Page:H.M. Venus.djvu/278

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VI

 

Sie kehrte um. Asthmatische Anfälle zwangen sie mehrmals, die Fahrt zu unterbrechen. Ein Schmerz in der Herzgrube kam und ging. Auf jedem der Gasthofbetten befahl sie sich: „Nicht hier sterben! Ich bin nicht fertig.“

Die Qualen im Kopf begannen wieder einmal. Immer brachten sie Aufruhr mit für ihren ganzen Körper; er drängte und tobte dann nach den Armen des Mannes. Aber jetzt dachte sie an keinen. Ihr Blut that nur einen Schrei: „Das Kind!“ Ein einziger Gedanke in ihr empörte sich gegen das Ende. Nur eine Sehnsucht warf die Arme heraus aus dem Schatten, der über sie hinwuchs: „Ein Kind!“ Die Nacht würde weniger schwarz sein. Die Welt würde hinter ihr nicht untergehn, sie würde weiter blauen und singen. In Basel änderte sie plötzlich ihre Richtung und fuhr nach Paris.

Der Doktor Barbaffon empfing sie in seinem Häuschen in Asnieres. Er war von der Praxis zurückgezogen; bei der Meldung der Vesucherin hatte er eine Regung von Ungeduld zu überwinden. Rechtzeitig erinnerte er sich, daß diese Fremde in der glänzenden Zeit seiner Kraft mit andern ganz großen Damen seine Hand gespürt hatte, seine kurze, zarte Hand, die aus Klientinnen Geliebte machte. Hatte sie sich nicht Mutterfreuden eingebildet, denen es fchlechterdings an jeder Voraussetzung fehlte? Wie der alte Herzog, dieser Cyniker, gegrinst hatte!

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