Page:H.M. Der Untertan.djvu/297

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raten und ihr die Hälfte seiner Besitztümer vererben. Hierüber herrschte, als er abgegangen war, laute Freude bei dem Mädchen und ihrer Pflegemutter, der braven Pächtersfrau.

„Wer ist denn die schreckliche Person?“ fragte Diederich, bevor er es bedacht hatte. Frau von Wulckow war erstaunt.

„Es ist doch die komische Alte vom Stadttheater. Wir hatten sonst niemand für die Rolle; aber meine Nichte spielt ganz gern mit ihr.“

Und Diederich erschrak; mit der schrecklichen Person hatte er die Nichte gemeint. „Das Fräulein Nichte ist ganz reizend“, beteuerte er schnell und blinzelte entzückt nach dem dicken roten Gesicht, das gleich auf den Schultern saß — und es waren Wulckows Schultern! „Talent hat sie aber auch“, setzte er der Sicherheit wegen hinzu. Frau von Wulckow wisperte: „Passen Sie nur auf“ — und da kam aus der Kulisse Assessor Jadassohn. Welch eine Überraschung! Er hatte ganz neue Bügelfalten und trug in seinem imposant geschweiften Cutaway eine riesenhafte Plastronkrawatte mit einem roten Funkelstein von entsprechendem Umfang. Aber so sehr der Stein auch funkelte, Jadassohns Ohren überstrahlten ihn. Da sein Kopf frisch geschoren und sehr platt war, standen die Ohren frei heraus und beleuchteten wie zwei Lampen seine festliche Pracht. Er spreizte die gelb behandschuhten Hände, als plädierte er für viele Jahre Zuchthaus; und tatsächlich sagte er der Nichte, die geradezu konsterniert schien, und der heulenden komischen Alten die peinlichsten Dinge … Frau von Wulckow wisperte: „Er ist ein schlechter Charakter.“

„Und ob“, sagte Diederich mit Überzeugung.

„Kennen Sie denn mein Stück?“

„Ach so. Nein. Aber ich sehe schon, was er will.“

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