Page:H.M. Zwischen den Rassen.djvu/133

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Denn das arme, täglich verwirrtere Gehirn der Branzilla schien wunderbar genesen, wenn sie den Stoff unter den Händen hatte, aus dem sie schuf. Der Stoff war die Stimme der Schülerin. Lola war sich bewußt, sie selbst sei nichts, sei nicht mehr als ein dumpfes Werkzeug, und was aus ihr werden solle, sei im Geist der Lehrerin schon aufgebaut, wie ein Tempel aus Luft, unfaßbar für jeden, vertraut nur ihr, die ihn durch eine Gebärde, ein Wort, durch einen der kindlich mystischen Ausdrücke, die die Seher finden, für eine Sekunde vor die Schülerin hinzaubern konnte, so daß Lola sah: dort hinan! Wer vermochte das noch: durch ein Wort, ein eigenes, dem nichts Wirkliches entsprach, das richtige Spiel eines Kehlkopfes bewirken! Niemand wußte mehr von dieser Kunst. Bei den Heutigen waren Lehrerinnen unbeliebt, die zwei Jahre brauchten; und die Ausbildung währte ehemals acht. Lola hätte es, einmal in der Schule der Branzilla, nicht mehr ausgehalten, sich mit einem Ungefähr zu begnügen. Sie war fremd überall, und nur mit einer alten halb Irren hielt sie Gemeinschaft; — aber eines Tages wollte sie im Besitz einer unerhörten Kunst vor die Welt hintreten!

Und in jedes Gasthaus brachte sie eine eigene Luft mit, machte jedes flüchtige Quartier heimisch, in das sie ihre Gesänge, die seit Jahren geübten, schickte. Aus der Unordnung der hastig umhergeworfenen Gegenstände, der zerstreuten Stunden, der regellosen Vergnügungen und der zufälligen Menschen rettete sie sich in den Winkel, wo das Klavier stand, wie auf ihr

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