch vom Kellergeschoss, begegnet man einem typologischen Planungsmoment, nämlich der steinernen Rampe, die über den Kaltraum in das Erdgeschoss führt und Bezug nimmt zu einer der steilen Gassen im Dorf. Eine Hommage an den Ort, die sich dann im Inneren im akzentuierten Aufeinandertreffen der alten Welt aus Holz und Stein mit der neuen Welt aus Holz und Glas fortsetzt. Die Blickbeziehungen - nach aussen durch das Glas und die Holzlamellen, im Inneren durch das Glas ins Glas gegenüber - sind bezwingend. Was bedingt diesen Effekt? Eine Art bauliches Transplantat aus Holz und Glas, das in die Gebäudehülle eingesetzt wurde, von aussen bis auf einen gläsernen Erker unnennbar.

Im Wohnhaus führte im Erdgeschoss der Abbruch bestimmter Teile zu einer grosszügigen Öffnung, die dem Gastraum mit Küchen- und Rezeptions bereich Platz einräumt. Die Vorgabe zweier Wohntürme (zwei Wohnstuben mit mittiger Küche) wurde aufgenommen und in zwei Gaststuben mit Loungebereich umgedeutet. Im Obergeschoss gab die Struktur der Wohntürme die Grösse der Gästezimmer vor (Abb. 1). Um diese nicht zu verändern, sind die Bäder extern in der betonierten Zone von Küche und Technik des Erdgeschosses untergebracht. Das Zusammenspiel von Alt und Neu bekommt hier im Verlauf der alten Dachbalken eine beinahe schon inszenatorische Qualität. Doch die Setzung des Neuen in der Einrichtung, in den Details, zeigt sich in einer gehaltvollen Reduktion fernab von ungemütlichem Purismus.

Wie sieht nun die Erwartungshaltung dieses innovativen Projekts aus? Im Idealfall wird die Ankurbelung des sanften Tourismus und somit die Wiederbelebung des Dorfes wohl ein Wechselspiel sein zwischen Einheimischen, die sich mit ihren Ressourcen auf die Gäste einstellen, und Touristen, die für eine Weile zu Bewohnern des Dorfes werden.


«Dachstein Welterbe»: Mit dem Berg gestalten


Im Mai 2008 wurde die Neuinszenierung der Dachsteinregion, das Projekt «Dachstein Welterbe», eröffnet. Verantwortlich für Entwurf und Ausführung zeichnet als Generalunternehmer das «Institut für raum&designstrategien» an der Kunstuniversität Linz unter der Leitung von Professorin Elsa Prochazka. Auftraggeber sind die Österreichischen Bundesforste in Zusammenarbeit mit der Dachstein & Eishöhlen GmbH & Co KG & E. [ 291 ]Abb. 1: Haus «Piz Tschütta», Vnä: Aufenthaltsraum und Gästezimmer im Ober geschoss Foto: Tom Bisig.

Die umfangreichen Aufgabenbereiche umfassten die Neugestaltung des touristischen Auftritts (unter anderem Corporate Identity, Corporate Architecture, Leitsystem) zu entwickeln, die drei für Besucher geöffneten Schauhöhlen mit Attraktionen auszustatten, und die Stationsgebäude sowie das Museum auf der Schönbergalm neu zu gestalten. So beginnt seit Mai 2008 der Ausflug von Obertraun am Hallstädter See zur Mammut-Höhle und Riesen-Eishöhle auf der Schönbergalm beim gläsernen Kassengebäude (über das sich das Dachstein Welterbe-Logo zieht) und führt mit grosszügigen Panorama-Seilbahnen zur Station Schönbergalm (mit adaptiertem Kassenbereich und einer Wartezone mit Infotainmentwänden). Der Weg zu den jeweiligen Höhleneingängen ist mit einem markanten Leitsystem gekennzeichnet.


Welterberegion Dachstein


Als bizarre Karstlandschaft mit einem ausgedehnten Höhlensystem und beträchtlichen Gletscherflächen liegt das Dachsteingebirge inmitten der Ostalpen.

Im südlichen Teil des Salzkammerguts, zwischen den beiden Bundesländern [ 292 ]Steiermark und Oberösterreich gelegen, schreibt die ausgedehnte Berggruppe teils die Geschichte dieser wohl bekanntesten österreichischen (Touristen-) Region mit. 1997 wurde die «Historische Kulturlandschaft Hallstadt-Dach- stein-Salzkammergut» in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen. Die Begründung gleicht einer Laudatio: «Bei der alpinen Region Hallstadt-Dach- stein-Salzkammergut handelt es sich um ein aussergewöhnliches Beispiel einer Naturlandschaft von einzigartiger Schönheit mit besonderer wissenschaftlicher Bedeutung, die auch Zeugnis von der frühen und kontinuierlichen menschlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Tätigkeit ablegt.»[11] Angesprochen wird hier die Landschaft in ihrer bemerkenswerten Verbindung von Bergen und darin eingebetteten fjordartigen Seen, eine Besiedelung, die bis in die prähistorische Zeit zurückreicht, und die kulturelle Vielfalt der Region. Auf diese Breite von Besonderheiten der Welterberegion reagierte Elsa Prochazka mit ihren Studentinnen und Studenten, als sie 2006 den Auftrag zur Neuinszenierung der oberösterreichischen Seite des Dachsteins bekam. Die umfassende Aufgabe begann mit einer einjährigen Forschungsarbeit, die tief in die Geschichte des Berges führte.


