Zu einer silbernen Hochzeit

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Zu einer silbernen Hochzeit.
Author: Fritz Reuter
Text type: Gedicht
Comment:

from: Polterabend-Gedichte

1855

:

(Eine Wirtschafterin und ein Dienstmädchen. Die Wirtschafterin wird von einer Tochter des Jubelpaares dargestellt, bei dem Dienstmädchen ist es grade nicht nötig.)

Dienstmädchen (tritt auf mit einem Korbe voll
silberner Löffel, die sie geputzt hat, und singt halblaut,
aber doch so, daß die Worte gut zu verstehen sind):
Ich hab' einen Schatz über Berg und Tal,
Da singt der schöne Nachtigall.
(Sie besieht die Löffel, guckt erst inwendig hinein,
dann spiegelt sie sich auf der Außenseite.)
Nu sünd sei gaut, nu sünd sei blank;
Schier speigeln kann man sich doain.
Herr Je! Wat's mien Gesicht doch lang!
Ob ick denn woll so mage bün?
Un nu hew'ck werre so'n breir Gesicht;
Dat fünn doch süs mien Jochen nich.

Ach Jöching! Jöching, wo büst du nu?
Blifst du mi gaut, blifst du mi tru?
Du büst nu werre bi dei Soldaten.
Oh, dei verfluchten Russen!
Du möst nu werre Schildwacht stahn
Un gegen dat Takel von Russen gahn;
Künn'n sei di denn tau Hus nich laaten?
Oh, dei verfluchten Russen!
Up'n Harst, denn hahren wi uns kregen;
'ne Kauh hahr uns mien Vahre geben,
Dei Herr uns Hüsung in den Katen.
Oh, dei verfluchten Russen!
Nu is't tau En'n; ut is dei Frie!
Mien Jochen steiht dei Türken bi,
Hei will för ehr sien Leben laaten!
Oh, dei verfluchten Russen!

Wirtschafterin (hinter der Szene):
Korlin! Korlin! Wo büst du denn?
(Tritt auf.)
Ick schrie, ick raup, ick loop un rönn,
Trepp up, Trepp af, dat ick ganz lahm.
Der Deuwel hahl den ganzen Kram!
In'n Huus', doa rögt sich jeremann,
Du spaurst di äwe nich 'ne Spua
Un kickst hier dei vier Wän'n an
As jenne Kauh dat niege Dua.

Dienstmädchen:
Ja, ja, Mamselling! Ick bün p'rat.
Ick müßt mi eben man so bedreuben,
Dat nu mien Jochen is Soldat
Un ick möt mit dei Hochtied teuben.

Wirtschafterin:
Dat laat man sin, gif di taufrehren,
Wi hebb'n 'ne sülwern Hochtied hüt.
Wer weit, wat eins mit di geschüht!
Doa helpt kein Singen un kein Behren;
Wer allwiel is so in dei Johren,
Dei möt ok mit. Doa helpt kein Roahren.
Uns' Herr sähr nielich tau dei Fru,
As hei dei Zeitung lesen dehr:
»Wenn ich noch 'n bitschen jünger wär,
Denn güng ich mit.« »Du?« sähr sei, »du?«
»Ja«, sähr'e, »nu tue ich Kurasche spüren,
Denn nu geht das an's Rüterieren;
Die Russen seind über den Pruth gezogen.«

Dienstmädchen:
Ach Gott, mien Jochen! –
Dat is nu all dat tweitemal,
Dat uns're Herren Hochtied hollen,
Un wenn uns' Herrgott Segen gift,
Denn fiern sei ok noch dei gollen.
Dat wieren drei, dei sei hebben dehren.
Ach, Gott! Ick wier mit ein taufrehren.

Wirtschafterin:
Du büst nich dumm; dat glöw ick sacht!
Doch hüt schlah di dat ut den Sinn
Un gif mi up wat anners acht.
Meinst du, dat ick taufrehren bün?
Ick bün woll ölle noch as du
Un sett doch mien Gemäuth in Ruh.
Hüt is kein Tied tau so'ne Geschichten,
Hüt säll'n wi 'ne sülwerne Hochtied utrichten.
Hüt kamen veele Herrn un Damen
Von alle En'n der Welt tausamen,
Sei scharmutzieren un sei scharmieren.
Sei schwadronieren un gratulieren.
Un ick möt noch dei Klümp anrühren!
Ick mügt so giern en bäten rauhn;
Doch ach! Wat hew ick noch tau dauhn!
Ick mügt hüt Abend so giern wat hüren
Un möt dei ollen Klümp anrühren!
Hüt Abend maaken s' Pulterie,
Doa wier ick goa tau giern doabi;
Ick mügt giern seihn, wat sei upführen,
Un möt dei ollen Klümp anrühren!

Dienstmädchen:
Wat mag denn allens behren sin?
Wat kümmt denn all hüt hier tausamen?

Wirtschafterin:
Je, ick weit veel! Doaräwe bün
Ick sülwst nich recht in't Rein, wer hüt deiht kamen.

