Page:H.M. Venus.djvu/244

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„Noch eine Weile,“ flüsterte sie. „Es handelt sich um weniges.“

Und sie betrachtete in dem flüssigen Spiegel die eigene Nacktheit.

Dieser Leib, der nie geboren hatte, war jungfräulich inmitten seiner zerrütteten Reife. Diese Brüste, klein und spitz, stachen ihre fchwarzblauen Warzen täglich in den Schaum neuer Genüsse. Unterhalb des Nabels vertiefte sich immer mehr die eine starke Falte; sie glich einer Schlange, die diefen nach Lust stürmenden Leib anstachelte mit ihren Bissen. Auf dem glatten Bauch und der edlen Senkung der Schultern wurde der matte Alabaster der Haut getönt von ein paar gelben Flecken. Sie waren hingeküßt von einem allzu heftigen Liebhaber, der sich nicht mehr vergessen ließ: von der Zeit. Die Innenseite der Arme war schlaff und die großen Adern geschwellt von einem blauvioletten Blut, das diese oft herabgesunkenen und immer wieder emporgeschnellten Arme antrieb: legt euch um neue Nacken! Die Hände, einst geweiht und vollendet durch das Hinabgleiten an Vasen und Büsten, hatten wieder etwas fast kindliches bekommen; auf der Höhe ihrer Weisheit und am Ende so vieler Übungen hingen sie aufs neue ungestillt und hilflos. Der ganze Leib war früher üppiger gewesen, zur Zeit des triumphierenden Lebens auf den Thronen der Kunst und zwischen ihren Räucherpfcmncn. Nun ward er immer magerer; das mür.be Fleisch, abgenutzt und verzehrt von Fieberglnten, schmolz nach jeder Liebesnacht ein wenig weiter fort; und kaum mehr verdeckt von der gespannten,

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