Professor Unrat/Kapitel XVI

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Professor Unrat  (1906)  by Heinrich Mann
Kapitel XVI

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XVI

 
Er wäre glücklich gewesen, wenn er noch stärker gewesen wäre; wenn er nicht in einer Krise seines Geschicks, das der Menschenhaß war, sich der Künstlerin Fröhlich ausgeliefert hätte. Sie war die Kehrseite seiner Leidenschaft: sie mußte alles bekommen, in dem [ 257 ]Maße, wie die andern alles verloren. Sie war um so pflegebedürftiger, je mehr alle andern es verdienten, zerschmettert zu werden. Auf sie hatte sich der überreizte Zärtlichkeitstrieb des Menschenfeindes geworfen. Das war schlimm für Unrat: er sagte es sich selbst. Er sagte sich, daß die Künstlerin Fröhlich nichts hätte sein dürfen als ein Instrument, die Schüler zu „fassen“ und hineinzulegen. Statt dessen stand sie nun gleich neben Unrat selbst, hoch und heilig im Angesicht der Menschheit, und er war genötigt, sie zu lieben und zu leiden unter seiner Liebe, die sich auflehnte gegen den Dienst seines Hasses. Unrats Liebe war dem Schutz der Künstlerin Fröhlich geweiht und ging für sie auf Raub aus: es war eine ganz männliche Liebe. Dennoch führte auch diese Liebe zuletzt zur Schwächung…
 

Es kam vor, daß er sich bei ihrer Heimkehr versteckte und bis abends nicht mehr zum Vorschein kam. Sie verhandelte durch die Tür, mit ihrem leichten, ein bißchen mitleidigen Stimmchen. Aber er wollte nicht einmal essen. Er habe wissenschaftlich zu arbeiten. Sie warnte ihn freundschaftlich, er werde sich krank machen; und entschloß sich mit einem Seufzer, seinen Anfall vorübergehn zu lassen. Er hatte wahrscheinlich wieder ihre Garderobe untersucht und in ihrer schmutzigen Wäsche herumgestochert. Vielleicht hatte er heute morgen das Billett gelesen. Plötzlich kriegte er dann ’nen Rappel, konnte sie, wenn sie so zerknüllt nach Haus kam, nicht mehr ansehn, drehte sich, ganz schamrot, nach allen Ecken und verduftete. Es war [ 258 ]ordentlich aufregend. Das heißt, ganz ernst, na also wirklich im tiefsten Grunde ernst konnte man es doch nicht nehmen. Dafür spielte man selbst zu viel. Erstens spielte sie verheiratet: es war ihr unmöglich, es anders aufzufassen. Wie sie ihrem alten Unrat damals mitten auf der Straße ihre Mimi zugeschickt hatte — das war fein gewesen, dabei hatte man ordentlich was gefühlt. Und dann das Getue jetzt mit den Männern, die Fatzkereien, bis es zu was Richtigem kam, und die Masse Lügen die ganze Zeit über, daß einem bloß nichts entwischte im Beisein von Unrat — der doch natürlich ganz genau Bescheid wußte. Sie war ihm geradezu dankbar, daß er die Komödie mitspielte und von ihren täglichen kleinen Seitensprüngen noch so viel Wesens machte. Das brachte doch Leben in die Bude! Komisch, daß er sich nie daran gewöhnte.

Und dabei lag an dem Ganzen doch ihm viel mehr als ihr selbst. Manchmal führte er sich auf wie übergeschnappt und wollte von heute auf morgen irgend einen Gewissen totmachen. Er konnte es gar nicht mehr aushalten. „Ich empfehle dir den Schüler Vermöhlen. Richte dein Augenmerk — immer mal wieder — auf den Schüler Vermöhlen.“ Was hieß denn das, bitte? Brauchte man danach noch einen Menschen zu fragen? Und wenn er so darauf brannte, daß sie mit Konsul Breetpoot fertig würde?

Die Künstlerin Fröhlich zuckte die Achseln.

Unrat, den sie nicht begriff, war zuckend entrückt in wahre Sternenstürze von Leidenschaft. Seine Liebe, [ 259 ]die er täglich verwunden mußte, um seinen Haß zu füttern, reizte diesen Haß zu immer tollerem Fieber. Haß und Liebe machten einander irr, brünstig und schreckenvoll. Unrat hatte die lechzende Vision der ausgepreßten, um Gnade flehenden Menschheit; dieser Stadt, die zerbrach und öde stand; eines Haufens von Gold und Blut, der zerrann ins Aschgrau des Untergangs der Dinge.

Dann wieder erlitt er die Halluzination der von andern geliebten Künstlerin Fröhlich. Die Bilder der fremden Umarmungen erstickten ihn: aber alle geschahen mit dem Gesicht von Lohmann! Das Schlimmste, Hassenswerteste, was Unrat erleben konnte, war für immer zusammengedrängt in die Züge von Lohmann — dieses Schülers, der auf keine Art zu „fassen“, der nicht einmal mehr in der Stadt war.