Dienstmädchen:
Doch woll man bloß dei neegsten Frün'n?

Wirtschafterin:
Ih, denk' nich d'ran! Dei ganze Gegend!
Dat is, as wenn s' mi keinen Sünndag günn'n.
Na, soveel segg ick: Mienentwegent
Mücht' all dei Kram taum Kuckuck gahn,
Denn bruukt ick hüt nich in dei Kök tau stahn
Un doa dei ollen Klümp anrühren!

Dienstmädchen:
Mamselling, willn Sei mal wat hüren?

Wirtschafterin:
Wat denn? Wat wist du? Sprek!

Dienstmädchen:
Dat schimpt mi so, hür'n dat ok weck?

Wirtschafterin:
Hier hürt di keine, kannst frie rehren.

Dienstmädchen:
Ick will hüt abend ok wat beeren.
Driest 'naug bün ick – dat hahl dei Deusert!
Ick hew mi sülwst wat utkalmäusert,
Un liehrt hew ick't en Vierteljoah,
Nu kann ick't äwerst bet up't Hoah.

Wirtschafterin:
Na, dat's wahrhaftig doch kurjos!
Dat sülwstig hew ick ok in'n Sinn.
Wenn dei Spektakel geiht hüt los,
Denn gah ick patzig mit herin.
Na, büst du denn dien Saak ok ganz gewiß?
Beer' her dien Lex, ob dat ok paßlich is.

Dienstmädchen:
Ach, leiwer Gott! Mien is man schlicht,
Is man so'n Riemels un kein Gedicht
Un geiht nah dei olle Melodei
»Und 'n Fiedelbogen und 'n Baßgei,
Und 'n Baßgei und 'n Fiedelbogen.«
(Fängt unwillkürlich nach der Melodie
zu tanzen an.)
Und 'n Fiedelbogen und 'n Baßgei,
Und 'n Baßgei und 'n Fiedelbogen –
Un kümmt tauletzt up mienen Jochen.
(Wendet sich gegen den silbernen Bräutigam,
ohne ihm gerade nahe zu treten.)

As vör Johren, as vör Johren,
Sei dei ierste Hochtied höllen,
Was geboren, was geboren
Ick noch nich up allen Fällen.

Doataumalen, doataumalen
Künn ick Sei nich gratulieren,
Doch nahhalen, doch nahhalen
Will ick't, will dat hüt probieren.

Glück un Segen, Glück un Segen
Gold'ne Hochtied, schönes Ölle!
Sünn un Regen, Sünn un Regen
För dei ... Felle.

Doch Erbarmen, doch Erbarmen!
Gaure, schöne, beste Herrn,
Ach, mi Armen, ach, mi Armen
Schaffen S' mienen Jochen werre!

Rechten, Linken, Rechten, Linken!
Möt hei nu herümmarschieren,
Speck un Schinken, Speck un Schinken
Wull'n wie giern em hen spedieren.

Wat helpt Speck, un wat helpt Schinken,
Wenn hei möt sien Leben laaten?
Wat helpt Eten, wat helpt Drinken,
Wenn mien Jochen dod wad schaaten?

Dod wad schaaten, dod wad schlagen,
Wenn hei möt sien Leben laaten,
Dorig dod in jungen Dagen,
Starben möt bi dei Soldaten,
Hochtied, Hüsung, allens laaten,
Wenn mien Jochen dod wad schaaten
In den'n Krieg un den'n Spektakel!
Dat verfluchte Russentakel!

(Zu der Wirtschafterin.)
Na, segg'n Sei mal: gefällt Sei dat?
Mi dücht, dat dat gefallen wad.