Den Berg erobern


War der Dachstein lange Zeit stille Kulisse für all die Veränderungen, welche die an seine Abhänge geschmiegten Dörfer durchliefen, wurde der Berg ab dem beginnenden 19. Jahrhundert Schritt für Schritt erobert und selbst zum Ort des Geschehens: Die einst nach aussen so abgeschlossene Region war von ihren Anfängen an vom Salzabbau geprägt. Der Hallstädter Salzberg und das Hallstädter Gräberfeld aus prähistorischer Zeit, stehen als Synonym für diese vorgeschichtliche Vergangenheit sowie für das Salz als bestimmende Lebensgrundlage. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts, als man die Heilwirkung von Solebädern erkannte und die ersten Gäste kamen, erfolgte eine Öffnung nach aussen.[12] Danach überschlug sich die Geschwindigkeit der touristischen Erschliessung und somit der Bekanntheitsgrad des Salzkammerguts. Die Wiener Dichter und Maler des Biedermeier suchten in dieser aussergewöhnlichen Landschaft Inspiration und übertrugen diese in Wort und Bild. Das war auch die Zeit, in welcher der Dachstein aus seiner Ruhe gerissenen wurde und die ersten Pioniere ihre Schritte in den Fels zu setzen begannen. 1819 wurde im Auftrag von Erzherzog Johann von Österreich, dem zu seiner Zeit besten Kenner [ 293 ]der Ostalpen, ein erster ernsthafter Ersteigungsversuch unternommen.[13] Jedoch erst 1932 gelang dann die erste Ersteigung des 2995 Meter hohen Gipfels. All diese frühen Ersteigungen erfolgten vom Norden und vom Nordwesten aus, die Dachstein-Südwände waren für die damalige Zeit zu abweisend. 1843 wurde auf Veranlassung des Geografen und Dachsteinforschers Friedrich Simony die ersten Versicherungen angebracht, die Ersteigung des Dachsteingipfels war damit allgemein benutzbar gemacht.

Bald nach dieser Pionierleistung wählte das Haus Habsburg und mit ihm der österreichische Adel die im Tal gelegenen Orte der idyllischen Region zum bevorzugten Ziel ihrer Sommerfrische. Die anfänglich mühsame Anreise wurde durch den Bau der Eisenbahnlinien erleichtert: 1860 war die Strecke von Wien nach Salzburg fertiggestellt, ab 1877 führte die Kronprinz-Rudolf-Bahn direkt ins Salzkammergut.[14] Die verkehrsmässige Erschliessung brachte das Bürgertum als neue Gäste sowie auch einen weiteren Ansturm auf den Dachstein. Hochtouristen fanden sich in zahlreichen alpinen Vereinen zusammen und die ersten Schutzhütten wurden erbaut.[15] Um die Jahrhundertwende trat eine extreme Bergsteigergeneration auf den Plan, 1909 gelang der direkte Anstieg durch die Südwand des Berges. In diese Zeit fiel die Entdeckung der Schauhöhlen. Im geologischen Zeitalter des Alttertiär entstanden, stellen sie weltweit unter den Höhlensystemen Besonderheiten dar, so die Riesen-Eishöhle (1913 eröffnet), die zu den drei grössten Eishöhlen der Erde gehört, oder die Mammut-Höhle (1925 eröffnet), von deren ausgedehnten Gängen und riesigen Hallen rund 60 Kilometer erforscht sind.

Mit dem Bau der Seilbahnen erschloss sich das Dachsteingebiet auch für den Wintersport: 1951 ging in Obertraun die erste Teilstrecke der Dachstein-Seilbahnen zur Schönbergalm in Betrieb. Die Besucherzahlen stiegen, um allerdings in den 1990er-Jahren bei rund 110’000 Besuchern jährlich zu stagnieren. Für die unterschiedlichen Unternehmer der Dachsteinregion war das Anlass, zahlreiche infrastrukturelle und erlebnisorientierte Initiativen in Angriff zu nehmen.