Nach solchem Zustand ohnmächtiger Bedrängtheit übermannte ihn Mitleid mit sich und mit der Künstlerin Fröhlich. Er verhieß ihr tröstend, daß es nun bald genug sei, und daß sie sich zurückziehen wollten, den Ort verlassen und das genießen, „was sie dir schuldigermaßen haben abtreten müssen.“

„Wie viel meinst du woll, daß es is?“ fragte sie abweisend. „Du merkst dir egal bloß, was wir kriegen. Aber was sie uns wieder wegnehmen, is auch nich übel. Unsere Möbel haben sie uns gepfändet, nich? Glaubst du, daß wir für die, die wir jetzt haben, auch bloß eine Rate bezahlt haben? Du schneidst dich eklig, wenn du das glaubst. Uns gehört das Sofakissen da [ 260 ]und dann noch der Rahmen von dem ollen Bild: sonst gehört uns nischt.“

Sie war in grausamer Stimmung, überanstrengt durch die Hetzjagd mit Männern; hatte das Amüsante ihres Daseins grade ganz aus den Augen verloren und rächte sich an dem, der der Nächste dazu war. Unrat nahm dies erschütternd wichtig.

„Es ist meine Pflicht, deinem Wohle vorzustehen. Ich bin nicht gesonnen, mich dieser Pflicht nicht gewachsen zu zeigen … Sie sollen es mir büßen!“ setzte er zischend hinzu. Sie hörte gar nicht, sie ging gereizt umher und preßte sich die Hände.

„Du bildst dir woll hoffentlich nich ein, ich mach dies blödsinnige Leben dir zu gefallen mit, und damit du deine Männekens klein kriegst. Nee, wenn nich Mimi wäre — aber für Mimi muß ich verdienen. Daß Mimi mal anders wird als ihre Mama. Ach Gott…“

Dann ward das Kind hereingeholt in seinem weißen Nachthemdchen; und dann kam eine Tränenkrise. Unrat ließ Arme und Kopf hängen. Er mußte ausgehen, die Künstlerin Fröhlich legte sich zu Bett. Aber bis zur Stunde der Gäste war sie wieder auf der Höhe; und an Unrat machte sie alles wieder gut, sie war zart und freundschaftlich, flüsterte ihm häufig abseits etwas Vertrauliches zu, daß alle sahen, er blieb ihr die Hauptperson; machte sich lustig mit ihm, grade über die Herren, mit denen er sie im Verdacht haben konnte; schmeichelte ihn in die Täuschung hinein, als sei nie etwas Ernsthaftes vorgefallen. Ja, er war, [ 261 ]solch ein Stündchen lang, nicht weit von dem Wahn, als habe er alle seine Erfolge ohne Gegenleistung eingeheimst. Er glaubte es ja nicht; aber er hielt sich vor, was ihn denn hindere, es zu glauben, und wo die Gegenbeweise seien. So beglückend war der Rückschlag nach seinen vorigen Qualen.
 

Eines heitern Tages im Frühling, des ersten heitern nach vielen Seelenkrisen, lustwandelten Unrat und die Künstlerin Fröhlich miteinander zur Stadt. Unrat ruhte sich gerade auf dem Bewußtsein aus, daß sie am Ende doch Verbündete waren: die besten, die einzigen. Die Künstlerin Fröhlich, die mit den griechischen Stunden auch ihren Ehrgeiz, Unrat zu lieben, aufgegeben hatte, schöpfte ihre Selbstachtung und ihren guten Mut aus ihrem ehrlichen Freundschaftsgefühl für Unrat. Darum lächelten sie beide auch nur über Herrn Dröge, den Krämer an der Ecke ihrer Straße, der bei ihrem Vorübergehn seine Ladentür aufriß, mit den Fäusten drohte und etwas Schimpfliches nachschrie. Auch die Obstfrau konnte bei ihrem Anblick nicht ruhig bleiben. Sie hatte Herrn Dröge sogar schon dazu angestachelt, die Mündung seines Wasserschlauches auf den vorübergehenden Unrat zu richten. Solche Zwischenfälle ließen sich bei keinem Ausgang des Ehepaars Unrat mehr vermeiden. Sie schuldeten aller Welt, obwohl sie kreuz und quer mit Geld umherwarfen; und die Lieferanten, die ihnen Kredit nicht gewährt, sondern aufgedrängt hatten, machten den meisten Lärm. Es war die Regel, daß im voraus bezahlte Toiletten aus [ 262 ]Paris eintrafen, und daß die im vorigen Monat gegessenen Frühstückssemmeln noch immer nicht ihnen gehörten. Dabei glaubte die Künstlerin Fröhlich zu sparen für ihr Kind, und Unrat für die Künstlerin Fröhlich zu rauben. So oft der Gerichtsvollzieher kam — vergebens kam — herrschte Bestürzung, Wut und Niedergeschlagenheit. Wie hätte man ihn schon wieder voraussehen sollen. Die Künstlerin Fröhlich fand sich längst nicht mehr zurecht in Rechnungen und Schuldscheinen. Unrats beständiger Trieb galt den Verlusten der andern und nicht der Pflege des eigenen Wohlstands. Von der Fäulnis, die sie ringsumher in den Verhältnissen anstifteten, schillerten auch ihre eigenen. Betrogen und ins Dickicht gehetzt, schwindelten sie sich durch, an der Hand der unbestimmten Hoffnung auf einen unwahrscheinlich großen Spielgewinn und auf das endliche Aussterben der Gläubiger. Sie spürten heimlich wohl den Boden wanken und richteten im Davongerissenwerden noch so viel Schaden an wie möglich.

