Allgemeines plattdeutsches Volksbuch/Vorwort

From Wikisource
Jump to navigation Jump to search

Vorwort

Ein Volksbuch sollte eigentlich keines Vorworts bedürfen, welches erst sein gutes Recht zur Existenz darlegt. Und das unsrige scheint eines solchen am wenigsten zu bedürfen, da es einem großen Theile nach unmittelbar durch den Volksgeist, ohne kunstmäßige Bildung und ohne Vermittelung gelehrter Dichter, wie das eigentliche Volkslied erzeugt ist. Freilich gab Ludolf Wienbarg noch im Jahr 1834 eine kleine Schrift heraus: „Soll die plattdeutsche Sprache gepflegt oder ausgerottet werden? Gegen Ersteres und für Letzteres beantwortet." Und dieser eben so vermessene als unnatürliche Wunsch, eine lebendige Volkssprache auszurotten, gegen welche die allgemeine Schriftsprache des Neuhochdeutschen als eine abstracte Staatssprache erscheint, ist zu öftern Malen ausgesprochen; man bedachte nicht, daß für jeden Organismus die Gliederung eine Notwendigkeit und der Reichthum der Gliederung ein Vorzug ist.


Jetzt ist nun des Dithmarsen Klaus Groth „Quickborn" erschienen und damit der volle Beweis, daß dies als bäurisch und gemein verachtete Plattdeutsch sich zu jeder Dichtung eignet, die nur überhaupt im Geiste des Niedersachsen gedichtet ist; denn für den Oden- und Dithyrambenton, so wie für die Sentimentalität der modernen Lyriker fehlt allerdings dem Norddeutschen und seiner Sprache die Phrase mit ihrer Lüge. Jetzt wird denn also auch Niemand dem plattdeutschen Volke diese kleine Sammlung mißgönnen. Dem Sieger, dem vornehmen Hochdeutschen, steht solche Großmuth wohl an. Wir halten übrigens diesen Sieg für kein Glück für Deutschlands Weltstellung. Denn wäre das Niederdeutsche bei der Bildung einer allgemeinen deutschen Schriftsprache vorherrschend maßgebend gewesen, so wäre die sprachliche Verwandschaft mit den Engländern und den skandinavischen Völkern eine weit lebendigere geblieben, das Holländische wäre aber vollends in einer solchen niederdeutschen Schriftsprache aufgegangen.


Durch den Hansebund war das Deutsche schon die allgemeine Handelssprache des nördlichen Europa und es wäre mithin eine niederdeutsche Schriftsprache wegen jener Verwandtschaft, trotz des späteren Verfalls des deutschen Handels, möglicher Weise statt des Französischen — das jedoch in dieser Eigenschaft auch schon wieder von dem Englischen bedroht wird — die allgemeine Weltsprache geworden.

Brauchen wir nun also auch für unser Volksbuch die Berechtigung zur Eristenz nicht erst des weiteren darzuthun, so müssen wir ihm doch jedenfalls ein paar Worte wegen der in sprachlicher Hinsicht befolgten Grundsätze vorausschicken.

Da hier nicht das Erzeugniß eines Verfassers und eines Stammes vorliegt, sondern unsere Sammlung in weit auseinander liegende Zeiten und Gegenden des plattdeutschen Sprachgebiets hineingreift — aus diesem Grunde durften wir unser plattdeutsches Volksbuch ein allgemeines nennen — so mußte der Mangel einer anerkannten und allgemeinen plattdeutschen Schriftsprache hier noch schmerzlicher empfunden werden als sonst. Sollten wir Schrift und Sprache einer consequenten, aber immer willkürlichen Gleichmacherei unterwerfen oder Jeden in seinem ursprünglichen Gewande auftreten lassen? Der zweite Weg hätte die störendste und für ein Volksbuch durchaus unzulässige Buntscheckigkeit gegeben. Aber auch das Erste erschien nicht minder unzulässig, da es alle Eigenthümlichkeit verwischt und doch wegen der zu schonenden Reime, mit denen die meisten Stücke ohnehin sehr frei umspringen, vielfache Ausnahmen erlitten haben würde.


Der Herausgeber wählte einen Mittelweg, wie dies, namentlich hinsichtlich der Orthographie, auch große Vorbilder z. B. Ludwig Uhland in seiner Sammlung „Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder" gethan hat. So weit jedoch eine Gleichmacherei Platz gegriffen hat, so konnte bei dem dermaligen Zustande der Wissenschaft der plattdeutschen Sprache, die Mundart des Herausgebers dabei allein einen festen Anhaltspunkt geben. Die Mundart des Herausgebers ist nun die meklenburg-schwerin'sche, die mit zu den allerweichsten der plattdeutschen Sprache gehört, da sie im Allgemeinen z. B. nicht Peerd, leef, Deef, Breef, — sondern Pierd, leif, Deif, Breif, nicht Spoor, Foot, Hoot, goot, — sondern Spur, Faut, Haut, gaut sagt. Ferner wird das d von dem Meklenburger vielfach in r abgeschwächt z. B. Lür, Werer, Maurer — statt Lüd, Weder, Moder. Das r am Schluß der Silbe wird hier auch noch mehr verschluckt, als anderswo; wir haben dasselbe aber in unsrer Sammlung nicht weggelassen, da auch die alte plattdeutsche meklenburgische Schrift es nie wegläßt.

Ueberhaupt haben wir so viel thunlich die hochdeutsche Schreibart beibehalten, schon damit dem Leser das Wort eher bekannt erscheine. Wir haben damit wenigstens den Fehler derjenigen vermieden, welche in ihrem Streben, eine den plattdeutschen Lauten ganz congruente, phonetische Schrift zu geben, völlig mit der Geschichte der Sprache gebrochen und eine Schreibart zu Tage gefördert haben, zu der es wie zu einer Geheimschrift eines besonderen Schlüssels bedarf. Ritter in seiner Grammatik der meklenbmgisch-plattdeutschen Mundart schreibt z. B. Je, feliet, Nuen, Hie, Uen, was Erde, verliert, Norden, Hirte, Ohren bedeuten soll. Die plattdeutschen Urkunden aus dem Mittelalter zeigen nirgends eine solche Abweichung von der hochdeutschen Schreibart und lesen sich daher weit leichter als unsere heutigen plattdeutschen Schriftsteller. Auch die in unsrer Sammlung befolgte Schreibart wird hoffentlich jeder Plattdeutsche ohne vielen Anstoß lesen können. Wegen der hinsichtlich der Schreibart vorkommenden einzelnen Nachlässigkeiten und Schwankungen bitten wir um Entschuldigung.

Da wir ein Volksbuch geben wollten, also keinerlei wissenschaftliche Zwecke verfolgten, — was ja auch bei einer Sammlung sehr wohl der Fall sein kann, — so haben wir das Material, namentlich das in ungebundener Rede auftretende, — weswegen wir auch bei diesem keine Quelle angegeben haben — meistens mit großer Freiheit behandelt, was bei denjenigen Stücken, von denen viele Variationen cursiren, keiner Entschuldigung bedarf und in andern Fällen dieselbe in der Natur des Volksbuchs, die eine gewisse Gleichmäßigkeit der Behandlung fordert, finden mag.