Zunächst: Jeder Staat, dem ein Welterbegebiet angehört, ist verpflichtet, gewis¬ se Forderungen zu erfüllen, wie zum Beispiel den Schutz der Region oder die Möglichkeit der öffentlichen Zugänglichkeit.[16] Ebenso ist ein Bildungsauftrag damit verbunden, welcher der Bedeutung des Kultur- und Naturerbes entsprechen muss. Gemäss dieser Forderungen sind seit 2001 zahlreiche Projekte realisiert worden, wie ein erweitertes Führungsangebot in den Schauhöhlen, naturkundliche Themenwege oder erlebnisbetonte Attraktionen (unter anderem die spektakuläre [ 294 ]Plattform «Five Fingers» auf dem Krippenstein Plateau). Mit der Übernahme der Dachsteinseilbahnen GmbH durch die Planaibahnen GmbH 2003 wurden vor allem Initiativen auf der steirischen Seite des Berges gesetzt. Weitere touristische Attraktionen brachte die oberösterreichische Landesausstellung 2008.


Die Genese des Projekts «Dachstein Welterbe»


Die Studienrichtung «raum&designstrategien» arbeitet an den Schnittstellen Kunst, Architektur, Medien und Design. In diesem Zusammenhang werden Projekte gedacht, entworfen und realisiert. Genau dieser ganzheitliche Ansatz gefiel den Österreichischen Bundesforsten auf ihrer Suche nach möglichen Gestaltern für die Inszenierung der oberösterreichischen Seite des Dachsteins. Der Wunsch war ein Kooperationspartner, in dessen Hand die konzeptionelle Idee sowie deren Umsetzung liegen. Von Agenturen, die eine Erlebniswelt in die Bergwelt zaubern, nahm man Abstand, denn gesucht wurde eine touristische Neuorientierung, die einen zeitgemässen und respektvollen Umgang mit der Welterberegion pflegt.

Unter dem Leitthema «land_er_findung» waren im Studienjahr 2005/2006 alle Jahrgänge dem Projekt eingebunden, zunächst mit einer umfassenden Recherche.[17] Dabei näherte man sich möglichen Lösungen anhand unterschiedlichster Disziplinen und Fragestellungen, wie die nach dem Verständnis eines Landschaftsbegriffes, der kulturellen Identität des Berges, seiner Fauna und Flora, bis hin zu Materialrecherchen im Hochgebirge. Tourismusforscher, ebenso Architekten, Künstler und Fotografen, die sich mit Landschaft beschäftigen, wurden zu Vorträgen eingeladen. Abgewickelt wurde das Projekt in vier Phasen mit jeweiligen Präsentationen vor dem Auftraggeber.


Die Findung einer Corporate Identity: Altes neu codieren


«Die Auftritte bezüglich einer Corporate Identity in den Alpenregionen sind austauschbar. Das Besondere des Dachsteins ist sein Status als Weltkulturerbe, das allerdings zuvor nicht promotet und mit Inhalten belegt wurde. Deshalb nahmen wir das Wortbild «Dachstein Welterbe» zum Ausgangspunkt für den Relaunch des Gesamtprodukts. Wir erfanden nichts Neues, sondern codierten bereits Verankertes neu. Sehr zum Erstaunen der Bundesforste, die etwas [ 295 ]Ausgefallenes erwartet hatten», meint Elsa Prochazka.[18] Die Wortbildmarke bildet einen Teil des neu entwickelten Logos. Als zweiter Teil legt sich ein grafisches Element, der Layer, darüber: ein Motiv, das in seiner Abstraktheit aus dem Eindruck des Dachsteinmassivs heraus entwickelt wurde. Der Layer kann in verschiedenen Farben und Massstäben sowie mit unterschiedlichen Ausschnitten verwendet werden. Anwendung findet das neue Branding bei allen Werbemitteln, von Imagebroschüren über Plakate bis hin zu Eintritts- und Speisekarten. Da Wortbildmarke und Layer in Bezug zum alten Kulturgut (das Dachsteinmassiv als Weltkulturerbe) entwickelt wurden, entziehen sich beide Bestandteile rasch wechselnden Moden und werden langfristig wirkungsvoll einsetzbar sein.

Als optische Klammer, die für die Arbeit mit solch einer starken Landschaft notwendig ist, entschied sich Elsa Prochazka - gemäss der Forderung nach einer zeitgemässen Gestaltung -, Aluminium (und nicht Holz) als Haupt- gestaltungsmaterial zu verwenden. «Aluminium setzt einen scharfen Zeit- schnitt und Kontrast. Es ist auch kein invasives Material und fügt sich gut in die Farbigkeit des Berges ein», kommentiert die Architektin diese Wahl.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content Aluminium fand Anwendung beim Umbau des Höhlenmuseums, in den Kas- sen- und Aufenthaltsräumen der Stationsgebäude, bei den Ticketboxen sowie als Wegweiser und Installationen, die entlang der Zugangswege zu den Höhlen positioniert wurden.


