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ter anderem Arbeit in der Vorarlberger Textilindustrie und beim Bahnbau, etwa Anfang der 1880er Jahre bei der Errichtung der Arlbergbahn. Zwischen 1880 und 1900 war der italienische Anteil an der Vorarlberger Bevölkerung laut offizieller Statistik von 1,8% auf 6,2% gestiegen (siehe Tab. 1).

1872 wurden auf der Südbahn angeblich über 70’000 Saisonarbeiter aus der Lombardei und aus Venetien zu Eisenbahn- und Stadterweiterungs- arbeiten in Provinzen der Habsburgermonarchie und nach Deutschland transportiert.[9]

Bei der alpenländischen Bevölkerung trat Desorientierung ein. Das «Fremde» drang in die dörfliche Begrenztheit, in Form von ökonomischen Veränderungen, von Arbeitsmigranten, Heimkehrern, Durchreisenden oder auch über Zeitungen.[10] Moral und Sittlichkeit schienen bedroht, etwa wenn Anfang der 1870er Jahre im salzburgischen St. Johann italienische Eisenbahnarbeiter, bewaffnet mit Messern und Eisenstangen, die Auszahlung ihres Lohnes forderten. Der nicht enden wollende Tumult liess schliesslich sogar das «Bürger-Schützencorps» ausrücken.[11] Es kam zur sozialen Ausgrenzung, zur Ghettoisierung dieser Gastarbeiter. Vorurteile waren schnell gefällt. Der aus Vorarlberg stammende konservative Lehrer und Schriftsteller Josef Wichner hat uns in seiner Autobiographie einige Stereotypen überliefert, die bis heute geläufig sind: «Damals», schreibt er, «kamen eben die ersten fremden Familien ins Land, Söhne und Töchter eines südlicheren Himmels, braunhäutige, schwarzhaarige und schwarzäugige Menschen. Sie brachten welsche Sprache und welsche Sitte, welsche Unreinlichkeit und welsches Leben. Sie klapperten auf ihren Holzsandalen durch die Gassen der Fabriksorte und in die schönen Kirchen der Gemeinden. Sie sangen bis tief in die Nacht hinein ihre volltönenden, langgedehnten Weisen. Sie schrien in den Wirtshäusern bei ihren Nationalspielen wie besessen, schlugen auf die Tische, dass die Gläser tanzten, und griffen wohl auch nach heimischer Gewohnheit hie und da ein wenig zum Messer.»[12] Nicht zuletzt durch die konservative Propaganda wurde in Vorarlberg ein Landesbewusstsein heraufbeschworen, ein «Alemannischer Mythos», mit dem alle Fremden - Arbeitszuwanderer. Andersgläubige und Andersdenkende - schlichtweg abgelehnt werden konnten.[13] Auch in anderen Regionen findet sich eine ähnliche, wenn auch vielleicht nicht ganz so ausgeprägte Entwicklung der Fremdenfeindlichkeit. 1869 war etwa in Hallein eine staatliche Tabakfabrik errichtet worden, die zahlreiche auswärtige, vor allem böhmische Arbeiterinnen beschäftigte. Sofort plädierte die katholische Zeitung «Salzburger Chronik» für eine

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HISTOIRE DES ALPES - STORIA DELLE ALPI - GESCHICHTE DER ALPEN 1998/3