Page:H.M. Der Untertan.djvu/146

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auch noch zurück. Mein Ehrenwort, gnädiges Fräulein, Sie sind hier die erste, die ruhig Unter den Linden spazierengehen könnte, und kein Mensch würde merken, daß Sie aus Netzig sind.“ Darauf erfuhr er, daß sie wirklich einmal in Berlin gewesen war, und sogar bei Ronacher. Diederich zog hieraus Vorteil, er erinnerte sie an ein dort gehörtes Couplet, das er ihr aber nur ins Ohr sagen könne. „Unsre lieben süßen Dam’n, zeigen alles, was sie ham’n“ … Da sie einen dreisten Seitenblick warf, streifte er mit dem Bart ihren Hals. Sie sah ihn flehend an, worauf er ihr erst recht versicherte, daß sie ein „reizender Käfer“ sei. Sie flüchtete mit geschlossenen Augen zu ihrer Mutter, die alles überwacht hatte. Der Pastor war mit Jadassohn in ernstem Gespräch. Er klagte, daß der Kirchenbesuch in Netzig unerhört vernachlässigt werde.

„Am Sonntag Jubilate: verstehen Sie wohl, am Sonntag Jubilate habe ich vor dem Küster und drei alten Damen aus dem Jungfrauenstift predigen müssen. Die anderen hatten Influenza.“

Jadassohn sagte: „Bei der lauen, um nicht zu sagen, feindseligen Haltung, die die herrschende Partei den kirchlichen und religiösen Dingen gegenüber einnimmt, muß man sich über die drei alten Damen wundern. Warum besuchen sie nicht lieber die freigeistigen Vorträge des Doktors Heuteufel?“

Da schnellte der Pastor vom Stuhl. Sein Bart schien aufzuschäumen, so sehr schnob er, und sein Gehrock warf wilde Falten. „Herr Assessor!“ brachte er hervor. „Dieser Mensch ist mein Schwager, und die Rache ist mein! spricht der Herr. Aber obwohl dieser Mensch mein Schwager und meiner leiblichen Schwester Mann ist, kann ich den Herrn nur anflehen, ja, mit gerungenen Händen an-

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