«Höhlenwelt_kunst»: atmosphärisch und ortsbezogen


Der inhaltliche Zugang zur Inszenierung der drei Höhlen beruhte auf der Voraussetzung, Themen zu generieren, die sich aus der Auseinandersetzung mit dem Ort ergeben. In die Natur wurde nicht eingegriffen, sondern es wurde nur mit Klang und Licht gearbeitet. Wiederholt waren die Studenten für Recherchezwecke oder Experimentierphasen am Ort des Geschehens. Gearbeitet wurde mit avancierter Technik, ohne diese jedoch vordergründig zur Schau zu stellen.

Die Inszenierungen setzen sich vor allem mit den unterschiedlichsten Phänomenen der Höhlensysteme auseinander: Das Projekt «Regentrommel» in der Koppenbrüllerhöhle beispielsweise platziert eine mit Fell bespannte Trommel, um das an dieser Stelle von der Decke tropfende Wasser aufzufangen. Der rhythmische Aufprall der Tropfen erinnert an die stete Höhlung des Wassers, [ 296 ]das vor Jahrtausenden die Höhle geformt hat. Oder die Schatteninstallation «Lichteinfälle» in der Mammut-Höhle, die mit Objekten aus Aluminiumblech oder Draht unterschiedlichste Formen an die Höhlenwände spielt und die Höhlenmalereien vergangener Zeiten ins Gedächtnis ruft. Wiederholt wurde auf die faszinierenden Oberflächen der Felswände reagiert, wie im Projekt «Höhlenscan»: Eine um 180 Grad geschwenkte rot leuchtende Laserlinie zeichnet bei völliger Dunkelheit in der Höhle die steinerne Oberfläche der Mammut-Höhle nach. Das ist ein wahrlich spannungsgeladener Moment im Verlauf der Führung, da für die Zeit der Wanderung des Lasers das Licht abgeschaltet wird. All die insgesamt zwölf Inszenierungen sind in ihrer punktuellen und unaufdringlichen Setzung im Bewusstsein entworfen, dass Neugeschaffenes nicht mit der Höhlenwelt als einzigartiges Naturschauspiel in Konkurrenz treten kann.


Zermatt: Erlebnisorientierte Musealisierung


War Zermatt um die Mitte des 19. Jahrhunderts noch ein unbekanntes Bergbauerndorf mitten in den Walliser Alpen, wurde es ab den 1860er-Jahren von englischen Touristen aus dem englischen Grossbürgertum als Urlaubsdestination entdeckt.20 Anziehungspunkt war aber nicht nur das auf 1600 Metern über Meer gelegene Dorf selbst, sondern vor allem «der Berg der Berge» - das Matterhorn. Dass dieser Berg mit seinem eigenwilligen pyramidenförmigen Gipfelkopf zum Wahrzeichen der Schweiz selbst wurde, ist nur allzu verständlich. Durch seine dramatische Erstbesteigung 1865 wurde das kleine Bergdorf dann auch schnell weltweit bekannt. Kamen zuerst Alpinisten und Forscher, stieg danach die Zahl an Erholung suchenden Gästen. Der moderne Tourismus nahm Einzug in Zermatt und mit ihm begann die Errichtung der nötigen Infrastruktur. Um 1850 entstanden die ersten Grand Hotels, aber auch die Bahnverbindung ins nächste Tal, wurde 1891 eröffnet. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg der Tourismus erneut stark an, sodass man ab den 1960er- Jahren von geradezu einem Tourismusboom sprach, dem ein Bauboom Schritt halten musste. Gegenwärtig zählt man in Zermatt - bei einer Einwohnerzahl von 5600 Personen - 16’000 BesucherInnen pro Tag im Jahresdurchschnitt und 30’000 an touristischen Spitzenzeiten. Die Winter- und Sommersaison werden mit unterschiedlich orientierten Gästesegmenten bestritten.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content Nichts desto trotz, in Zeiten eines immer stärker von wirtschaftlichen Faktoren [ 297 ]Abb. 2: Matterhorn Museum, Zermatt: der ehemalige Dorfplatz von Zermatt. Foto: G. Hausegger.

gelenkten Bergtourismus sind Neuorientierungen notwendig. Das Projekt Matterhornmuseum sowie die Neugestaltung des Gornergratgipfels sind Teil einer langfristig angelegten touristischen Neupositionierung, wie die Studie Leitbild «Zermatt 2015» zeigt.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content

Bei der Gestaltung des 2006 eröffneten Matterhornmusems wird die eingangs erwähnte konservierende Inszenierung, der Bezug zum Authentischen, zur eigenen Traditionen und deren erlebnisstarker Aufladung, in hohem Masse aufgegriffen. Diese Authentizität bedient einen offensichtlich notwendigen «Rettungsmechanismus»: Sie bedient das Einfrieren im perfekten historischen Zustand, im schönen Moment.


