Professor Unrat/Kapitel VIII

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Professor Unrat  (1906)  by Heinrich Mann
Kapitel VIII

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VIII

 

Darüber dachte Unrat selber nie nach, und nur eines beunruhigte ihn, wenn er sich spät am Abend [ 136 ]von der Künstlerin Fröhlich trennte: die Ungewißheit über Kieselack, von Ertzum und Lohmann. Die Furcht vor ihrem Treiben im Verborgenen ließ ihm allmählich das Äußerste tunlich und alle zwischen den Menschen gesetzten Grenzen überschreitbar erscheinen. Draußen im Gäßchen vor dem Blauen Engel hörte er einmal ihre Schritte hinter sich. Er machte den seinigen ganz leicht, damit es ihnen nicht auffiel, wenn er stehen blieb. Hinter der Ecke lauerte er und trat unversehens mit schiefem Kopf auf sie zu. Sie prallten zurück; aber Unrat sagte ermunternd und mit giftigem Blinzeln:

„Nun denn, ich sehe, daß Sie sich — immer mal wieder — einen Kunstgenuß verschafft haben. Das ist ja denn auch recht von Ihnen. Kommen Sie, wir wollen das Gehörte einmal zusammen durchgehn, dabei werde ich dann Gelegenheit haben, mich darüber zu unterrichten, wie weit sie es in diesen Gegenständen schon gebracht haben.“

Da die drei stehen blieben und sich in diese erschreckende Vertraulichkeit mit dem Tyrannen sichtlich nicht hineinfanden, setzte er hinzu:

„Mein hierdurch über den Stand Ihrer allgemeinen Bildung gewonnenes Urteil kann auf Ihr nächstes Zeugnis — wahrlich doch — einigen Einfluß ausüben.“

Darauf nahm er Lohmann an seine Seite und ließ die beiden andern vorangehn. Lohmann kam sehr unlustig mit; aber Unrat begann ohne weiteres von des Sekundaners Lied vom runden Mond. [ 137 ]


„Steht deine Liebe und du hörst sie weinen,“ sagte er. „Die Liebe, als ein Abstraktum möchte nun zwar nicht weinen können. Da Sie indessen ,die Liebe‘ als eine Personifikation Ihres Seelenzustandes angesehen wissen wollen, und nunmehr dies poetische Wesen aus Ihnen heraustritt, um an dem Ufer eines von Ihnen angenommenen Sees zu weinen, so mag’s denn sein. Hinzufügen aber muß der Lehrer, daß besagter Seelenzustand einem Sekundaner und noch dazu einem solchen mit ungewisser Aussicht das Ziel der Klasse zu erreichen, keineswegs wohl ansteht.“

Lohmann, erschreckt und erbittert, weil Unrat ein Stück von seiner Seele zwischen seinen dürren Fingern umwendete:

„Das alles ist poetische Lizenz, Herr Professor, von Anfang bis zu Ende. Ein ganz frivoles Machwerk, l’art pour l’art, wenn Sie den Ausdruck kennen. Hat mit Seele absolut nichts zu tun.“

„Drum denn — mag’s denn sein,“ wiederholte Unrat.

„Das Verdienst an der gemütvollen Wirkung des Liedes gebührt mithin — traun fürwahr — der vortragenden Künstlerin ganz allein.“

Die Nennung der Künstlerin Fröhlich bewirkte in ihm einen Stolz, den er zurückdrängte, indem er den Atem anhielt. Er lenkte gleich wieder von ihr ab. Er warf Lohmann seine romantische Dichtungsart vor und verlangte eifrigeres Studium des Homer von ihm. Lohmann behauptete, die wenigen, wirklich poetischen [ 138 ]Stellen bei Homer seien längst überboten. Der sterbende Hund, bei Odysseus’ Heimkehr, befinde sich viel wirksamer in La Joie de vivre, von Zola.

„Wenn Sie davon gehört haben, Herr Professor,“ setzte er hinzu.

Schließlich gerieten sie auf das Heinedenkmal, und Unrat rief befehlshaberisch und mit Rachedrang gegen Lohmann, in die Nacht hinaus:

„Nie! Niemals!“

Sie waren beim Stadttor; Unrat hätte nun gleich abbiegen müssen. Statt dessen beschied er, zwischen den dunkeln Wiesen, Kieselack zu sich her.

