Page:H.M. Venus.djvu/227

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den Armen ihrer Erinnerungen! Sie ist auf einmal ganz voll von den Malen alter Liebkosungen und den Verheerungen verjährter Küsse. Ich erkenne sie nicht mehr … Yolla!“

Er schluchzte auf. Die Vorstellung all ihrer vergangenen Lüste peitschte seine Sinne; sie trat plötzlich vor ihn hin, in der Pracht ihres Lächelns. Er griff nach ihr, er sank in die Knie. Mit einem rauhen Aufschrei sprang er bei Seite: er war über einen ihrer Liebhaber gefallen, der sich mit ihr in die Farren wälzte. Nino flüchtete; aber sie waren ihm schon voraus, sie lagen am Wege, große, gewölbte Körper, die seine Geliebte genossen, an ihrer Brust weinten oder auf ihrem Munde jubelten. Und er sah sie, seine Geliebte, alle Zärtlichkeiten ihres Leibes austeilen: die seltensten, die geheimsten, an die er nur mit stolzen Schauern gedacht hatte, — sie lagen überall am Wege!

„Ich hasse dich! Ich hasse dich!“ rief er ihr zu. Dann fiel es ihm ein, daß auch Rustschuk von der Vorstellung der Herzogin von Assy und ihrer zahllosen Liebhaber gequält ward bis zum Ersticken, — und den Rücken gebeugt unter so viel Schmach, stolperte Nino, blind, den Berg hinan, fiel aufs Gesicht, raffte sich auf, wankte weiter, auf den Lippen einen Gefchmack von Thränen und von Blut.

Oben, angesichts der Stadt, legte er den Kopf, zwischen den Händen, gegen einen Baum und fragte ihn:

„Ist das denn möglich?“

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