«Zermatlantis»: Der unversehrte Ort


Im Dezember 2006 eröffnete im Zentrum von Zermatt das Matterhornmuseum, das unter dem bezeichnenden Namen Zermatlantis geführt wird. Für die Gestaltung zeichnet das Schweizer Kreativteam Steiner Sarnen Schweiz verantwortlich. Standort: am Kirchplatz. Genauer genommen, unter dem Kirchplatz. Unter dem Kirchplatz wurden die typischen alten Walliser Holz[ 298 ]häuser - teilweise im naturgetreuen Massstab - nachgebildet, die oberhalb im Ortskern noch immer an vereinzelten Plätzen überdauert haben.

Das Museum erzählt auf 600 Quadratmetern die Geschichte des Ortes mithilfe eines dramaturgischen Leitfadens: das Zermatt des 19. Jahrhunderts ist wird gerade von Archäologen freigelegt. Betritt man das Museum durch den gläsernen Eingangsbereich - wohl den Gipfel des Matterhorns symbolisierend - gelangt man in das unterirdische Dunkel des historischen Zermatts: Zunächst auf den Dorfplatz, den die charakteristischen Gebäudetypologien der dargestellten Zeit, wie Kirche mit Pfarrhaus, Säumerhaus und Stadel, säumen (Abb. 2).

Am Dorfplatz steht auch das Hotel, das sich mit seiner hellen Fassade und den grossen Rundbogenfenstern von den dunklen Holzhäusern abhebt. Die Gestaltung nimmt hier Bezug auf eine Lebenswelt, die im Spannungsfeld von Agrarkultur und Tourismus stand: Denn die Anfänge des Tourismus und der Hotellerie um 1850 wurden von Personen getragen, die von auswärts kamen. Die Zermatter Bevölkerung stand dieser Entwicklung skeptisch gegenüber, sie war nicht gewillt in der Hotellerie zu arbeiten und haftete weiter ihrem bäuerlichen Lebensstil und der landwirtschaftlichen Selbstversorgung an.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content «Die klare Trennung zwischen touristischer und bäuerlicher Lebenswelt bildete sich auch in der Ortsstruktur ab. In der Zeit zwischen 1855 und 1950 kannte Zermatt eine klare Zweiteilung in die dunklen, bäuerlichen Blockbauten einerseits und die hellen, voluminösen Hotelbauten andererseits», so Thomas Antonietti.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content Auch auf die Alltagskultur der Zermatter, auf Wohnen, Ernährung und Kleidung, hat sich der Fremdenverkehr lange Zeit nicht ausgewirkt. Betritt man den grosszügigen Empfangsbereich des Hotels und danach die dunkle Rauchküche, wird dieser Unterschied deutlich.

Der hell erleuchtete Bereich der musealen Forschungsstation - szenisch deutlich abgegrenzt von den historischen Plätzen - erschliesst sich erst später. Dann wird die Bedeutung der Baustellenmarkierungen klar, die da und dort an den alten Häusern angebracht sind. Nun wird den BesucherInnen bewusst, dass man eine Momentaufnahme der aktuellen Forschung miterleben kann.

Dieser Identifikationspunkt der BesucherInnen, ihr Miteinbeziehen in das Geschehen, ist Teil der Erzählstrategie, denn als Erzählung einer Geschichte ist das inhaltliche Drehbuch des Museums aufbereitet. Diese lebendige, zeitadäquate museale Methode ist charakteristische Vorgangsweise von Steiner Sarnen Schweiz, die hier in Zermatlantis ihr «oberstes Prinzip, das Erzählen von spannenden Geschichten» nach bereits zahlreichen Vorgängerprojekten perfektioniert haben.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content Die Geschichten beruhen auf einem fundierten narra[ 299 ]Abb. 3: Matterhorn Museum, Zermatt: Hotelrezeption. Foto: G. Hausegger.


tiven Kern und werden durch räumliche Inszenierungen, welche die Barrieren zwischen den ausgestellten Objekten und den BetrachterInnen ausräumen, sowie mit einer akribischen Detailgenauigkeit vermittelt. Als exemplarisch dafür kann die Rezeption des Hotels stehen, wo Telefon und Glocke für die Gäste zur Verfügung stehen und die Zimmerschlüssel sowie die Post auf sie warten (Abb. 3).

Auch wenn im Forschungslabor kritische Stimmen aus dem Dorf zu Wort kommen, die über ihre Sorgen und Wünsche bezüglich der Umwelt, sowie des Dorf- und Landschaftsbildes von Zermatt sprechen, versinnbildlicht die Vielzahl an historischen oder historischen Vorbildern nachempfundenen Objekten verdichtete Botschaften, die als Sinnbild der Unversehrtheit einer hier dargestellten Vergangenheit stehen wollen.

