Page:H.M. Minerva.djvu/156

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her, vor meiner Thür! Sie gieren nach ihrem Maler und haben Angst vor ihm. Sie kommen schamhaft, unsicher, lüstern. Im Grunde möchten sie sich gleich entkleiden. Meine Leinwand ist ihnen wie ein Betttuch, auf das sie sich nackt hinstrecken sollen. Und ich, ich sorge dafür, daß ihre Gesichter vor Blässe und Weichheit zerfließen, üppig zurückgebogen in die blonden Locken, um die ich schwarze Kohlenränder lege, nachdem die Farben getrocknet sind. Und die Augen mache ich schwarz und das eine Lid ein wenig tiefer geschlossen und mit etwas müderen Falten. Ihre Schönheit, die ganz Europa kitzelt, sie lebt von dem Betrüge meiner Kunst. Jede von ihnen weiß das und fürchtet nichts so sehr, wie meine Verachtung. Ihre Eitelkeit verlangt, daß ich auch noch mich selbst täusche. Sie ertragen es nicht, aus meinem Atelier zu verschwinden, einfach als abgethane Modelle. Sie wollen etwas von sich selbst in meinem Blute hinterlassen. Jede hat, ah, das empört mich am meisten, jede einzelne hat die blöde Unverschämtheit, von mir geliebt sein zu wollen, von mir, der ich doch überhaupt nur darum ein Damenmaler geworden bin, weil eine einzige, eine einzige mir nichts anderes mehr erlaubt, weil sie mich zwingt, mein ganzes Lebenlang auf sie zu warten, in jedem Wafser und in jedem Stück Glas ihr Spiegelbild aufzufangen, und immer, immer zu warten, ob sie selbst kommt!“

„Aber das ist ja ein Ausbruch!“ murmelte die Herzogin. „Besinnen Sie sich doch!“

Sie saß ohne Bewegung. Das Kind nahm die

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