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Ein Einwand gegen die Relativtheorie der Elektrodynamik und seine Beseitigung

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Ein Einwand gegen die Relativtheorie der Elektrodynamik und seine Beseitigung (1907)
by Arnold Sommerfeld
76425Ein Einwand gegen die Relativtheorie der Elektrodynamik und seine Beseitigung1907Arnold Sommerfeld

In der von Einstein auf dem Relativitätsprinzip aufgebauten Elektrodynamik ist Überlichtgeschwindigkeit unter allen Umständen unmöglich, sowohl als Konvektionsgeschwindigkeit einer Ladung, wie auch als Fortpflanzungsgeschwindigkeit einer elektrodynamischen Störung.[1] Gegen die letztere Folgerung scheinen die Verhältnisse in anomal dispergierenden Medien zu sprechen, wie W. Wien gesprächsweise betonte. Hier haben wir für gewisse Wellenlängen jedenfalls Phasengeschwindigkeiten > c. Wir wollen — unter Vermeidung des Wortes Gruppengeschwindigkeit, das sich nicht ohne weiteres auf individuell bekannte, sondern vielmehr auf statistisch gegebene, natürliche Vorgänge bezieht, und im Anschluß an die Einsteinsche Terminologie — von Signalgeschwindigkeit sprechen und darunter diejenige Geschwindigkeit verstehen, mit der ein plötzlich einsetzendes Signal, d. h. eine Folge von elektrodynamischen Schwingungen bestimmter Wellenlänge, von einem Beobachter im Innern des dispergierenden Mediums wahrgenommen wird. Es wäre nach Einstein ein Widerspruch gegen die Relativtheorie, wenn diese Signalgeschwindigkeit unter irgendwelchen Umständen > c sein könnte. Es zeigt sich nun, daß sie genau gleich c ist, wenn wir den Beobachter mit einem idealen, d. h. unendlich empfindlichen Detektor ausgerüstet denken, gleichviel ob das Medium normal oder anomal dispergiert, ob es isotrop oder anisotrop ist, ob es Leitungselektronen enthält oder nicht. Die Signalgeschwindigkeit und der Vorgang der Fortpflanzung überhaupt hat nichts mit der Phasengeschwindigkeit zu tun. Der Relativtheorie steht also von dieser Seite nichts im Wege.

Der Beweis läßt sich folgendermaßen führen: man stelle das auf das Medium senkrecht auffallende Signal als Funktion von t(f(t)=0 für t<-T und für t>+T, f(t) = sin 2π/τ, für -T<t<+T) durch ein Fouriersches Integral dar; dann kennt man auch seine Ausbreitung in dem dispergierenden Medium nach dessen Normale x als Funktion f(t,x) von t und x. Behandelt man das so entstehende Integral nach den Cauchyschen Methoden der komplexen Ebene, so zeigt sich, 1. daß f(t, x)=0, wenn t-x/c<-T ist,[2] 2. daß in dem Intervalle -T<t-x/c<+T die Störung aus zwei Teilen besteht, einer erzwungenen, zeitlich ungedämpften Schwingung, entsprechend dem in der Phase verschobenen Signal, und einer gedämpften freien Schwingung der Elektronen, welche durch die Ankunft des Signals angeregt wurde, 3. daß für die Folgezeit +T<t-x/c ein Rückstand von freier Elektronenschwingung verbleibt, bestehend ebenfalls aus zwei Teilen, der eine angeregt durch die Ankunft, der andere durch den Schluß des Signals.

Diskussion.