Seit 1998 fährt die Gornergratbahn, die zweite elektrische Zahnradbahn der Welt, vom Zentrum Zermatts auf den gleichnamigen Berg in 3100 Meter Höhe. Ein Berg mit langer Tradition und einer kontinuierlich steigenden Frequenz an Gästen. Rund 700’ 000 Personen jährlich besuchen heute den Gipfel. Was bedingt diesen Ruf des Gonergrats? Der sprichwörtlich atemberaubende Rundblick, den man von seiner Anhöhe auf rund 29 Viertausender hat: Matterhorn, [ 300 ]Monte Rosa, Weisshorn & Co. Und bei Schönwetter sind alle Bergmassive zum Angreifen nahe.

Nun soll eine attraktivere Gestaltung des Gipfels die Anzahl der Besucher-Innen steigern. Zu diesem Zweck wurde 2004 die Gornergrat Experience AG gegründet, die sich eine effiziente Bespielung des Berges zum Ziel gesetzt hat und bezeichnenderweise von einer «Entwicklung des Gipfels» spricht.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content Der thematische Überbau heisst «ganzheitliches Erlebnis». Das Konzept - unter dem Motto «Gornergrat - vom <Aussichtsberg> zum <Erlebnisberg>» medial verbreitet, umfasst den Bereich von der Talstation bis zum Gipfel: Verkürzung der Fahrzeiten, Ausbau der Wanderwege, Umbau des Kulmhotels am Gipfel samt Integration eines Einkaufszentrums, leichtere Erreichbarkeit der Aus-sichtsplattform am Gipfelplateau und eine mögliche Bespielung derselben mit einer zusätzlichen Attraktion.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content

In der inszenatorischen Qualität der Erlebniswerte gibt es Unterschiede. Die Fahrt auf den Gornergrat wird durch den Einsatz neuer, schnellerer Züge verbessert, bleibt sonst jedoch im Rahmen konventioneller Bahnfahrten. Die Aussicht allein muss genügen. Wie von Anbeginn der ersten Zahnrad- und Seilbahnfahrten, macht hier allein die Verwandlung des «stillen Bildes» der Landschaft, die sich während der Fahrt durch die sich stetig verändernde Perspektive zur Handlung, zum Drama verwandelt, den Erlebniswert selbst aus.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content

Um diesem ganzheitlichen Erlebnis mit der Gestaltung eines attraktiveren Gipfelplateaus einen adäquaten Abschluss zu geben, schrieb die Gornergrat Experience AG 2004 den Studienwettbewerb «Peak Gornergrat» aus.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content Anzudenken war ein vielfältig nutzbares Eventgebäude, das auch bei Schlechtwetter, wenn die Viertausender im Nebel verschwinden, die Gäste auf den Gipfel bringt. Das Siegerprojekt von Architekt Valerio Olgiati aus Chur lässt buchstäblich, wie Friedrich Achleitner in anderem Zusammenhang meint, «die Wahrnehmung der Natur als Konstrukt zur Wahrnehmung der Konstruktion» werden: Am Gipfelplateau ist ein Gebäude geplant, in dem auf einem 360-Grad-Panorama die aussen vorzufindende Berglandschaft wettergeschützt nochmals in ihrem Jahresverlauf abgebildet ist.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content

Seit dem späten 18. Jahrhundert sind alpine Panoramen in Verwendung, entweder in Form von ausgewählten «Panoramablicken» vor Ort oder als gross dimensionierte Panoramabilder oder -reliefs, die in der Stadt als Reiseersatz aufgestellt wurden.Cite error: Invalid <ref> tag; refs with no name must have content Dem geplanten Panorama auf dem Gornergrat liegen jedoch Inszenierungsmethoden zugrunde, die ausserhalb dieser Traditionslinien liegen: Zunächst die ständige Überprüfbarkeit der Landschaft. Dann der [ 301 ]ambivalente Schutz dieses Allwetterprojekts: Die weisse Betonhülle wird nicht dicht geschlossen, sondern an bestimmten Punkten geöffnet sein. So kann man das Schönwetterpanorama geniessen, indem man dem rauen Bergklima gut geschützt ganz nahe kommt. Erinnert man sich an die Rettung des unversehrten Zermatts in Zermatlantis, wird auch hier eine Art «Rettungsgedanke» spürbar, der die Matterhornlandschaft auf ewig unverändert konservieren möchte.


Epilog

In den drei beschriebenen Beispielen aktueller touristischer Neuorientierungen im Alpenraum werden unterschiedliche Ansätze eines marktorientierten Bergtourismus aufgezeigt. Der gemeinsame Nenner der Initiativen jedoch beruht darauf «kraft des Ortes» vorgegangen zu sein und die Erinnerung an die erfolgreichen Etappen aus der eigenen Geschichte aufgegriffen zu haben. Sie sind positive Beispiele von «konservierenden» Inszenierungen, die sich dem Rekurs auf die Stärke der Wirklichkeit verschrieben haben.