„Gehen Sie nun denn also mit ihrem Freunde von Ertzum,“ sagte er zu Lohmann. Im Augenblick warf sich all seine Besorgnis auf Kieselack. Die Famlienverhältnisse dieses Schülers leisteten keine Bürgschaft für ihn. Sein Vater war ein des Nachts beschäftigter Hafenbeamter. Kieselack gab an, er teile sein Heim nur mit einer Großmutter. Unrat bedachte, daß durch solche Greisin Kieselacks nächtliche Bewegungsfreiheit gewiß wenig beschränkt werde. Und das Tor des Blauen Engels stand noch lange offen…

Kieselack witterte, worauf es Unrat ankomme. Er versicherte:

„Großmutter haut mich.“

Unter Unrats wachsamen Blicken, ein Stück vor ihm auf, ließ von Ertzum seine krampfig geballten Fäuste hängen und sagte dumpf zu Lohmann:

„Er soll es nicht zu weit treiben, das rat’ ich ihm bloß. Alles hat ’n Ende!“ [ 139 ]


„Hoffentlich noch nicht,“ erwiderte Lohmann. Ich finde die Geschichte immer fragwürdiger.“

Ertzum, von neuem:

„Ich will dir was gestehen, Lohmann … Wir sind hier ziemlich allein, die nächste Laterne und der nächste Schutzmann kommen beide erst bei Witwe Blöß. Wenn ich mich umdreh’ und den Menschen niederschlage — ihr werdet mich ja hoffentlich nicht abhalten … Dies Weib — dies Weib in den Pfoten eines solchen Elenden, einer solchen Krabbe! Ihre Reinheit!… Kerl, du, es geschieht was!“

Von Ertzums Heftigkeit stieg, weil er fühlte, daß er befremde. Aber das machte ihm nichts, und er schämte sich seiner Drohungen nicht mehr, denn heute wußte er sich fähig, sie alle zu vertreten.

Lohmann zögerte.

„Ein Geschehnis wäre es, wenn du ihn totschlügest, das läßt sich allerdings nicht leugnen,“ bemerkte er schließlich, müden Tonfalls. „Es hätte doch mal einer eine Geste gewagt — eine Tür aufgerissen; — statt daß unsereiner immer nur dahinter steht, mit Angst ertappt zu werden, wenn sie plötzlich von innen geöffnet würde.“

Lohmann schwieg und wartete gespannt darauf, daß der andere ihm ins Gesicht sage, er liebe Frau Dora Breetpoot. Er spielte in seinem Sinn mit der Flinte, die für solchen Fall bereit lag … Aber sein Geständnis zerging ungehört in der Luft.

„Eine andere Frage,“ und Lohmann verzog den [ 140 ]Mund, „ist allerdings, ob du’s tust … Du tust ja auch nichts.“

Von Ertzum machte eine wilde Bewegung rückwärts. Lohmann sah, denn die Laterne der Witwe Blöß war nicht mehr fern, ganz gut einen Schwindel durch seines Freundes Blick streichen. Er packte ihn am Arm.

„Keine Dummheiten, Ertzum!“

Darauf stellte er sich ungläubig.

„So was gibt’s doch nicht, das faßt man doch nicht ernstlich ins Auge. Sieh dir den Menschen an, bitte. Ist das einer, den man mordet? Das ist einer, über den man die Achseln zuckt. Hast du Lust, nach geschehener Tat mit dem alten Unrat zusammen in der Zeitung zu stehn? Wie kompromittierend!“

Ertzums schwerblütige Wallung legte sich allmählich. Lohmann verachtete ihn ein wenig, weil er wieder ungefährlich war.

„Noch dazu,“ bemerkte er, „hättest du etwas nicht ganz so Unsinniges tun können und hast es nicht getan. Hast du von Breetpoot Geld verlangt?“

„N — ein.“

„Siehst du. Du wolltest vor deinen Vormund hintreten, ihn deine Leidenschaft wissen lassen und deine Entschlossenheit ihr nachzugehn. Daß du ein Mann seist, und daß du lieber zweijährig dienen wollest als zusehn, wie die Geliebte an einen Schubjack verloren gehe. Du wolltest dich um ihretwillen befreien: das wolltest du!“

Ertzum murmelte: [ 141 ]


„Was hätte ich davon gehabt.“

„Wieso?“

„Geld hätte er mir keins gegeben. Er hätte mir die Kandare fester angezogen. Ich könnte Rosa jetzt nicht mal mehr sehn.“

Auch Lohmann hielt ein derartiges Verhalten des Vormunds für wahrscheinlich.

