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sich demnach um Tessiner oder Bündner. Ich verwende daher im Folgenden den Begriff italienischsprachige MigrantInnen als korrekte Bezeichnung für die Zuwanderer aus den Schweizer Alpentälern.

Die spazzacamini lassen sich im Gebiet des Langensees (Lago Maggiore) seit der Mitte des 16. Jahrhunderts nachweisen.[30] Auf ihre Herkunft aus den italienischsprachigen Alpentälern verweist später auch ein Passus aus der 1673 bestätigten Ordnung: «So einer aus denen Meistern mit Tod abginge und die Wittib oder Kinder hier oder in Wällischland [im Deutschen früher übliche Bezeichnung für von romanischen Sprachgruppen bewohnte Regionen][31] hinterliesse.»[32] Dies deutet darauf hin, dass noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Wien tätige Rauchfangkehrer regelmässig in ihre Herkunftsdörfer zurückkehrten, da sich ihre Familien weiterhin dort aufhielten.

Diese Wanderungen aus Schweizer Alpentälern waren keine einmaligen Bewe gungen in eine Richtung, von der Peripherie ins Zentrum,[33] sondern es entwickelte sich vielmehr eine rege Kommunikation zwischen den Herkunftsregionen und Wien. Die MigrantInnen verliessen die überwiegend landwirtschaftlich geprägten Täler Graubündens und des Tessins, um für eine oder mehrere Generationen in der Residenzstadt Wien ihr Gewerbe auszuüben. Dabei war die spätere Rückkehr in ihre Herkunftsdörfer oder auch in die ihrer Eltern oder Grosseltern, wo sie vielfach noch Grund und Boden besassen, durchaus eine Option.[34]

In einer eher populärwissenschaftlichen Schrift zur Geschichte der Kaminfeger aus den italienischsprachigen Alpentälern schildert Benito Mazzi das Gewerbe im 19. Jahrhundert als eine wirtschaftlich armselige Tätigkeit, die vor allem von saisonal wandernden, vor Hunger bettelnden Kindern ausgeübt wurde.[35] An einem anderen Ort und zu einem anderen Zeitraum beschreibt Helmut Bräuer die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten von Chemnitzer Schornsteinfegern im frühen 18. Jahrhundert, basierend auf Selbstzeugnissen (Briefe), als ökonomisch dürftig.[36] Im Gegensatz dazu kann die Geschichte der Wiener Rauchfangkehrer als eine soziale und wirtschaftliche Erfolgsgeschichte erzählt werden. Während es sich beim Grossteil der Wandernden aus den italienischsprachigen Alpentälern um saisonal umherziehende Hutverkäufer, Lastträger, Maurer oder Stukkateure handelte, die eher den sozialen Unterschichten zuzurechnen sind, haben viele der nach Wien gezogenen Rauchfangkehrer einiges an Reichtum und sozialem Ansehen erworben.[37]

Das Gewerbe entwickelte sich in Wien bald zu einer wirtschaftlich viel verspre chenden Branche. Zwar bezahlte in den Anfängen der Zunft (1660-1700) keiner der in der Stadt bereits ansässigen und steuerpflichtigen Meister mehr als zwei

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Histoire des Alpes - Storia delle Alpi - Geschichte der Alpen 2009/14