In der Siebenbergstraße war eine Begegnung mit dem Möbelhändler auszuhalten, der behauptete, sie hätten von den noch nicht bezahlten Möbeln mehrere weiterverkauft, und mit dem Gericht drohte. Unrat forderte ihn giftig lächelnd auf, er möge doch nachsehn. Die Künstlerin Fröhlich äußerte:

„Da machen Sie sich man weiter keine Hoffnung drauf. So klug sind wir allein, daß da nischt Gutes bei zu holen is.“

In diesem Augenblick geschah neben ihr ein [ 263 ]Säbelklirren. Sie sah hin und rasch wieder weg. Eine Stimme sagte rauh:

„Donnerwetter!“

Und eine andere, gelassen verwunderte:

„Sieh mal an.“

Die Künstlerin Fröhlich hörte nicht mehr, was der Möbelhändler redete. Nach einer Weile ließ sie ihn stehen. Sie ging weiter in einer leichten Betäubung. Erst gegenüber dem Konditor Mumm fiel ihr auf, daß auch Unrat nichts mehr sagte. Sie fühlte etwas wie schlechtes Gewissen und fing harmlos zu sprechen an, im Drang, ihn nach dem, was sie soeben erblickt hatten, wieder zu versöhnen. Auch er war plötzlich von erregter Herzlichkeit und lud sie zum Konditor ein. Während er am Büffett bestellte, ging sie schon ins Nebenzimmer. Da ward an die Scheibe geklopft. Sie hütete sich, hinzusehn; sie wußte auch so, das waren wieder Ertzum und Lohmann.

Noch am Abend war Unrat nicht beruhigt. Er schlich hastend zwischen den Gästen umher, machte Bemerkungen von trockner und wilder Ironie, wiederholte: „ich bin ein rechter Unrat,“ und erklärte:

„Mir gehört hier — wahrlich doch — nichts weiter als ein Sofakissen und der Rahmen jenes Bildes dort.“

Als die Künstlerin Fröhlich einmal ins Schlafzimmer lief, folgte er ihr und verkündete:

„Der Schüler Breetpoot wird nun endlich in naher Zukunft das Ziel der Klasse erreicht haben.“ [ 264 ]


„Kaputt?“ fragte sie. „Is nich, Unratchen. Er is wieder ganz ausgestopft mit braunen Lappen.“

„Mag dem sein wie du sagst. Der eifrigsten Vertiefung wert ist indessen die Frage: woher kommen diese Lappen.“

„Na?“

Er kam näher, mit einem Lächeln, das geronnen und wie unter der Decke bebend aussah.

„Ich weiß es; ich habe seinen Kassierer bestochen. Es ist das von Ertzumsche Mündelgeld, welches der Vormund beraubt.“

Und da er die Künstlerin Fröhlich starr vor Staunen sah:

„Nicht wahr? Da lohnt sich’s zu leben? Das ist denn also der zweite der drei. Der Schüler Kieselack liegt zerschmettert am Erdboden. Der Schüler von Ertzum wird sogleich mit Rasseln zusammenbrechen. Da erübrigt denn nur noch der dritte.“

Sie ertrug seinen Blick nicht.

„Ja von wem redst du bloß?“ fragte sie wirr.

„Der dritte ist ein noch zu Fassender. Er soll und muß gefaßt werden.“

„Wieso,“ machte sie und blickte unsicher auf. Plötzlich, herausfordernd: „Ich denke, das is der, den du nich verknusen kannst, und ich soll ihn nich mal ansehn, wenn er die Straße lang kommt. Nich mal das kannst du verknusen.“

Er senkte den Kopf, atmete kämpfend.

„Zwar bin ich nicht gesonnen —“ sagte er dumpf. „Und doch muß — muß dieser Schüler gefaßt werden. Er ist ein zu Fassender.“ [ 265 ]


Sie hob die Schultern.

„Was machst du denn für Augen? Du hast ja überhaupt Fieber. Unratchen, ich sag’ dir was, geh’ zu Bett und schwitz es aus. Ich schick dir Kamillentee. So ’ne blödsinnige Aufregung als wie du im Leib hast, die legt sich auf’n Magen, un denn prost Mahlzeit … Hörst du mich? … Ich glaub wahrhaftig, es gibt noch ’n Unglück.“

Unrat hörte nicht. Er sagte:

„Aber nicht du — nicht du sollst ihn fassen!“

Er sagte es mit einer Art fürchterlichen Flehens, das sie noch nicht kannte, das sie grausig kitzelte, sie erwartungsvoll ängstete, wie ein wildes Klopfen, bei Nacht an ihrer Tür.