Page:H.M. Zwischen den Rassen.djvu/85

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Und gestern Abend sang er noch; ich mußte ihn zudecken. Nun, diese Art lebt vielleicht nicht länger: tröste dich.“ Sie hatte das Bedürfnis, rasch weiterzukommen. Ihr nach Glück jagender Sinn wußte mit dem Tod, der ihr in den Weg trat, nichts anzufangen und erkannte ihn kaum. Wie sie die Tür öffnete, stand jemand davor mit einem schwarzgeränderten Brief. Erstaunt nahm sie ihn und trat zurück ins Zimmer. Die Schrift kannte sie nicht; die ersten Worte hießen:

„Liebe Lola! Ein großes Unglück ist geschehen, unser Vater ist gestorben.“

„Wessen Vater?“ Sie sah nach der Unterschrift: „Dein Bruder Paolo.“ „Paolo? Welch Unsinn! Mein Bruder hieß Nene.“ Sie las weiter.

„Unser Vater reiste, wie dir vielleicht bekannt ist, die letzte Zeit in Argentinien und kaum zurückgekehrt, nahm er das Gelbe Fieber: so wahr ist es, daß kein nicht in Rio Geborener sich entfernen darf ohne Gefahr, bei seiner Heimkunft ein Opfer der schrecklichen Krankheit zu werden.“

„Es scheint doch Pai zu sein.“ Sie las noch:

„Unsere liebe Mama weint mit mir. Weine mit uns, Schwester!“

„Pai ist tot?“ dachte Lola. „Er wollte doch herkommen!“ Ihr planloser Blick durchsuchte das Vogelbauer; da bemerkte sie:

„Das sind nur leere Hülsen! Wahrhaftig, kein einziges Korn. Dann ist er verhungert! Ich habe ihn verhungern lassen! Mein Gott! Und ich hatte ihn doch lieb!“

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