Anmerkungen

1 G. Schulz, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt 2005, VI-IX.

2 P. Kasper, H. Maegerlein, Engadin. Ein Zipfel vom Paradies, München 1981, S. 22-36.

3 Gespräch mit Men Margadant, Vnà, Juni 2008.

4 4 Stiftung Fundaziun Vnà (Hg.), Stiftung Fundaziun Vnà. Das Gast- und Kulturhaus Piz Tschütta in Vnà: Ein Dorf wird zum Hotel, Vna 2008, S. 4.

5 Gespräch mit Urezza Famos, Vnà, Juni 2008.

6 Kasper (wie Anm. 2), S. 22-24.

7 Gespräch mit Linard Mayer, Vnà, Juni 2008.

8 A. Schneider (Hg.), Das Engadiner Haus, Bern 1994, S. 6-10, 19-27.

9 Gespräch mit Christof Rösch, Vnà, Juni 2008.

10 Gespräch mit Rolf Furrer, Vnà, Juni 2008.

11 R. Reiter, «Die historische Kulturlandschaft Hallstadt - Dachstein - Salzkammergut», in: K. Luger, K. Wöhler (Hg.), Welterbe und Tourismus. Schützen und Nützen aus einer Perspektive der Nachhaltigkeit, Innsbruck 2008, S. 232-233.

12 M. Schumacher, R. Sandgruber, «Eine kleine Tourismusgeschichte des Salzkammerguts», in: R. Sandgruber (Hg.), salzkammergut. oö landesausstellung 2008, Linz 2008, S. 89-99.

13 Siehe zur Erschliessungsgeschichte des Dachsteins: H. Lambauer, «Wegbereiter des Alpinismus», Landeschronik Steirermark, Wien 1988, S. 256-257.

14 P Wegenstein, Österreichische Eisenbahnstrecken, Wien 1983.

15 W. End, Alpenvereinsführer Dachsteingebirge, München 1966, S. 35-96.

16 Reiter (wie Anm. 11), S. 244-245.

17 Gespräch mit Prof. Elsa Prochazka, Linz, Mai 2008.

18 Mayer (wie Anm. 7). [ 302 ] 19 Ebd.

20 Siehe zur Geschichte von Zermatt: T. Antonietti, Bauern - Bergführer - Hoteliers. Fremdenverkehr und Bauernkultur. Zermatt und Aletsch 1850-1950, Baden 2000, S. 49-69; Chr. M. Merki, «Eine aussergewöhnliche Landschaft als Kapital. Destinationsmanagement im 19. Jahrhundert am Beispiel von Zermatt», Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen, 9, 2004, S. 181-201.

21 Gespräch mit Helmut Biner, Leiter Kommunikation der GGB Gornergrat-Monte Rosa-Bahnen, Juni 2007.

22 http://gemeinde.zermatt.ch/pdf/Leitbild-Zermatt-2015.pdf.

23 Antonietti (wie Anm. 20).

24 Ebd., S. 58.

25 Gespräch mit Otto J. Steiner, dem Begründer von Steiner Sarnen Schweiz, Dezember 2006, Langenlois, Österreich.

26 http://www.gornergrat.ch/pdf/archiv/2004//Gruendung_Gornergrat_Experience_AG.pdf.

27 Biner (wie Anm. 21).

28 B. Tschofen, «Die Alpen schwebend erfahren. Zur Geschichte und Mythologie der Seilbahnfahrt», in: Wirtschaftskammer Tirol (Hg.), Architektur und Seilbahnen von der Tradition zur Moderne, Innsbruck 2000, S. 14.

29 H. Adam: «In den Bergen bauen», archithese, 3, 2005, S. 12-17.

30 F. Achleitner, «Bauen in den Alpen - vor und nach Edoardo Gellner», in: C. Mayr Fingerle (Hg.), Neues Bauen in den Alpen. Architettura contemporanea alpina. Architekturpreis 1999 / Premio d’architettura 1999, Basel 2000, S. 207.

31 Antonietti (wie Anm. 20), S. 17-38. [ 303 ]English Summaries


Luigi Lorenzetti, Anne-Marie Granet-Abisset, Back migrations. A disregarded chapter of Alpine history

The range of migratory movements and their periodical or temporary nature have been duly recorded, but little scholarly attention has been paid to the meaning and significance of return migrations in the Alpine regions. And yet there has certainly been no dearth of marks or vestiges in the life of many mountain communities, especially affecting their architecture, clothing, food, language, etc. Mediating as it does between two contexts - origin and destination environments - a homecoming also raises different questions concerning the single individuals and their interpersonal relations. A migrant’s hard-won decision to come back (integral to many migrants’ plans) may be seen to depend on various factors and yield distinct interpretations. It may be seen as a moment of personal redemption and achievement of social and economic success; but also as marginalisation induced by a sense of failure or the inability to settle back into the “old life” or to adjust to the loss of family and social ties existing before one’s departure.