„Ich kann dir dreihundert Mark pumpen,“ sagte er nachlässig. „Wenn du also mit ihr durchgehen willst —“

Ertzum antwortete zwischen den Zähnen hervor:

„Danke.“

„Nein? Also nicht.“

Lohmann schlug ein schwaches und böses Gelächter auf.

„Aber du hast ganz recht. Bevor man eine zur Gräfin macht, besinnt man sich doch. Und anders tut sie es wohl nicht.“

„Ich selbst würde es nicht anders gewollt haben,“ sagte von Ertzum, gebrochen und schlicht. „Sie aber will nicht … Ach, das weißt du nicht. Niemand weiß, daß ich seit Sonntag ein verzweifelter Mensch bin. Es ist eigentlich zum Lachen, daß ihr mich behandelt, als wär’ ich noch derselbe — und daß ich mich auch so benehme.“

Sie schwiegen. Lohmann war sehr unzufrieden; er fühlte sich geschädigt, in seiner Leidenschaft um Dora Breetpoot verletzt, weil nun auch Ertzum dank dieser lächerlichen Fröhlich in eine tragische Rolle geriet. Ertzum und diese Fröhlich rückten ihm zu nahe. [ 142 ]


„Also?“ fragte er stirnrunzelnd.

„Ja. Sonntag, auf dem Ausflug nach dem Hünengrab, mit dir, Kieselack und — Rosa … Rosa ganz für mich zu haben, mal ausnahmsweise ohne Unrat: ich war so froh. Ich war meiner Sache überhaupt ganz sicher!“

„Richtig. Du warst zu Anfang in vorzüglicher Laune. Du hast das Hünengrab sogar nach Möglichkeit kaputt gemacht.“

„Ach ja. Wenn ich daran denke — als ich das Hünengrab kaputt machte, das war vorher, da war ich noch ein anderer Mensch … Nach dem Frühstück waren wir so gut wie allein im Wald, Rosa und ich; denn du und Kieselack ihr schlieft. Ich faßte mir ein Herz: im letzten Moment hatte ich doch Angst gekriegt. Aber sie hatte mich ja immer gut behandelt, ganz anders als dich … nicht wahr?… und wartete sichtlich bloß auf meine Erklärung. Ich hatte mein bißchen Geld eingesteckt und glaubte bestimmt, wir würden gar nicht mehr nach der Stadt zurückkommen, sondern gleich durch den Wald an die Station laufen.“

Er verstummte. Lohmann mußte ihn anstoßen.

„Sie liebt dich nicht — genügend?“

„Sie sagte, sie kenne mich nicht hinlänglich. Hältst du das für einen falschen Vorwand?… Sie meinte auch, wir würden ja doch gefaßt; und dann käme sie wegen Verführung eines — Minderjährigen ins — Loch.“

Lohmann kämpfte ingrimmig mit seiner Lachlust.

„Soviel kalte Überlegung,“ sagte er mit [ 143 ]Anstrengung, „das ist nicht das Wahre. Mindestens ist ihre Liebe nicht auf der Höhe der deinigen. Du solltest dir deinerseits überlegen, ob du von den auf sie gesetzten Gefühlswerten nicht lieber einige zurückziehst … Hast du nicht die Empfindung, daß sie nach eurer Unterredung beim Hünengrab nicht mehr deine ganze Zukunft wert ist?“

„Nein, die Empfindung hab’ ich nicht,“ sagte von Ertzum ernst.

„Dann ist nichts zu machen,“ entschied Lohmann.
 

Sie waren am Hause des Pastors Thelander. Ertzum kletterte den Pfeiler hinauf zum Balkon. Unrat stand zwischen Kieselack und Lohmann und sah ihm nach. Als Ertzum in sein Fenster gestiegen war, wandte Unrat sich nachdenklich zum Gehen. Er sagte sich, daß von Ertzum, sobald es ihm einfiele, wieder hinabklettern könne … Aber er fürchtete von Ertzum wenig; er verachtete seine Einfalt.

Er führte die beiden andern Schüler zur Stadt zurück und brachte Kieselack bis in den Machtbereich seiner Großmutter.

Dann ging er mit Lohmann vor sein väterliches Haus, hörte das Tor sich schließen, sah droben Licht entstehen, wartete peinlich, bis es wieder verlosch und ließ noch eine Weile verstreichen. Es erfolgte nichts mehr.

Da fand Unrat endlich den Mut, sich schlafen zu legen.