Page:H.M. Zwischen den Rassen.djvu/434

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gleiten und hing, die Lider geschlossen, am Hals des Greifen, der das Tor hütete. „Also hier. Hier sterben. Warum nicht? Wohin hätte dies noch führen sollen. Nur steinerne Geschöpfe umher, und ein Himmel, der von mir nichts weiß. Genug.“

Und als sie sich ergeben hatte, kehrte ihr Kraft zurück. Sie konnte aufstehen und den Torflügel fortschieben. Ungesehen kam sie in ihr Zimmer. Lange Tage ging sie nicht aus, vermied den Anblick der Hausgenossen, sann im Halbdunkel, matt und verstrickt, den Wegen nach, die hierhergeführt hatten und den Schicksalen, die irgend einmal an ihres gerührt hatten. Mai war nun drüben, hatte Europa, die „Fremden“ und auch Lola gewiß vergessen und schrieb niemals. Für Mai gab es nur körperliche Beziehungen; der Geist war nie, wo nicht auch der Körper weilte. Mai lebte im Stoff und im Augenblick; ihre Persönlichkeit zerflatterte mit den Dingen; sie war glücklich. In Lolas Leben hatte sie, nach der zweiten Trennung, gar keine Lücke gelassen; Lola dachte, da sie sich Mais erinnerte, nacheinander an ein Reiseabenteuer, an die Miene eines Mannes, an ein Kleid. Eine Masse Auftritte kehrten ihr wieder, hastige Vergnügungen, Müdigkeiten, Drang der Sinne, Zuflucht zum Gesang, das Gesicht der Branzilla, gelb und irr, mit den schwarzen Augenhöhlen des steinernen Vogels draußen überm Tor … Lola strich die Vision von den Lidern Sie sann beschwerlich weiter. Da war Paolo, ihr Bruder: ein Name nur, kein Gesicht, nichts, was sich vor die Seele hinstellte und befreundet lächelte. Sie

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