Page:H.M. Professor Unrat.djvu/64

From Wikisource
Jump to navigation Jump to search
This page has been proofread.

zusammen mit der stumpfen Antwort, die sein Nachbar ihm erteilt hatte. Es bildete sich in ihm Unmut: das Gefühl, verschlagen zu sein in eine Welt, die die Verneinung seiner selbst war, und ein Abscheu, der aus seinem Innersten kam, vor Menschen, die nichts Gedrucktes vor die Augen nahmen, die in einem Konzert saßen und nicht das Programm gelesen hatten! Es nagte an ihm, daß hier mehrere hundert Personen beisammen sein konnten, die nicht „aufmerkten“, nicht „klar dachten“, sich vielmehr berauschten und ohne Scham noch Furcht sich den müßigsten „Nebendingen“ hingaben. Er tat einen heftigen Zug aus seinem Glase. „Wenn die wüßten, wer ich bin,“ dachte er darauf, indeß sein Selbstgefühl sich des Widerhaarigen entkleidete, milde und wohlig ward und ein wenig verschwommen — angeblasen von warmen menschlichen Ausdünstungen, dieser Dampfheizung mit Blut. Die Welt zog sich in dichteren Qualm zurück, voll ungewisserer Geberden … Er fuhr sich über die Stirn; es schien ihm, die Frauensperson dort oben habe schon mehrmals gesungen, sie sei „klain uhnd uhnschuhldiesch“; nun war sie auch damit fertig, und der Saal klatschte, brüllte, jauchzte und trampelte. Unrat schlug plötzlich mehrmals die Hände zusammen, dicht unter seinen Augen, die es mit Staunen ansahen. Es befiel ihn eine große, unbedachte, nur schwer zu bändigende Lust, seine beiden Füße gleichzeitig gegen den Boden zu stoßen. Er war stark genug, es nicht zu tun. Aber die Versuchung erzürnte ihn auch nicht. Er lächelte heiter versonnen vor sich hin und stellte fest,

56