Annemarie Steidl, Customary communication between the Alps and Vienna. Regional mobility of chimney-sweepers in Vienna


The example of Italian-speaking chimney-sweepers who settled in Vienna shows a multitude of migratory relations. A migratory route is no one-way street: explanations that involve a single cause (for instance economic downturns or overpopulation) fail to produce an accurate representation of the numerous exchanges between the alpine regions and the plains. The steady contribution of [ 304 ]young people - some of whom did not return to their villages until they retired - created a lasting exchange system between the valleys of the Grisons and Ticino and the city of Vienna. Emigrants were used to an existence alternating between a tiny Swiss village and a European metropolis such as Vienna. These workers represented a link between two apparently incompatible worlds and acted as intercultural mediators. The chimney-sweepers from the Italian-speaking region of Switzerland who migrated to Vienna in the 18th century taking their families with them may be classified as transnational migrants.


Anne-Lise Head-Konig, Back migrations in the pre-Alpine and Alpine areas: towards a typology of ambivalences (17th-20th century)


The concept of homecoming must be defined more accurately in the Swiss context. The institutional provisions of the citizenship rights put a stop to numerous returns or repatriations, up to the middle of the 19th century: conversely from World War I onwards, these laws allowed many people to “return” who had neither been born in their home country nor ever lived there before then. The typology of migrations has a considerable impact on return opportunities: moreover, urban migration was utterly different from that (multi-formed) of rural populations. On the other hand, back migration is no less a mirror of the conditions prevailing at the start of the outward journey. Did it take place as a voluntary type of migration or was it dictated by necessity (“involuntary repatriation”)? There was also a forced (or: enforced) home-coming. Bear in mind that the First World War meant a significant rift, as well as a notion per se, for migrant workers returning home.


Patrizia Audenino, Which return migration? Different timings and meanings of going back home in the Italian Alps, 1800-1900

Migration from the Alps is widely recognized as the prototype of circular migration. But in the past two centuries the timing of the return has changed so much that the same word is now denoting several different meanings. The paper intends to identify and describe different kinds of return, trying to place them in a chronological sequence. In order to better understand these differences, the

  1. 1 G. Schulz, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt 2005, VI-IX.
  2. 2 P. Kasper, H. Maegerlein, Engadin. Ein Zipfel vom Paradies, München 1981, S. 22-36.
  3. 3 Gespräch mit Men Margadant, Vnà, Juni 2008.
  4. 4 4 Stiftung Fundaziun Vnà (Hg.), Stiftung Fundaziun Vnà. Das Gast- und Kulturhaus Piz Tschütta in Vnà: Ein Dorf wird zum Hotel, Vna 2008, S. 4.
  5. 5 Gespräch mit Urezza Famos, Vnà, Juni 2008.
  6. 6 Kasper (wie Anm. 2), S. 22-24.
  7. 7 Gespräch mit Linard Mayer, Vnà, Juni 2008.
  8. 8 A. Schneider (Hg.), Das Engadiner Haus, Bern 1994, S. 6-10, 19-27.
  9. 9 Gespräch mit Christof Rösch, Vnà, Juni 2008.
  10. 10 Gespräch mit Rolf Furrer, Vnà, Juni 2008.
  11. 11 R. Reiter, «Die historische Kulturlandschaft Hallstadt - Dachstein - Salzkammergut», in: K. Luger, K. Wöhler (Hg.), Welterbe und Tourismus. Schützen und Nützen aus einer Perspektive der Nachhaltigkeit, Innsbruck 2008, S. 232-233.
  12. 12 M. Schumacher, R. Sandgruber, «Eine kleine Tourismusgeschichte des Salzkammerguts», in: R. Sandgruber (Hg.), salzkammergut. oö landesausstellung 2008, Linz 2008, S. 89-99.
  13. 13 Siehe zur Erschliessungsgeschichte des Dachsteins: H. Lambauer, «Wegbereiter des Alpinismus», Landeschronik Steirermark, Wien 1988, S. 256-257.
  14. 14 P Wegenstein, Österreichische Eisenbahnstrecken, Wien 1983.
  15. 15 W. End, Alpenvereinsführer Dachsteingebirge, München 1966, S. 35-96.
  16. 16 Reiter (wie Anm. 11), S. 244-245.
  17. 17 Gespräch mit Prof. Elsa Prochazka, Linz, Mai 2008.
  18. 18 Mayer (wie Anm. 7).