Page:H.M. Venus.djvu/118

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den Auges, oder lächelnd, oder in nachdenklicher Dämme rung, öder blaß und kalt, oder übersprüht von Freude und Kerzenschein, oder als vergehendes Phantom, wanderte und verschwand unter wechselndem Licht sie selbst — immer sie selbst — in die gläserne Tiefe.

Sie gedachte still, ein wenig traurig, der Bacchantin von einst.

„Ich hab’ mich vorhin schon einmal wiedererkannt,“ sagte sie. „Wie ich vor langer Zeit eine Nacht hindurch gewesen war … Schauen Sie dort zuhinterst, klein, unter den goldenen Kränzen der Thür: das ist Chloë, die nach Daphnis ruft.“

„Das kommt aus Ihrer Kindheit wieder?“

„Ja.“

„Ein Spiel. Sie sind ein Spiel, das täglich neu ist. Sie sind die unerwartete Stimmung, die unverhoffte Empfindung, die in ihrem gesunden, feierlichen Körper einherschreitet. Ihre Kleider sogar sind Seele! Die Heidin, die jeden Morgen neugeboren erwacht, mit neuer Sonne in den Augen, und von der vorigen Dämmerung nichts mehr weiß! … In dieser Minute sind Sie ganz Geist und für ein paar Atemzüge so gestimmt, wie die rein geistigen Menschen, von denen jener Jüngling träumte, ihr Lebenlang gestimmt sind. O, es ist gut, daß Sie gleich wieder anders sein werden! Wenn es bliebe wie jetzt — als ständen Sie mit der Pastellkreide in der Hand und zeichneten mir Bilder, und ich sagte Ihnen Gedichte, und in den Austausch der Geister ließen Sie gerade genug weiblichen Zauber fließen, um dem Manne der Sie fühlt, Genie zu

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