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gen Schnees bezeichnete. Diese Dreiteilung der Gebirge stammt aus der antiken Dichtung und wurde im Zusammenhang mit der Neubewertung des Gebirges im Verlaufe des 18. Jahrhunderts auch auf die Alpen angewendet, etwa in Gottlieb Sigmund Gruners Briefen «Reisen durch die merkwürdigsten Gegenden Helvetiens».[2] Grüner schildert darin eine Reise durch die Schweiz, die sich, gänzlich ungewohnt für das zeitgenössische Publikum, auf einer Höhe von 3000 und mehr Metern abspielt. Dem imaginären Adressaten gegenüber äussert Grüner denn auch immer wieder seine Besorgnis darüber, dass diesem die endlosen Schilderungen von Schnee, von Gletschern und Eis, von Kälte und Steinwüsten abstossend erscheinen möchten und er ein völlig einseitiges Bild der Schweiz erhalten könnte. Im letzten Brief gibt er sich daher alle Mühe, einen solchen Eindruck zu korrigieren und betont: «Sie werden es mir aber kaum glauben, wenn ich Ihnen bezeuge, dass es ein fruchtbares Land ist, welches nebst den vielen Eisgebirgen die schönsten und fettesten Alpen hat; so dass es vermittelst derselben im ganzen betrachtet, durch die Eisgebirge wenig verliert.»[3]

Diese Relativierung bringt nur allzu deutlich die Unsicherheit darüber zum Ausdruck, was der Mensch in den obersten Regionen der Alpen verloren habe. Anders als Schiller, der mit der Begegnung von Fischer, Hirte und Alpenjäger die Einheit des Alpenraums hervorhebt, bringt Grüner zum Ausdruck, dass die oberste Zone der Alpen von den zwei unteren noch weitgehend isoliert war. Tatsächlich spielte sich die Entdeckung der Alpen, wie sie von der europäischen Intelligenz im Gefolge Albrecht von Hallers und Jean Jacques Rousseaus vollzogen wurde, in der ersten und zweiten Zone ab, die dritte, die Eisgebirge, geriet noch kaum in den Blick.

Anderseits aber stösst man in zeitgenössischen Texten - naturkundlichen, literarischen und philosophischen - immer wieder auf drei Figuren, die ihre Existenz oder einen Teil davon von den Produkten gerade dieser Region bestreiten. Es sind dies der Wildheuer, der die am höchsten gelegenen Grasvorkommen ausbeutet, der Strahler, der in kaum zugänglichen Berghöhlen nach Kristallen sucht, und der Jäger, der im Hochgebirge den Gemsen nachstellt. Von allen dreien wurde ihm die grösste Aufmerksamkeit zuteil. Nimmt man sie zum Massstab, so muss man davon ausgehen, dass der Gemsjäger innerhalb der alpinen Gesellschaft eine besondere Stellung einnahm. Allerdings belehrt einem ein auch nur flüchtiger Blick in die einschlägigen geographischen Werke des 18. Jahrhunderts, dass seiner Tätigkeit für Ökonomie und Gesellschaft der schweizerischen Alpenregionen nur marginale Be-

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HISTOIRE DES ALPES - STORIA DELLE ALPI - GESCHICHTE DER ALPEN 1998/3