Page:Labi 1998.djvu/327

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der Annahme führen, dass die Biographin - und mit ihr wohl viele andere Ehefrauen auch - nicht in den Entscheidungsprozess mit einbezogen waren. Vor dem Hintergrund der Eheschliessung im November 1939 ist diese Präsentation jedoch zu hinterfragen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Bestimmungen zur Option bereits erlassen, die Optionspropaganda in vollem Gange und die Auswirkungen auf die Südtiroler Gesellschaft deutlich spürbar. Die Heirat zu diesem Zeitpunkt war damit gleichbedeutend mit der Entscheidung für eine Deutschlandoption oder doch zumindest mit deren Akzeptanz. Nicht zuletzt, weil Frau O. als gebürtige Trentinerin nicht in die Optionsvereinbarungen fiel und somit selbst auch nicht optieren hätte können, stellte die Eheschliessung die einzige Möglichkeit dar, mit dem Mann, dem Vater ihres illegitimen Kindes, zusammenzubleiben. Eine Deutschlandoption und damit verbunden eine mögliche Umsiedlung wurde von Frau O. als Preis für diese Heirat in Kauf genommen. Heute, angesichts der Ereignisse nach der Umsiedlung, wird die Entscheidung jedoch als falsch interpretiert.

Aufgrund der Lebenskonstruktion darf Frau O. ihren eigenen Anteil an der Option jedoch nicht thematisieren.

Anders gesagt. Frau O. präsentiert sich in ihrer Lebenserzählung als eine Frau, die immer die richtige Entscheidung getroffen hat. Um diese positive Selbstdarstellung nicht zu gefährden, muss konsequenterweise die Eheschliessung aus der Lebenserzählungen ausgeklammert werden. Die biographische Lebenskonstruktion als selbstbewusste und entscheidungskräftige Frau findet ihren Ausdruck im gesamten Interview, in welchem sich Antonia O. als Akteurin darstellt, wenn Entscheidungen - aus heutiger Sicht- positive Resultate mit sich gebracht hatten. So präsentiert sich die Biographin beispielsweise bei allen früheren Umzügen durchaus als diejenige, welche die Entscheidungen gefällt hatte. Sie nimmt auch konsequent die Verantwortung für diese Schritte für sich in Anspruch. Hingegen werden Entscheidung, deren Auswirkungen heute als negativ empfunden werden, durchweg anderen Personen zugeschrieben. So auch die Option, in welcher sich die Biographin als passive, erleidende Frau darstellt, deren einzige Aufgabe darin besteht, der Entscheidung des Ehemannes zu folgen.

Die Gründe für diese markante Rekonstruktion der Wahrnehmung liegen in den nachfolgenden Ereignisse und Erfahrungen. Während Antonia O. in der Eingangssequenz des Erstinterviews auf die Umsiedlung im September 1940 folgendermassen rekurriert: «[...] und dann sind wir herausgekommen, aber gelitten haben wir nicht [...]» (1:1:33), und damit den Eindruck eines

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HISTOIRE DES ALPES - STORIA DELLE ALPI - GESCHICHTE DER ALPEN 1998/3