Page:H.M. Die kleine Stadt.djvu/228

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„Aber der Schneider —“

Der Kapellmeister machte eine Bewegung, die den andern wegschickte. Wie er den Rücken von dem Stamm hob, schwankte er deutlich.

„Er hat also doch getrunken“, bemerkte der Barbier. „Ich dachte es gar nicht.“

Erstaunt sah er den Kapellmeister die Treppe hinabspringen. Er nahm drei der breiten Stufen auf einmal und setzte ohne Not über die Prellsteine.

 

Auf dem schiefen kleinen Platz beim Hause Belotti schöpfte er Atem, aufgerichtet und das Gesicht zum Himmel gewendet. „Ich habe also ein Volk gesehen! Das Volk, für das der Maestro Viviani seine Oper geschrieben hat. Ich wußte es, wir seien nicht allein; ein Volk höre uns! Wir wecken seine Seele, wir … Und es gibt sie uns! Ich weiß jetzt, welche Stimmen, wenn ich komponiere, mit dem blauen Wind durch mein Zimmer streichen. Es erfindet für uns, dies Volk, es fühlt und tönt in uns. In der Musik der ,Armen Tonietta‘ hat es seinen eigenen Tonfall wiedererkannt, seine Gesten, sein Tempo. Die ungeheure Wirklichkeit der Klänge und Gesichte übertraf vielleicht, was sie je erlebten. Nie hatten sie von ihrer Akropolis in ein so gründereiches Land gesehen und sahen es nie so voll Licht, noch so voll Schrecken. Ein verklärtes Erdengefühl weitete sie mitten im Drang der Leidenschaften; der Kampf, die Wonne und das Leiden gingen in die tönende Harmonie ihrer Erde ein. Die singenden Gestalten waren stärker und reiner als sie, und doch sie selbst. Da waren sie glücklich, Menschen zu sein. Sie liebten einander. Und wir — und wir —“

„Ein Betrunkener?“ sagte auf dem nächsten Treppenabsatz Frau Camuzzi zu dem jungen Savezzo. Er zuckte die Achseln.

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