Wirtschafterin:
Ih, ja! Dat mag jo woll passieren,
Du möst man mihr mit dei Arm handtieren.
Dat is en Ding – nu ja, dat geiht
För den'n, dei't bete nich versteiht. –
Was ich mich aber ausspintisiert,
Das klingt ganz anners, klingt geliehrt.
Un mein's is hochteutsch, mußt du weißen,
Un ornlich Versmaaß, as sie's heißen;
Drüm geht's auch nach gar keiner Melodich;
'ne höllsche Arbeit, dat glaub du mich.
Hür bloß mal tau:
(Sie wendet sich an die silberne Braut.)
Geehrteste Frau N. N.,
Ich Dero dienstbare Dienerin,
Ich bün in die Verlegenheit gekommen
Un hab' mich einer schweren Sach' unternommen.
Es ist nämlich eine Gratulatschon
Von wegen der fünfundzwanzigjähr'gen Freieratschon.
Sie hätten den Stand der Ehe vollführt
Und d'rin viel Freuden und Leiden verspürt,
Wie das so ist bei allen Menschenkindern,
Bei den Gerechten, wie bei den Sündern;
Sie hätten eine ruhige Zeit verlebt
Un hätten in Frieden dahingeschwebt.
Nu sind andere Zeiten gekommen,
Un Krieg is an das Land geschwommen.
Doch behalten Sie man immer frische Kras',
Der Krieg wird abzieh'n mit langer Nas',
Der Türk und die Pest und die Hungersnot,
Die schlagen die edelen Russen tot.
Der Kusak mit die Pik', der Beschkir' mit den Bogen,
Die kämen als Vettern zu uns gezogen
Und singen, geschmückt mit die grünen Reiser:
Gott segne die Knute und Niklas, den Kaiser.
Un allens wird sich in Freuden verkehren
Un nichts als Segen erblühen auf Erden!
Und eine Bitte hab' ick noch dabei:
Machen Sie mich von das Kalberbörnen frei.
Ich tue von 's Morn's bis 's Abens nich rasten,
Doch dieses Geschäfte, das kann ich nicht lasten,
Auch ist es ganz gegen meine Konstitutschon
Un gegen meine innerste Inklinatschon.
Ich stehe der Milch und der Butter vor
Un bring' Sie meine höchlichste Achtung dor,
Doch aber von wegen dat Kalberbörnen,
Da möcht' ich mir lieber gänzlich entfernen;
Ich mache mir immer die Kleider voll,
Denn die verdammten Dinger, die sawweln zu doll.
Dann wollt' ich noch gütigst 'ne Bitte vortragen
Un bitte sie mich nich abzuschlagen.
Ich bitte als Zulag' um ein Laken Linn'n:
Man kann doch nich wissen – es kann sich doch fin'n,
Daß es möglicher Weise einst möglich möcht' sein,
Daß die Möglichkeit möglich würd', sich zu verfrei'n;
Un denn is es doch eine herrliche Tat,
Wenn man eine leinene Aussteuer hat.

Dienstmädchen (tritt weiter vor; zur Gesellschaft):
Nicht für ungut, meine Damen,
Nicht für ungut, meine Herrn,
Daß wir uns die Freiheit nahmen,
Hier zu scherzen. Taten's gern!

Nicht für ungut, daß in Zeiten,
Wie sie beut dies herbe Jahr,
Wir uns in die Freude kleiden;
D'ran is schuld dies teure Paar.

(Zu dem Paare gewendet.)
Seines Lebens schöne Lose,
Seines Lebens hohes Glück –
D'ran ist schuld die Zeit der Rose,
D'ran ist schuld der Augenblick.

Dieser Zaub'rer, der gewaltig
Herrschet über Menschenherz,
Wie ein Proteus, vielgestaltig,
Ruft die Freude, weckt den Schmerz.

Kampf tobt draußen an der Pforte,
Eisern würfelt das Geschick,
Doch an diesem frohen Orte
Herrscht ein güt'ger Augenblick.

In dem köstlichen Gewande
Jener fernen, schönen Zeit,
Als ihr schlangt die festen Bande
Für des Lebens Freud' und Leid,

In den glüh'nden Farbentönen,
Unter süßen Melodei'n
Tritt er an der Hand des Schönen
Neuverjüngt in diese Reih'n.

Hoffnung wirft er rings und Blüten,
Ein Verschwender, um sich her,
Jede Gabe will er bieten,
Und sein Füllhorn wird nicht leer.

Und ihr alle, nutzt die Gabe,
Nutzt des Herzens Stimmung heut,
Die euch beut der Götterknabe,
Und versöhnt euch mit der Zeit.

Mögt ihr rechten, Mögt ihr richten,
Was geschehen soll, geschieht;
Euer Denken, euer Dichten
Ist ein Hauch wie dieses Lied.

Wirtschafterin (zu den Eltern):
Und wenn auch fern von uns die ernste Stunde
Auf manchen Schmerz und Tod herniederblickt,
Wenn mancher auch aus stummem, bleichem Munde
Zum Himmel auf den letzten Seufzer schickt,

Wenn Kampf und Streit um Deutschlands Pforten toben,
Wir trauern still, doch uns berührt es nicht;
Um uns hat Elternlieb' ein Band gewoben
Der Freud' und Eintracht und der süßen Pflicht.

Seht! Diese Räume schließen heil'gen Frieden
Und treue Lieb' in seinen Mauern ein;
Dies ist der Ort, hier ward es uns beschieden,
Geschirmt durch euch und hochbeglückt zu sein.

Die stumme Kindheit ward hier sanft getragen
An Mutterbrust. Des Vaters fester Sinn
Hat hier mit Ernst in frohen Jugendtagen
Gewiesen auf die spätern Pflichten hin.

Ihr habt die Saat gesä't in unsre Herzen;
Wir flehen euch: oh, pflegt sie weiter fort!
Wir fühlen's wohl: mit Spielen nicht und Scherzen
Errang man je des Lebens ernsten Hort.

Nehmt diese Kränze, frisch von uns gewunden;
Eu'r Alter mög' wie sie so grünend sein!
Und zur Erinn'rung dieser heiligen Stunden
Weih't uns aufs neue zu dem Leben ein.