Page:H.M. Der Untertan.djvu/355

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„Volksstimme“ behauptete, Herr Heßling trage in die Stadtverordnetenversammlung den Geist des übelsten Byzantinismus, wohingegen die „Netziger Zeitung“ seine Rede als die erfrischende Tat eines unbefangenen Patrioten bezeichnete. Daß es sich aber um einen wahrhaft bedeutsamen Vorgang handelte, ward erst klar, als es im „Berliner Lokal-Anzeiger“ stand. Das Blatt Seiner Majestät war über das mutige Auftreten des Netziger Stadtverordneten Doktor Heßling des Lobes voll. Es stellte mit Genugtuung fest, daß der neue, entschlossen nationale Geist, für den der Kaiser eintrete, nunmehr auch im Lande Fortschritte mache. Die kaiserliche Mahnung werde befolgt, der Bürger erwache aus dem Schlummer, die Scheidung zwischen denen für ihn und denen wider ihn vollziehe sich. „Möchten viele wackere Vertreter unserer Städte dem Beispiel des Doktor Heßling folgen!“

Diese Nummer des Lokal-Anzeigers trug Diederich schon acht Tage lang auf dem Herzen, da schlich er sich um die stillste Vormittagsstunde, unter Vermeidung der Kaiser-Wilhelm-Straße, von rückwärts in die Bierstube von Klappsch, wo er Gesellschaft fand: Napoleon Fischer und der Parteiwirt Rille. Obwohl das Lokal ganz leer war, zogen die drei sich in den äußersten Winkel zurück; Fräulein Klappsch ward, kaum daß sie das Bier gebracht hatte, hinausgeschickt; und Klappsch selbst, der an der Tür horchte, hörte nur tuscheln. Er versuchte die Klappe zu Hilfe zu nehmen, durch die er bei stärkerem Besuch die Gläser hineinreichte; aber Rille, der damit Bescheid wußte, schlug sie ihm vor der Nase zu. Immerhin hatte der Wirt bemerkt, daß Doktor Heßling aufgesprungen war und im Begriff schien, wegzugehen. Dazu werde er als nationaler Mann niemals die Hand bieten!… Später aber wollte Fräulein

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