[edit]

Wien (Würzburg): Ich danke Herrn Sommerfeld für die Bereitwilligkeit, mit der er sich dieser Berechnung unterzogen hat, und ich muß mich der Macht seiner mathematischen Analyse beugen, aber daß mir die Sache physikalisch klar geworden ist, kann ich doch nicht sagen. Denke ich mir die Anzahl der Wellenberge hier mehr und mehr vergrößert, so komme ich zu einem endlichen Wellenzug, den ich als Signal betrachten kann. Ein wirklich unendlicher Wellenzug geht mit Überlichtgeschwindigkeit (Sommerfeld: Nur die Phase, nicht die Energie). Wenn ich einen sehr langen Wellenzug habe, der Enden hat, so soll dieser nur mit Lichtgeschwindigkeit fortgehen und das ist mir nicht klar. Ich will nach der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Welle fragen, die hier in der Mitte liegt. Ist der Zug wirklich unendlich lang, geht sie mit Überlichtgeschwindigkeit; ist er nur sehr lang und hat Enden, so soll er mit Lichtgeschwindigkeit gehen oder mit Unterlichtgeschwindigkeit. Wenn die mathematische Analyse das gibt, so kann ich nichts dagegen sagen, aber klar ist es mir nicht. Es muß eben eine Wirkung der Wellenfront auf allen folgenden noch so entfernten Wellen stattfinden.

Braun (Straßburg): Wenn die Sache mathematisch durchgeführt ist, sollte doch auch ohne Mathematik ausgedrückt werden können, wo der springende Punkt ist.

Voigt (Göttingen): Ich glaube, daß man im Lichte der Elektronentheorie sich eine Vorstellung über die von Herrn Sommerfeld erhaltenen Resultate, wie es Herr Braun wünscht, wenigstens bis zu einem gewissen Grade bilden kann.

Die moderne Theorie der Dispersion und Absorption operiert mit der Annahme ausdehnungsloser, aber träger Massen der Elektronen, die in dem Äther eingelagert sind (oder auch ausgedehnter, durch die der Äther mit ungeänderten Eigenschaften sich hindurch erstreckt). Aus der Annahme der Trägheit folgt aber unmittelbar, daß diese Massen auf den Beginn einer Welle im Äther nicht einwirken können. Erst im Verlaufe derselben setzen sie sich in Bewegung und wirken nun rückwärts auf die Welle ein. Demgemäß ist mir [842] das Sommerfeldsche Resultat, daß die Front einer Welle sich unter allen Umständen mit der Lichtgeschwindigkeit des leeren Raumes fortpflanzt, auch keineswegs überraschend. Diese Fortpflanzung geschieht eben ganz wie im leeren Raum.

Wenn dann im weiteren Verlauf der Schwingungen die Formeln die der Substanz und Farbe individuellen Fortpflanzungsgeschwindigkeiten signalisieren, so heißt das doch nur: die Bewegung während der Entwickelung der Welle weicht so von der genau periodischen ab, daß sich schließlich die Phase einstellt, die jener Geschwindigkeit entspricht. Nun dürfte eine genaue Prüfung zeigen, daß unsere Methoden, Lichtgeschwindigkeiten zu bestimmen, durchaus an die Phase anknüpfen, auch die Ablenkungsbeobachtungen, denn die Wellenebene ist ja die Ebene konstanter Phase. So gelangen wir zu Messungen von Lichtgeschwindigkeiten, die mit der Substanz und mit der Farbe des Lichtes variieren. Die Fortpflanzung eines einzelnen Wellenberges nehmen wir niemals wahr. Wir haben sogar kaum ein Mittel, einen solchen zu bezeichnen und im Verlaufe der Fortpflanzung wieder zu erkennen.

Wien: Ich möchte die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Mitte wissen.

Des Coudres: Das mathematische Bild eines Signals kann nie eine Sinusreihe, sondern immer nur ein bestimmtes Integral mit unendlichen Grenzen sein. Auch bei einem (in bestimmtem Zeitmoment beginnenden) unendlich lange dauernden Signal bleibt die Unsymmetrie in den Formeln gegenüber den beiderseits zeitlich ins Unendliche erstreckten Störungen bestehen. Nur für letztere haben Phase, Brechungsexponent und Fortpflanzungsgeschwindigkeit einen Sinn. Der bei der Diskussion als Schwanz bezeichnete Teil der Störung beginnt laut den Integralformeln schon mit Einsetzen des Kopfes physikalisch in Erscheinung zu treten.

(Eingegangen 30. Oktober 1907.)


  1. Ann. d. Phys. 23, 381, 1907.
  2. In Übereinstimmung mit Überlegungen von M. Laue, Ann. d. Phys. 18, 550, 1905.
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