Page:Labi 2009.djvu/257

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aufgrund der steigenden Nachfrage rapide zu. Allerdings waren die örtlichen Fremdenverkehrsverbände eher zurückhaltend in der Bewerbung bäuerlicher Gästezimmer, da in landwirtschaftlichen Betrieben Geruchsbelästigungen von Düngerlagerstätten und «Lärmbelästigung» durch Kuhglockengebimmel befürchtet wurde. Ab dem Jahr 1970 listete die Landwirtschaftskammer in Tirol all jene landwirtschaftlichen Betriebe auf, welche «Fremdenzimmer» zur Verfügung stellten. Die Adressen dieser circa 1000 Betriebe wurden jährlich in einer Broschüre veröffentlicht.

In den 1970er-Jahren nahm der Anteil der Nebenerwerbslandwirte rapide zu.[4] Wurden 1970 noch 42,3 Prozent der Betriebe in Tirol im Vollerwerb geführt, so waren es 1980 nur mehr 34,4 Prozent. Besonders drastisch war in dieser Zeit der Wechsel von Zu- auf Nebenerwerb: 1970 wurden 12,1 Prozent der Betriebe im Zuerwerb und 39,8 Prozent im Nebenerwerb bewirtschaftet; 1980 war der Anteil der Zuerwerbsbetriebe auf 8,4 Prozent gesunken, der der Nebenerwerbsbetriebe auf 54,7 Prozent gestiegen. Dieser Strukturwandel führte zu einer enormen Mehrbelastung der Bäuerinnen. Im Gegensatz zum Zuerwerb ging beim Nebenerwerb der Bauer meist ganztägig einer Erwerbstätigkeit ausserhalb des Betriebes nach und damit ging die Last der Betriebsführung in vielen Fällen faktisch auf die Bäuerin über. Der Strukturwandel war ein gesamteuropäisches Phänomen, das sich im Schlagwort vom «Wachsen oder Weichen»[5] manifestierte. Da im Berggebiet aufgrund der Probleme, die Handarbeit zu mechanisieren, ein Flächenwachstum nicht möglich war, wichen die Bauern und Bäuerinnen auf den Nebenerwerb aus. Gleichzeitig wurden viele Betriebe vor allem im Generationswechsel aufgegeben, in Tirol sank die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe von 1960 bis 1990 um fast 6000 oder 22 Prozent. Im Berggebiet konnte die Bewirtschaftung der freiwerdenden Flächen häufig nicht von Nachbarn übernommen werden. Daher setzte in Österreich die Kritik an den diversen Modernisierungsbestrebungen auch früher ein, als dies in anderen europäischen Ländern der Fall war. Bereits in den 1980er-Jahren stellte der damalige Landwirtschaftsminister Dr. Josef Riegler das Konzept einer «Ökosozialen Agrarpolitik» als «Weg zurück aus der agrarpolitischen Sackgasse» vor.[6] Den sozialen Aspekt bezog Riegler vor allem auf die Erhaltung der in Österreich vorherrschenden kleinstrukturierten Familienbetriebe. Die «Ökosoziale Agrarpolitik» förderte Innovationen im Bereich des biologischen Landbaus, den Ausbau von Nebenerwerbsmöglichkeiten am Betrieb wie «Urlaub auf dem Bauernhof» und Direktvermarktung

wie auch den Ausbau der Direktzahlungen.

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Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen 2009/14