Page:Labi 1998.djvu/303

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zur Wanderung; dauerhafte Stellenangebote waren knapp. Das Beispiel der Salinenstadt Hallein, in der eine katastrophale Arbeitsmarktsituation herrschte, kann dies verdeutlichen: Im Vormärz drängte das Pfleggericht die ansässigen Meister, nur noch inländische Gesellen einzustellen.[31] Jahrzehnte später, im Jahr 1861, verliessen die zugezogenen Gesellen die Stadt nach durchschnittlich 4,5 Monaten, wobei die Aufenthaltsdauer je nach Branche stark schwankte. Aufgrund der prekären lokalen Wirtschaftssituation herrschte etwa kaum Bautätigkeit; die wenigen Bauhandwerker blieben somit im Durchschnitt nur 1,9 Monate. Das relativ stabile Lebensmittelhandwerk wies dagegen eine Aufenthaltsdauer von durchschnittlich 6,4 Monaten auf.[32]

Zweitens waren weiterhin auch fachliche Gründe, also Fortbildungsmöglichkeiten, für die «Walz» verantwortlich. Die Wanderung mancher Gesellen erscheint daher geradezu als «kleinbürgerlich-bürgerliche Bildungsreise».[33] Der Anschluss an die kleinbürgerliche Existenz war jedoch schnell verloren; der Übergang in das Lumpenproletariat konnte fliessend sein. Strenge gesetzliche Bestimmungen verschärften die soziale Situation und schufen räumliche und soziale Barrieren: War etwa im Vormärz ein ausländischer Handwerksbursche seit mehr als zwei Monate arbeitslos, dann wurde ihm die Einreise in die österreichischen Staaten verwehrt.[34] Zusätzlich erschwerten Arrest und Abschiebung den neuerlichen Einstieg in die Arbeitswelt.

Drittens schliesslich besass die Gesellenwanderung auch die Funktion der politischen Agitation. 1874 hatte sich etwa der Schlossergeselle Anton Wildenthaler von Salzburg nach Steyr begeben. Er sollte dort den aus der Waffenfabrik entlassenen Kopf der Sozialdemokraten, Franz Fortelka, ersetzen.[35] Der Schuhmachergeselle Johann Beck fiel der Behörde wegen politischer Aktivitäten in Graz und Linz auf. 1875 wurde er aus Oberösterreich in seine Heimat Vorarlberg abgeschoben, wo er weiterhin für die Sozialdemokratie warb.[36] Bezeichnenderweise stand auch Franz Michael Felder in engem Kontakt mit zwei Handwerksgesellen, die sich längere Zeit in der Schweiz und in Frankreich aufgehalten hatten.[37]

Diese Bereitschaft der Handwerksgesellen zum politischen Engagement war die Folge von gemeinsam erlebten Repressionen während der Wanderschaft, vor allem aber Ergebnis der Bekanntschaft mit neuartigen Ideen. Auf der einen Seite wurde daher versucht, die Wanderung in manche Gegenden zu erschweren. 1841 galt etwa in Österreich ein Reiseverbot in den Kanton

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HELLMUTH: «DIE ÖFFENTLICHE MEINUNG ...»