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Hochgebirgsabend

(An meine Mutter)

 

Ein seliger Tag, die Alpen flammen rot . . .
Nun möcht ich die lichte Weite zeigen
Und stille stehn und lange mit dir schweigen
Vor tiefer Lust—O warum bist du tot!

Und aus den Talen wandelt feierlich
Die Nacht empor mit der umwölkten Stirn,
Löscht leisen Ganges Flühe, Alm und Firn;
Ich schaue zu—was ist es ohne dich?

Nun Finsternis und Stille weit umher;
Mein Herz verdunkelt sich und trauert mit.
Da geht es neben mir wie leiser Schritt:
„Ich bin's! Ich bin's! Kind, kennst du mich nicht mehr?

Der lichten Tage freue dich allein!
Doch wenn die sternelosen Nächte kommen,
Da deine Seele dunkel und beklommen
Nach mir begehrt, muß ich dir nahe sein.”